Wer regelmäßig Konzerte besucht, der wird zwangsläufig irgendwann mal dabei gewesen sein, wenn später daraus etwas Restauriertes auf Silberling oder schwarzem Gold für die Nachwelt erscheint. Hab ich inzwischen recht häufig erlebt. Selbst aber im Stuff dabei gewesen zu sein, wenn am Ende auch noch einer der magischen Momente festgehalten wurde, den man selbst als großes Highlight empfunden hat, das muss man dann zwangsläufig Glück nennen.
Ich hab dieses Glück, denn ich durfte das offiziell letzte Konzert der Rotterdamer Psyche Fuzz Heavy Rocker von 3Speed Automatic live miterleben. Zumindest in gewisser Weise.
Zu dieser Zeit war ich als Merch-Man beim ersten Freak Valley Festival am Ball, damals in 2012. Unsere Produkte verkauften sich derart gut, dass ich wenig bis gar keine Zeit fand, selbst mal raus vor die Bühne zu gehen. Am Ende wollten die Enthusiasten gar meine eigens getragenen Devotionalien erwerben, der Welt ist aber ein Anblick des Jammers erspart geblieben, da ich mich standhaft erwies und die Klamotten am Körper behielt. Wenn großartige Musiker sich künstlerisch entblößen, dann herrscht Ekstase und Begeisterung. Wenn alte T-Shirt-Verkäufer sich entblößen, endet das womöglich im Knast.
Es war Freitag, der erste Veranstaltungstag, als schon zu recht früher Stunde ein Power-Trio aus Holland zum erklärt letzten Angriff auf die Bühne gehen sollte, eben 3Speed Automatic. Und das bewaffnet mit einem Magazin aus geilem, treibenden Siebziger-Jahre-Heavy Rock und einer Gitarre, die monumentale Gefühle heraufbeschwören kann. Da komme ich gleich drauf. Hätte ich in meinem Verkaufsbunker nicht pieseln müssen, wozu ich gezwungenermaßen das Gelände überqueren musste, hätte ich vielleicht etwas einzigartiges verpasst. Gerade spielte Guido das Intro zu "Tijuana", als ich mich eigentlich nur an das nächste Urinal begeben wollte. Doch diese psychedelische Gittaren-Erleuchtung traf mich wie der Bannstrahl eines dritten Auges von den Göttern des Rock’n’Roll, welche sich plötzlich hoch über dem Horizont offenbarten und mich mit ihrem gütigen Blick bannten. Diese Gitarre, rein und glasklar wie ein magischer Kristall packte mich, ließ mich erstarren und innehalten. Dann begann ich innerlich zu kreiseln und ich spürte, wie mir das Gehirn molekülweise abgesaugt wird. Ich wurde hineingezogen in etwas höheres und hätte am Ende fast vergessen, dass ich eigentlich ganz profanes zu tun im Begriff gewesen war. Es war mein Moment von Freak Valley, eine kurze aber intensive Erfahrung völligen Loslösens. Und das Pieseln hat auch geklappt, die mystische Erfahrung ist am Ende nicht in die Hose gegangen!
Angefangen hat das alles, auf der Bühne wie auch auf der Platte, mit der schönen Randnotiz, dass mein alter Freund, Kollege und Zimmergenosse während der sehr kurzen Freak Valley-Nächte, Volker, die Ansage verkündete: »… 3Speed Automatic aus den Niederlanden. Viel Schpasss!« Und die Band legte los wie die Feuerwehr – die im Übrigen an diesem Wochenende ihr eigenes Fest veranstaltete, was es nicht gerade einfacher machte, den ordnungsrechtlich geforderten Rettungswagen vorzuhalten. Abgesehen von einem Pflaster auf der Rübe eines nicht mehr ganz standfesten Freaks blieben die Jungs und Mädels zum Glück aber beschäftigungslos.
Vor "No Man’s Land" gab Stefan, der Bassmann, erstmals bekannt, dass es sich um das letzte Konzert der Band handeln wird: »After that you have to take a look at youtube.«
Grollend rollende Bässe und eine fuzzig riffende Gitarre entwickeln über aggressiv treibenden Schlägen einen geilen Groove, der nicht unbedingt in den tiefen Gestaden des Stoner unterwegs ist, sondern heftig auskeilenden, klassischen Hard Rock-Exkursen folgt. Der Wah-Wah ist ein sehr geliebter Begleiter.
Überhaupt hält die Band sich an das klassische Muster für ein hartes Rockkonzert. Erst einmal kommen die kurzen Anheizer zum Einsatz, um die Menge aufzumischen. Wie im Solo in "Cut Me Loose".
Erst ein Bier und dann eine lasziv, fuzzige Gitarre, die in intensive, einprägsame Hooklines und repetitive Riffs übergeht. "Breaking Down" heißt das Ganze, aber wir sind weit davon entfernt, dem Titel zu folgen. Wir werden durchhalten bis zum letzten Konzert, und das folgt weit nach Mitternacht.
Mit der B-Seite nimmt das Konzert einen eindeutigen Wechsel hin zu mehr Improvisation und längeren Ausritten. Wenn wir der Gitarre in "The Gods Of Groove" folgen, dann werden viele legendäre Helden tief im Kleinhirn wach und beginnen mit den Füßen zu wippen. Und wenn auf der letzten Seite der DLP mit "Places" noch einmal ein treibender Rocker mit einem genialen Zusammenspiel zwischen furioser Rhythmusarbeit und wildem Gitarren-Glück, in der Mainline sogar ein wenig an Black Sabbaths "Heaven And Hell" erinnernd, dann kommt die Wehmut auch auf der Bühne an. Sie danken vielen Leuten, unter anderem ihrem Booker, Jerome Crutsen, der sich kurze Zeit später bei mir erst einmal seinen Freak Valley-Hoodie sichert. Aber auch die Mannschaften vom Stoned From The Underground, deren Elektriker Heiko mit seiner Familie auch bei uns als Gast dabei ist, und natürlich der heimische Stuff vom Freak Valley Festival bekommen ihr Dankeschön. Gott vergelt’s, wie man in Bayern sagt.
Jungs, Ihr ward damals schlichtweg eine Sensation!
Es gab an jenem Wochenende für mich zwei musikalische Top-Events und ein ganz und gar schräges Erlebnis rund um das Finale Dahoam des sich irgendwie schon zuvor selbst feiernden FC Bayern. Vielleicht hätten sie statt dessen mal lieber Elfmeterschießen üben sollen…
Das Spiel lief ja während unseres Haupt-Veranstaltungstags und gerade als die Ur-Münchner von Colour Haze das Headline-Konzert spielten, machte eine Nachricht auf dem Festival-Gelände die Runde, dass die Bayern mit 1:0 gewonnen haben. Viel später aber bemerkte ich eher zufällig, dass unser 'Bayern-Bunker' scheinbar immer noch gut besucht war. Es lief die Verlängerung. In einer Garage am Ende des Festgeländes hatten wir einen Bildschirm aufgestellt, um den fußballbegeisterten Rockfans einen zusätzlichen Service zu bieten. Abgesehen von einer kleinen Gruppe Engländer war den meisten der Anwesenden am Ende des Spiels dann aber eher weniger nach feiern zumute, wir wissen ja, dass letztlich Chelsea gewonnen hat. Ein Umstand, den zum Kehraus Tommy Gorny von Space Debris zum Anlass nahm, deren Gig dem Sieger Chelsea zu widmen. Dieses Konzert wurde dann mein zweites großes Highlight. Space Debris haben mich völlig umgehauen und es war der Auftakt für eine jahrelange Freundschaft.
Sinnbildlich für die Atmosphäre auf dem Gelände und über die Tage des ersten Freak Valley Festivals aber war die Klangwolke, die Guido Debrichy in "Tijuana" über die glückliche Gemeinde der Rauchenden und Stoner-Jünger legte, als 3SA einen Monument für die eigenen Geschichtsbücher wie auch die Annalen des Veranstalters hinlegten. Wie hieß es damals von der Bühne: »Now for something completely different«, was nebenbei eine legendäre Phrase aus "Monty Pythons Flying Circus" darstellt: »we change from seventies rock to 80′ s psychedelic and to Mexico. Relax, have your smoke, this is Tijuna.«
Jawohl, dann sind wir alle davongeflogen, es waren Momente für die Ewigkeit, danke für ein fantastisches Erlebnis damals. Als ich hörte, dass das Konzert Jahre später doch noch auf Vinyl gepresst worden ist, habe ich einen Luftsprung gemacht, es gehört zu den am meisten einprägsamen Erlebnissen in meiner langen Rockgeschichte.
Und all denen, die das jetzt inspiriert hat, darf ich verraten, dass ab und zu und leider meist sehr im Verborgenen das eine oder andere Konzert dann doch noch gespielt wurde und auch wohl weiter gespielt werden wird. Wer Rotterdam und Umgebung besucht, sollte vielleicht vorher mal in den einschlägigen Medien nachsuchen, ob nicht irgendwo 3Speed Automatic mal wieder unterwegs sind. Ich kann es nur wärmstens empfehlen.
Line-up 3Speed Automatic:
Willem Stevense (drums)
Guido Debrichy (guitar)
Stefan Persaud (bass, vocals)
Tracklist "Live At Freak Valley":
Side 1:
- Do It All Again
- No Man’s Land
- Cut Me Loose
- Breaking Down
Side 2:
- The Gods Of Groove
- Oh Well
Side 3:
- Tijuana
Side 4:
- Places
Gesamtspielzeit: 36:57 (LP 1), 30:03 (LP 2), Erscheinungsjahr: 2015 (2012)
1 Kommentar
Doc Rock
8. September 2019 um 10:13 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Erinnert wohltuend an die Großen 70ger Jahre. Schön, dass es das noch gibt. Eine der wenigen Rockbands mit geiler Musik, made 2019.