»German Television Proudly Presents…«
Wenn diese Ansage direkt nach dem Wort zum Sonntag und der legendären Eurovisions-Fanfare über den Äther ging, dann wusste die versammelte Rock-Gemeinde Europas, was die Glocken geschlagen hatten. Es war Zeit für Live-Musik, direkt aus Fernsehen und Radio hinein in die Stuben, fantastische Musiker und Bands zu Gast in der Rocknacht des WDR Rockpalasts. Überall starteten Partys rund um die Übertragungen, andere Fans hingen mit Kopfhörern vor der Glotze, um den Stereo-Sound der Rundfunk-Übertragungen zu nutzen. Rocker aller Länder vereint mit einer Bühne, mit den Verstärkern ihrer Helden. Es war eine wilde Zeit, die uns Peter Rüchel und Christian Wagner überhaupt erst ermöglicht haben. Diese beiden waren es, die 1974 den Intendanten beim WDR von ihrem Projekt überzeugen konnten, natürlich zunächst nur für die Aufzeichnungen. Die erste Live-Rocknacht stellte sich erst drei Jahre später ein, als das Gesamtkonzept bereits erfolgreich zu reifen begonnen hatte.
Der Kult war geboren.
Die erste Rocknacht startete am 23. Juli 1977 – verdammt. Es war die Nacht, als ich als Vierzehnjähriger mit meiner Familie im Zug saß und in den Bayrischen Wald reiste. Es sollte die einzige Rocknacht bleiben, die ich verpasst habe. Dass ausgerechnet Rory Gallagher diese Rocknacht eröffnen durfte, war alles andere als Zufall. Der sympathische Ire war eh in Deutschland äußerst populär und hatte bereits 1976 für den Rockpalast ein tolles Studiokonzert eingespielt. Die Rockpalast-Macher sah er längst als Freunde an und später bekannte Rory gerne und immer wieder, dass die Rocknacht von 1977 zu seinen besten Liveauftritten überhaupt zu zählen ist. Und der Mann hat ganz viel live gespielt. Lowell George und Little Feat waren damals eine der Top-Bands in den Staaten und folgten Rory durch die magische Nacht. Es wurde ein Stück weit ein Vermächtnis, denn Lowell starb bereits 1979 und hinterließ in der Rockwelt eine große Lücke. Roger McGuinns Thunderbyrd bildeten zur morgendlichen Stunde einen würdigen Abschluss für das Unterfangen, alte Songs der Byrds beschlossen die Veranstaltung. Von da an, so mag man als Außenstehender glauben, lief alles wie von selbst.
Ich selbst habe die Konzerte stets daheim und parallel über Radio und Fernsehen verfolgt, viele davon auf alt ehrwürdigen Kassetten mitgeschnitten. Als Schüler wurde ich dabei sehr argwöhnisch von meinem vierbeinigen Mitbewohner verfolgt, ein sehr rockaffines Meerschweinchen namens Caesar. Das Tier war stubenrein und daher gewohnt, sich frei in meiner Bude bewegen zu dürfen. Erst wenn ich selbst schlafen ging, hieß es ab in den Käfig. So gab es den Vorhang, den hier ein massives Gitter darstellte, auch in der Rocknacht schon am Abend. Während ich fern sah. Das flackernde Licht des Bildschirms in der ansonsten dunklen Butze brachte meinen Kumpel jedoch in Rage. Wieso rennt der noch herum und ich sitze in der Kiste? Man ahnt nicht, wie sehr so ein kleines Tier randalieren kann, wenn es sauer ist. Mir war' s egal, durch den Kopfhörer war ich vor Meerschweinchen-Gemecker prima geschützt.
Anekdoten aus neun Jahren Rocknacht
Wer die Rockpalast-Bücher und die Erzählungen von Peter Rüchel kennt, der weiß auch um einige Anekdoten und Episoden, die sich teilweise vor und manchmal auch hinter der Kamera vollzogen haben. So muss Patti Smith nach ihrem großartigen, aber auch emotional fast ein wenig überdrehten Auftritt diverse Stimulanzen konsumiert haben. Als spät in der Nacht Johnny Winter sein wirklich legendäres Blues- und Rock-Konzert begonnen hatte, kroch Patti wohl auf allen Vieren auf die Bühne und versuchte sich ihrem Idol, wie sie selbst immer betont hatte, zu nähern. Johnny, der bekanntlich nur sehr schlecht sehen konnte und im ersten Moment anscheinend gar nicht erkannte, was sich da auf ihn zu bewegt, soll fast panikartig auf die andere Seite der Bühne geflüchtet sein, bevor Patti von mitfühlenden Bühnentechnikern zum Rückzug bewegt werden konnte.
Aber auch Johnny selbst sorgte später für Aufregung. Nach dem stimmungsvollen Gig und zurück im Backstage-Bereich war er guter Dinge und beschloss anscheinend, vor laufender Kamera den kleinen Johnny aus der Hose zu lassen. Jon Paris, der Bassmann, erkannte diese Absicht gerade noch rechtzeitig, hielt seinen Viersaiter vor die Kamera und ersparte damit Europa Enthüllungen, die keiner gebraucht hätte.
Das alles geschah 1979, einem sehr erfolgreichen Jahr für den Rockpalast, denn in der 5. Auflage im Herbst warteten weitere großartige Highlights auf das hocherfreute Publikum. Nils Lofgren lieferte neben einem fantastischen Konzert ein geradezu sportlich zu nennendes Event ab, als er auf einem eigens mitgebrachten kleinen Trampolin einen Salto zelebrierte – während er Gitarre spielte. Diese Nummer hat er mit seinem Album "Flip" quasi auch im Studio verewigt.
Und während das begeisterte Publikum den bewegungsfreudigen Nils noch lange und anhaltend feierte, brachte ein kleiner Mann namens William S. Levise, Jr. den eigentlich sehr coolen Moderator Alan Bangs ins Schwitzen. Bill Levise ist der Welt besser bekannt als Mitch Ryder und der hatte offensichtlich schon vor seinem Auftritt eine Menge Whiskey verzehrt. Da das Gastspiel im Rockpalast für Mitch eine Art Comeback-Versuch werden sollte, fühlte der sich offensichtlich berufen, einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen, was bereits in der Umkleide zu kraftvollen Auseinandersetzungen mit der Band geführt hatte.
Später auf der Bühne nahm der Dialog zwischen Mitch und dem Publikum sowie seinen Musikern fast schon feindschaftliche Züge an und Mitchs Manager soll dem Nervenzusammenbruch recht nahe gewesen sein. Doch egal wie betrunken Mitch gewesen sein und wie verwirrend die Atmosphäre auf ihn gewirkt haben mag, gesanglich lieferte er ein Glanzstück nach dem anderen ab und seine großartige Band spielte sich in einen wahren Rausch. So wurde es eine Nacht voll purer Emotion. »That’s Rock’n’Roll, yeah«.
Die Highlights
Den Höhepunkt erlebte der Rockpalast mit seinen nächtlichen Live-Übertragungen dann in der Nacht vom 28. auf den 29.03.1981. Erstmals waren nur zwei Bands angekündigt, aber die hatten es wahrlich in sich: Die legendären Briten von The Who und die nicht minder berühmten Westcoast-Hippies der Grateful Dead – beides verdiente Woodstock-Veteranen. Die jeweiligen Konzerte kann man nur als sensationell bezeichnen und immerhin gibt es eine englische DVD vom Who-Konzert, auch wenn die unter dem etwas irreführenden Titel "30 Years Of Maximum R&B" angeboten wird. Der Gig der Deads hingegen, den sollte man damals möglichst auf Video mitgeschnitten haben, denn schon in der besagten Nacht beging der WDR ein unverzeihliches Sakrileg, als er stündlich die Nachrichten samt der Endergebnisse der Handball-Bundesliga in die laufende Übertragung einspielte und damit die Audio-Mitschnitte für alle Zeiten verdarb. Mein Video ist übrigens beim letzten Umzug auf der Strecke geblieben und ich hoffe inständig, dass irgendwann einmal eine Wiederholung im Fernsehen ansteht oder die Frage der Rechte für eine Produktion auf Scheiben geklärt werden könnte.
Aber auch das Konzert der damals nur in den Staaten sehr populären ZZ Top kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, spielten die damals in der Grugahalle doch erstmals außerhalb der USA. Ihre dort in den riesigen Stadien stets treuen Begleiter, nämlich Büffel, Stier, Bussard und Klapperschlange haben sie übrigens nicht mitgebracht. Gerockt haben sie Europa auch ohne tierische Unterstützung und waren fortan auch hierzulande ein Top-Act.
Nicht zu vergessen, dass auch Peter Gabriel zu Beginn seiner Solokarriere ein Gastspiel in einer Rocknacht gab, vier Jahre, nachdem er bei Genesis ausgestiegen war. Seinen weltumspannenden Ruhm und die gebührende Anerkennung fand er erst später, die Rockpalast-Macher zollten ihm schon 1978 den Respekt, den Peter schon in seinen frühen Schaffenstagen so sehr verdient hat.
Letztendlich muss man auch das Konzert von Johnny Winter in diese Reihe von Höhepunkten mit aufnehmen (übrigens in fantastischer Tonqualität als CD und DVD bei MIG Music erhältlich), obwohl Johnny eigentlich ein anderer Verlauf des Sets vorschwebte. Ihm lag ein großes Blueskonzert am Herzen und der erste Teil entsprach dem voll und ganz, mit dem bewegenden und hinreißenden "Mississippi-Blues" als glänzendem Höhepunkt. Doch Johnny merkte, dass die Herrschaften dort vor ihm offensichtlich auf härtere Nummern aus waren. Und so kam es zu dem legendären Ausruf: »Do you want the fucking Rock’n’Roll?«, von der frenetischen Menge begeistert mit »jaaaaaa« bekundet. Der Rest ist Geschichte, Nummern wie "Diving Duck" oder "Suzie Q" brachten eine Menge Bewegung in die Audience und zeigten, was für ein unglaublicher Gitarrist Johnny damals war.
Legenden der Musik in einer legendären Veranstaltung, so etwas hat es im deutschen Fernsehen danach nie wieder gegeben. Die groß aufgemotzten Benefiz-Veranstaltungen aus Wembley und Co wirkten dagegen wie ein aufgesetztes Show-Programm. 'Live' konnte keiner besser als der Rockpalast.
Es gab dann aber auch die Legenden, die am Ende doch nicht aufgetreten sind. Die bekanntesten sind natürlich die Rolling Stones. Peter Rüchel und der WDR standen immer wieder mal mit Mick in Verbindung, am Ende kam ein Auftritt beim WDR aber nie zustande. Darüber hinaus hätte Peter wohl sehr gerne Bruce Springsteen ins Programm genommen, dem er besonders verbunden war. Immerhin, mit Little Steven van Zandt und Nils Lofgren spielten beide Gitarristen des Boss in den Rocknächten.
Eine schöne Geschichte am Rande vollzog sich übrigens beim Gig von ZZ Top. Während der Übertragung wurde im Publikum ein Transparent aufgezogen, auf dem zu lesen war: »Rodgau Monotones grüßen ZZ Top« – die hessischen Musiker waren extra angereist, um ihre Helden live zu feiern. Gut fünf Jahre später standen sie selbst auf der Bühne und spielten ein hinreißendes Konzert, als plötzlich ein Spruchband gehisst wurde: »ZZ Top grüßen Rodgau Monotones«. Nun gut, die bärtigen Herren aus Texas waren wohl nicht persönlich dafür verantwortlich, aber der Gag hat gesessen. Allerdings waren die Monotones nicht die erste deutsche Band im Programm der Rocknächte, dieses Privileg verdienten sich ein halbes Jahr zuvor Wolf Maahn und seine Deserteure.
Das Ende
Warum das Konzept am Ende nicht mehr den Zuspruch fand wie in den Anfangstagen mag viele Gründe haben und über Internas beim Veranstalter mag ich nicht spekulieren. Es war sicher nicht hilfreich, dass die vertrauten Gesichter Albrecht Metzger und Alan Bangs zum Ende hin nicht mehr dabei waren. Mit ihnen hat man den Rockpalast genauso identifiziert wie mit Peter Rüchel selbst. Auch mag die Bandauswahl und die eingeschlagenen musikalischen Richtungen in den letzten Rocknächten den Puristen aus der Hochzeit der Rockmusik nicht mehr in den Maßen willkommen gewesen sein, wie dies in den ersten Jahren der Fall war. Ich glaube aber, dass am Ende der Zeitgeist ein Stück weit verantwortlich war, denn echte Rockmusik durchlief für viele (eben auch für meinen Eindruck) in den Achtzigern eher eine Latenzphase. Und zwischen Deutscher Welle, New Wave und Synthie-Pop war das klassische Konzept des Rockpalastes immer schwerer abzubilden. So kam es eben 1986 zu jenem, noch einmal sehr gut und schwergewichtig besetzten, letzten Event mit den leidenschaftlichen Schotten Big Country, dem Westcoast-Urgestein Jackson Browne und den Kölschen BAP. Ob man sich damals und in dieser für uns Rockfans eher unersprießlichen Zeit wohl der Bedeutung bewusst war, die das Programm der WDR-Rockpalast-Nächte in der Geschichte des deutschen Fernsehens im Nachhinein betrachtet und historisch hoch verdient einst einnehmen würde?
Viele Jahre lebte nur noch die Erinnerung daran, bis eines Tages der Gott des Rock’n’Roll ein Einsehen mit uns gehabt haben muss. Irgendwann wurde für viele der wunderbaren Veranstaltungen die Frage der Vermarktungsrechte geklärt und heute erfreuen wir uns an sehr vielen Veröffentlichungen der alten Konzerte auf CD und DVD.
Wer mehr über den Rockpalast und die dortigen Nächte nachlesen möchte, dem seien das "Rockpalast Buch" von Manfred Becker und natürlich Peter Rüchels" Rockpalast Erinnerungen" wärmstens empfohlen. Ersteres gibt es meines Wissens nach aber nur noch gebraucht zu kaufen. Am besten zieht man sich eh die Ton- und Bildträger rein, die von diesen Veranstaltungen verfügbar sind, sie erzählen wohl besser als alles andere von der Magie dieser Zeit und ihrer Musik.
Für mich war der Rockpalast die beste Ausbildungsstätte in Sachen Musik, hier habe ich Inspiration für mein ganzes Leben gefunden. Nichts hat mehr Einfluss auf meinen Musikgeschmack genommen als die faszinierenden Erlebnisse nachts vor dem Fernseher, wenn es wieder einmal hieß: Wir sind auf Sendung!
2 Kommentare
Hammer
12. Dezember 2018 um 7:47 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hallo Herr Breuer,
ich suche (ich weiss ein wenig spät) zu Weihnachten, den 1. Rockpalast mit Gallagher, little Feat, McQuinn komplett mit allem auf einer DVD!!!
Können Sie mir helfen?? Wo kann man solch eine DVD kaufen.
LG Peter
0151 4147 9950
Michael Breuer
16. Dezember 2018 um 16:28 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hallo und erst einmal ein ehrliches Sorry, weil ich die Anfrage (aus persönlich familiären Gründen) erst jetzt wahrgenommen habe!
Eine solche, zusammenfassende DVD gibt es leider nicht. Alle drei Konzerte sind als DVD im gewöhnlichen Handel zu beziehen, im Falle von Rory besonders spannend als 3-DVD-Set mit allen Rockpalast-Aufnahmen (gab es ja einige). Die kostet dann aber auch entsprechend mehr. CD-Aufnahmen, die ich auch sehr gerne dazu erwerben würde, gibt es nach meiner Kenntnis nach leider nicht (wer weiß, wie da die rechte vergeben sind). Abgesehen vom Rory-Sampler gibt es aber eine günstigere Variante, auf der auch das tolle Studio-Konzert von 1976 enthalten ist. So gesehen bekommt man die einzelnen Konzerte im Rahmen einzelner DVD Käufe für etwa 60 €.
VG Michael