Was kann man zu einem Album – selbst wenn es sich um den fünfzigsten Geburtstag handelt – noch schreiben, was nicht bereits hundertfach dargelegt wurde? Naja, zumindest dass es nach den – zugegebenermaßen großartigen – Platten "Sgt. Pepper’s Lonely Heart’s Club Band" sowie The Beatles (White Album) klar war, dass zumindest ein Teil der Bandmitglieder wieder zurück zu ihren simpleren Ursprüngen wollten. Dass dies zu Beginn der Sessions im Januar 1969 nicht alle Musiker so sahen, wird auch durch den Abbruch der Arbeiten an "Let It Be" nach einer ersten (von der Band abgelehnten) Abmischng durch den Produzenten Glyn Johns deutlich. Stattdessen spielten die Briten etwa zeitgleich bzw. direkt anschließend "Abbey Road" ein, das dann auch direkt bzw. zuerst veröffentlicht wurde. Die Stimmung war mies. Ringo Starr war bereits während der Aufnahmen zum 'White Album' einmal ausgestiegen, um jedoch nach relativ kurzer Zeit wieder umgestimmt zu werden. Als nächstes schmiss (nicht sehr viel später) George Harrison die Brocken hin, der allerdings ebenfalls wieder ins Boot geholt werden konnte.
Ein großes Problem war auch, dass John Lennon keine neuen Songs beitragen konnte … oder wollte. Er griff auf älteres Material zurück, das – wie im Fall von "Across The Universe" – allerdings alles andere als Ausschussware war. Die Entfremdung von seinen Kollegen ging dann schließlich soweit, dass er die Band (inoffiziell) im August 1969 verließ. Zwei Tracks des hier zu besprechenden Albums ("Let It Be" sowie "I Me Mine") mussten daher ohne ihn fertiggestellt werden. Die Engländer hatten mit Billy Preston hervorragende Unterstützung am E-Piano sowie der Orgel, was mich umgehend zu der Nummer "I’ve Got A Feeling" bringt, einer meiner Favoriten auf dieser Scheibe, die ihre Soul-Einflüsse nicht verheimlichen kann. Eines der Lieblingslieder des Rezensenten der Spätphase der Band ist (das bei dem Konzert auf dem Haus-Dach aufgenommene) "Dig A Pony". Für mich nicht nachvollziehbar ist, dass es Lennons bärenstarkes "Don’t Let Me Down" nicht auf das Album schaffte, sondern lediglich als Single-B-Seite verbraten wurde.
CD 2 der mir für dieses Review vorliegenden Formats wurde mit "Outtake Highlights" betitelt. Neben alternativen Takes von den Songs des Albums, einerm Jam ("The Walk") sowie diversen (eher belanglosen) Studio-Plaudereien ist hier zumindest ein Take von "Don’t Let Me Down" vom Konzert auf dem Dach des Apple Studios enthalten. Durchaus interessant, wie aber eigentlich immer am ehesten für die echten Fans, die die Liverpooler in jeder Sekunde ihres Zusammenseins erleben möchten. Vielleicht auch interessant für junge Musiker, die hier erleben können, dass auch die ganz Großen mal einen Akkord verhauen oder ein Solo versieben können.
Dennoch: Für die Fertigstellung von "Let It Be" baten sowohl John Lennon als auch George Harrison den Produzenten Phil Spector um Hilfe, der das Album dann schließlich fertigstellte. Ein Vorgang, der Paul McCartney für Jahrzehnte einen Stachel in den Allerwertesten versetzte, den er bis 2003 nicht mehr rausbekam. In jenem Jahr veröffentlichte er dann "Let It Be … Naked", eine von ihm neu abgemischte Version der Platte. Die Original-Version konnte nach ihrer Veröffentlichung (im Mai 1970, als es The Beatles schon gar nicht mehr gab) keine besonders guten, sondern lediglich lauwarme bis gemischte Kritiken einfahren, was sicherlich auch direkten Vergleichen mit "Abbey Road", "The Beatles" und "Sgt. Pepper’s …" geschuldet war.
Aus heutiger Sicht kann man der Scheibe durchaus ihre Qualität bescheinigen und davon abgesehen sind darauf nicht zuletzt absolute Beatles-Klassiker der Marke "The Long And Winding Road", "Across The Universe", "Get Back" und der Titelsong zu finden. Meine persönlichen Favoriten sind jedoch nach wie vor "Dig A Pony" sowie "I’ve Got A Feeling". Und die Sache mit "Don’t Let Me Down" verstehe ich zwar immer noch nicht, aber vielleicht muss man ja auch nicht immer alles … ihr wisst schon.
"Let It Be" ist zum fünfzigsten Geburtstag in folgenden Formaten erschienen: 1 CD, 2 CD, LP, 4 LP + 12″ EP, 5 CD + Blu-ray-Box sowie digital.
Line-up The Beatles (CD 1):
John Lennon (acoustic & electric guitars, 6-string bass – #5, bass – #6,10, lap steel slide guitar – #11, lead & background vocals)
Paul McCartney (acoustic guitars, bass, piano, electric piano, organ lead & background vocals)
George Harrison (acoustic & electric guitars, tamboura – #3, background vocals, lead vocals – #4,11)
Ringo Starr (drums, maracas – #3)
With:
Billy Preston (electric piano – #2,8-10,12, organ – #5,6)
Tracklist "Let It Be":
- Two Of Us
- Dig A Pony
- Across The Universe
- I Me Mine
- Dig It
- Let It Be
- Maggie Mae
- I’ve Got A Feeling
- One After 909
- The Long And Winding Road
- For You Blue
- Get Back
- Morning Camera [speech – mono] / Two Of Us (take 4)
- Maggie Mae / Fancy My Chances With You (mono)
- For You Blue (take 4)
- Let It Be / Please Please Me / Let It Be (take 10)
- The Walk (Jam)
- I’ve Got A Feeling (take 10)
- Dig A Pony (take 14)
- Get Back (take 8)
- Like Making An Album [speech]
- One After 909 (take 3)
- Don’t Let Me Down (first rooftop performance)
- The Long And Winding Road (take 19)
- Wake Up Little Susie / I Me Mine (take 11)
- Across The Universe (unreleased Glyn Johns 1970 mix)
Gesamtspielzeit: 35:11 (CD 1), 41:50 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2021 (1970)
2 Kommentare
Manni
11. Dezember 2021 um 14:45 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Dass dies zu Beginn der Sessions im Januar 1969 nicht alle Musiker so sahen, wird auch durch den Abbruch der Arbeiten an "Let It Be" nach einer ersten (von der Band abgelehnten) Abmischng durch den Produzenten Glyn Johns deutlich.
Die ist nun als Bestandteil der "großen" Box zum 50. Jubiläum doch noch erschienen (CD 4). Sehr naturbelassener, warmer Sound, mehr akustische Gitarren, langsamere Tempi. Trotzdem nicht ganz so "naked" wie Pauls 2003er Version, aber natürlich auch ohne jegliches Gesülze. Für mich ist das die bessere "Let It Be". Ein Hammer, die nun verfügbar zu haben.
Tracklist "Get Back LP" – 1969 Glyn Johns Mix:
01 One After 909 3:06
02 I’m Ready (aka Rocker) / Save The Last Dance For Me / Don’t Let Me Down 1:56
03 Don’t Let Me Down 4:05
04 Dig A Pony 4:13
05 I’ve Got A Feeling 2:53
06 Get Back 3:13
07 For You Blue 2:54
08 Teddy Boy 3:41
09 Two Of Us 3:29
10 Maggie Mae 0:38
11 Dig It 4:09
12 Let It Be 4:09
13 The Long And Winding Road 3:39
14 Get Back (Reprise)
Markus Kerren
14. Dezember 2021 um 18:01 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Danke für die Ergänzung, Manni.