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12. Eier mit Speck in Viersen – Festivalbericht vom 28.-30.07.2017

Eier mit Speck Festival 2017

Voll auf die 12

Kinder, wie die Zeit vergeht. Im Jahre 2006 mit knapp 1000 Besuchern gestartet und die 12. Ausgabe des Eier mit Speck-Festival (kurz: EMS) war wieder mal mit 5.000 Gästen vorab ausverkauft. Im Vorfeld gab es im Netz etwas Skepsis bezüglich der Bandauswahl. Es fehlten angeblich die 'großen Namen' wie in den letzten Jahren z. B. Paradise Lost, Ugly Kid Joe oder die H-Blockx. Doch allen Unkenrufen zum Trotz wurde es mal wieder ein großes Fest mit viel guter Musik. Das Festival am Niederrhein fiel in diesem Juli nochmals vielfältiger und breitgefächerter aus als in den letzten Jahren und so war wirklich für jeden etwas dabei. Sogar die 'Tante aus den Charts' – aber dazu später mehr. Hier also mein Bericht über drei Tage Festival.

Der Freitag – Nordish by nature

Bis auf die ersten drei Bands, die alle aus der näheren bzw. umliegenden Region kamen, war der Rest aus dem Norden Deutschlands bzw. Europas. Aber der Norden hat gerockt und das nicht zu knapp. Als dritte Band des Tages kamen The Tips aus dem nicht allzu weit entfernten Düsseldorf auf die Bühne. Ihre Mischung aus Rock und Reggae ist eigentlich prima für ein Festivalpublikum geeignet, aber an diesem Freitag wollte der Funke einfach nicht überspringen. Schade, denn ich hatte die Band vor einem Jahr schon einmal gesehen und dort gefielen sie mir wesentlich besser.

Anschließend wurde es sehr stylisch, denn das Trio The Movement aus Kopenhagen traten wie einst The Jam in Anzügen auf. Der etwas förmlich wirkende Look hinderte aber Bassist Sebastian Page nicht daran, wie ein Flummi rumzuspringen, sich zu drehen oder waghalsige Sprünge von der Bass Drum des Schlagzeugs zu vollziehen. Alleine er war schon eine eigene Show für sich. Musikalisch gab es eine Mischung aus The Jam und etwas The Who. Also alles in allem very british und mit Leidenschaft dargeboten. Das Publikum ging mit und so wurden die Jungs aus Dänemark zum ersten Highlight des Festivals.

Obwohl stilistisch völlig anders, kamen auch die Isländer von Agent Fresco bestens an. Grob gesagt erinnerte die Musik etwas an die britische Band Muse, aber dunkler und etwas progressiver. Obwohl die Musik doch eher düster war, schaffte es die Band und vor allem Sänger Arnor Dan Arnason Stimmung zu machen und nach knapp 50 Minuten verließen die Mitglieder der wohl musikalisch anspruchvollsten Band des Tages zufrieden die Bühne.
Danach war es Zeit für eine leckere Wurst, denn die 60 Minuten von The Boys aus Hamburg waren absolut überflüssig. Hip-Hop ist generell nicht mein Ding, aber die Truppe war auch noch schlecht dabei. Abhaken und Wurst essen.

Der heimliche Headliner – nicht nur für mich – waren dann die vier Schweden von Hardcore Superstar. Über 20 Jahre gibt es die Band aus Göteborg schon und ihre Mischung aus Mötley Crüe, Kiss und einer Prise Punk macht vor allem live richtig Laune. Vor allem vor einer mittlerweile stattlichen Kulisse in Viersen und dann auch noch im Dunklen mit toller Lightshow. So gab es also ein 75-minütiges Greatest Hits-Set mit Krachern wie "We Don’t Celebrate Sundays" oder auch "Above The Law". Das etwas übertriebene Gepose und die nicht gerade originellen Ansagen im Stile von »Do you feel alright« fielen da nicht weiter ins Gewicht. Sauber abgeliefert!

Headliner waren die Husumer Turbostaat, aber ich zog dann doch das heimische Bett vor. Man muss sich halt die Kräfte einteilen.

Der Samstag – Die bunte Tüte

Wie bereits erwähnt; gab es in diesem Jahr wirklich eine enorme Vielfalt und allein der Samstag bot schon sehr viele musikalische Stile.
Die dritte Band war schon mal ein kleines Highlight. Die Hessen von Elfmorgen waren im letzten Jahr kurzfristig als Ersatzband eingesprungen, machten ihre Sache hervorragend und wurden zum Dank 2017 erneut gebucht. Sänger und Gitarrist Andy hatte an dem Tag Geburtstag und war sichtlich ergriffen »Happy Birthday« aus hunderten von Kehlen zu hören. Dazu gab es neben eigenen Krachern wie der Hymne "Oberlippenbart" auch noch eine tolle Version des alten Ärzte-Klassikers "Madonnas Dickdarm". Erneut wie im Vorjahr eine starke Leistung des sympathischen Trios.

Zu Hip-Hop hatte ich ja bereits was geschrieben, aber der Braunschweiger MC Rene machte, im Gegensatz zu den Boys vom Vortag, seine Sache wirklich gut und auch wenn es mich nicht umgehauen hat, hab ich mich doch dabei erwischt, wie ich immer mal mitgewippt habe. Auch hier zeigt sich eben, dass Qualität sich durchsetzt. Nicht mein Ding, aber klasse performt.

Danach gab es erneut Rock in deutscher Sprache  und auch wieder als Trio. Montreal aus Hamburg boten soliden und handwerklich gut gemachten deutschen Rock mit einigen Punkeinlagen. Mein Highlight war die Coverversion des uralten Steinwolke-Hits "Katharine Katharine". Gute Idee und super umgesetzt. Beim Publikum kam die Band auch prima an und der Merchandise-Stand war nach dem Gig von Fans belagert.

Es folgte die große Überraschung. Alice Merton kennen geneigte Radio-Hörer sicherlich von dem Frühjahreshit "No Roots". Die Geschichte zu ihrem Auftritt beim EMS ist interessant, denn bereits Ende des Jahres wurde die Künstlerin für das Festival gebucht und ein Hit war damals nicht in Sicht. Erst im März schoss ihre Debüt-Single in die Charts. Viele hatten daher Vorurteile über das Pop-Sternchen. Aber Frau Merton zeigte es allen und mit Band sowie auch zwischendurch selbst am Keyboard bot die Dame knapp 45 Minuten sowohl musikalisch als auch showmäßig das volle Brett. Als dann gegen Ende "No Roots" kam, gab es den ersten kollektiven Mitgehpart und knapp 5000 Leute wurden mal richtig laut. Tolle Stimme und eine wirklich gute Musikerin. Auch die restlichen Songs konnten absolut überzeugen. 1:0 für Alice Merton und die positive Überraschung des Festivals.

Eier mit Speck 2017/Terrorgruppe

Eier mit Speck 2017/Terrorgruppe

Anschließend gab es einen großen Kontrast, denn die heimischen Motorjesus boten weniger feine Töne, sondern knallten das richtig fette Metal-Brett auf die Ohren. Vor vielen Freunden und Bekannten zu spielen ist für eine Band manchmal etwas hemmend, aber 'Motorjupp', wie die Band sich selber gerne nennt, blendeten das aus und lieferten eine Stunde lang Hit auf Hit. Neben diversen Songs aus der ihrer meiner Meinung nach stärksten eigenen CD Wheels Of Purgatory spielten sie auch noch einige Uralt-Nummer wie die Bandhymne "Motorjesus" oder meinen Favoriten "The Howling". Nach einem kleinen Medley aus Songs von AC/DC und den Scorpions, das in ihre Abschlussnummer "A New War" geschickt eingebettet wurde, war nach 60 Minuten Ende. Klasse.

Die Berliner Punkband Terrorgruppe ist auch schon seit langer Zeit aktiv, aber so richtig konnte mich das Quintett an dem Abend nicht vom Hocker reißen. Zu aufgesetzt waren meiner Meinung nach sowohl die Ansagen, als auch die Musik. Ging also irgendwie völlig an mir vorbei.

Danach nochmals Kontrast, denn niemand geringeres als das Devin Townsend Project aus Kanada gab sein Stelldichein beim EMS. Zwar sicherlich nicht massenkompatibel und gar nicht erst zum Klatschen und Tanzen ist die doch sehr verkopfte Musik um Mastermind Devin, aber absolut beeindruckend umgesetzt und technisch mit vielen Raffinessen versehen. So war es vor allem das ältere Publikum, das sich hier sicherlich an selige 70s Prog-Zeiten mit Genesis und Co. erinnert fühlte. Außerdem hat Mister Townsend eine extrem unterhaltsame Art und so kann ich nur einen Zuschauer zitieren, der sagte: »Anders irgendwie – aber auch irgendwie cool«. Das trifft es sicherlich gut.

Was hatten wir an dem Tag denn bisher noch nicht an Musikstilen? Rockabilly? OK. Dann passte ja der Headliner wunderbar, denn die Berliner The Baseballs sind bekannt für ihre Rockabilly-Coverversionen von internationalen Hits. Egal ob "Angels" von Robbie Williams als flotter Swing oder Green Days "Basket Case"- das Publikum ging mit und feierte das Trio plus Begleitband nochmal richtig ab. Wunderbarer Tagesabschluss.

Der Sonntag – Bis ans andere Ende der Welt und zurück

Vom australischen Melbourne bis nach Stuttgart ging die musikalische Reise an diesem herrlichen Sommertag mit absolut grandiosem Festivalwetter. Meine erste Band an diesem Sonntag war das Geschwister-Duo Pierce Brothers aus Melbourne. Nur mit Gitarre, Schlagzeug und zwei Stimmen brachten die Jungs schon um 14.00 Uhr aber mal richtig Schwung aufs Gelände. Mit tollem Gesang und wahlweise auch mal Harp oder Didjeridoo gab es Folk in einer zeitgemäßen Form – etwa vergleichbar mit Mumford And Sons. Respekt, wer um diese Uhrzeit am dritten Festivaltag das Publikum so begeistern kann. Belohnt wurden die Brüder dann am Merchandise-Stand, denn ihre CDs wurden ihnen quasi aus den Händen gerissen. Noch ein Geheimtipp, aber hoffentlich bald auch bekannter. Wäre den beiden echt zu gönnen. Meine persönliche Festivalentdeckung und sicherlich ein Faktor, der besonders das EMS auszeichnet. Bisher hatte das Team noch immer einen unbekannten Knaller präsentiert.

Eier mit Speck 2017/Impressionen

Eier mit Speck 2017/Impressionen

Illbilly Hitec aus Berlin schafften es dann leider trotz passend-strahlendem Sonnenschein nicht, die Leute mit ihrer Mischung aus Reggae und Dancehall so zu berühren, wie die vorherige Band.

An der folgenden Truppe schieden sich die Geister. Während die einen den 80s-Elektropop mit Swingelementen der Tschechen von Mydy Rabycad abfeierten, waren die anderen vor allem von der Sängerin etwas irritiert. Ich gehörte zur ersten Gruppe und fand den Auftritt wirklich gut. Mit Glitzeranzügen sowie viel 80s-Sound sorgte man wieder für gute Stimmung und tanzende Zuschauer waren der Lohn. Der Blickfang war ohne Zweifel Frontfrau Zofie, die sich während des Auftritts immer freizügiger präsentierte. Aber diese etwas 'too much'-Attitüde passte absolut zur Musik. Einfach ein unterhaltsamer Auftritt.

Mit insgesamt vier Bands an drei Tagen war Hamburg die mit den meisten Formationen vertretene Stadt im knapp 400 km entfernten Viersen. Als vierte Band aus der Hansestadt dann also Swiss und die Anderen und die legten sofort ordentlich los. Mit ihrer Mischung aus Rage Against The Machine mit etwas Pop und etwas Reggae fanden sie sehr guten Anklang beim allgemein eher jungen Publikum und so bildete sich das erste Moshpit des Tages. Nicht ganz mein Ding, aber in Ordnung.
Danach wurde es ein wenig entspannter. Die internationale Truppe Cryssis aus dem britischen Essex und Düsseldorf präsentierte eine feine Mischung aus Old School-Punk mit ein paar New Wave-Elementen. Nicht zuletzt wegen des Schlagzeugers wollten viele Menschen die Band sehen, denn niemand anders als Vom Richie von den Toten Hosen saß hinter den Drums. Absolut solides Set.

Eier mit Speck 2017/Russkaja

Eier mit Speck 2017/Russkaja

Es folgte nicht nur mein Highlight des gesamten Festivals, denn mit Russkaja hatte man eine Band gebucht, deren legendärer Live-Status ihr vorauseilt – und nach diesem Konzert kann ich das nur bestätigen. Mit sieben Leuten auf der Bühne bot die Band aus Wien eine absolut packende Show. Ihre Mischung aus Polka, Ska und fetten Gitarren ist wie gemacht für die große Bühne und bis nach ganz hinten klatschten und tanzten die Leute. Das muss man erst mal schaffen, nach drei Festivaltagen das gesamte(!!) Publikum nochmals so dermaßen zu packen. Mehr bleibt nicht zu sagen. Tolle Show und das Publikum fraß ihnen, wie gesagt, aus der Hand.
Die Stuttgarter Hip-Hop-Band Die Orsons schenkte ich mir dann, denn nach der wahnsinnigen Russkaja-Show konnte nichts mehr kommen, was deren Auftritt noch toppen konnte.

Auch die 12. Ausgabe des Eier mit Speck-Festivals hatte, bis auf ein paar wenige musikalische Durchhänger, wieder mal viele gute Bands aus diversen Genres zu bieten und man konnte, wie immer, etwas Neues entdecken. Auch schon EMS-typisch war die überall entspannte und freundliche Atmosphäre auf dem Gelände. Egal ob Publikum, Crew oder Security – Respekt und Freundlichkeit sind hier keine Floskeln, sondern gelebtes Festivalmotto 'Friede, Freude, Rührei'.

Danke EMS 2017 und Vorfreude auf EMS 2018.
Vielen Dank an Jürgen Heigh vom EMS-Team für die nach wie vor unkomplizierte Akkreditierung und besonderen Dank an Maik Wiens für die uns zur Verfügung gestellten, tollen Fotos.

Über den Autor

Udo Gröbbels

Beiträge im RockTimes-Archiv

Genres: Ska, Pop, Rockabilly, Rock N Roll

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