Für die beiden Vanilla Fudge-Musiker Tim Bogert (bass) und Carmine Appice (drums) war bereits gegen Ende des Jahres 1969 klar, dass sie die Band verlassen würden, um dann mit dem englischen Gitarristen Jeff Beck gemeinsame Sache zu machen. Diesem Plan machte jedoch ein schwerer Autounfall Becks einen Strich durch die Rechnung, der den Briten (zumindest musikalisch) erstmal für ein Jahr aus dem Verkehr zog. Guter Rat war zwar teuer, aber dennoch ging alles sehr schnell. Als neue Band-Mitglieder kamen der Gitarrist Jim McCarty sowie der Sänger Rusty Day dazu, das Quartett wurde einstimmig Cactus getauft und nach dem Vanilla Fudge-Abschiedskonzert im März 1970 stand für die neue Formation bereits zwei Monate später im Mai das erste Konzert an. Und das gleich ganz groß auf einem Open Air-Konzert in Philadelphia zusammen mit der nicht ganz so leicht an die Wand spielbaren Konkurrenz in Person der Jimi Hendrix Experience, Grateful Dead sowie der Steve Miller Band.
Dennoch – oder vielleicht auch gerade deshalb – legte der Vierer mit der Nummer "One Way … Or Another" gleich mal los, wie die Feuerwehr. Und um hier sofort mal meine größte Befürchtung in die Wüste zu schicken: Der Sound auf dieser CD ist tatsächlich erstaunlich gut! Sicherlich nicht perfekt, was aber die ungemeine Spielfreude und der adrenalingesteuerte Einsatz der Musiker mehr als wett machen. Bogert und Appice waren logischerweise eine perfekt eingespielte Maschine, aber auch Jim McCarty passte hervorragend in dieses musikalische Gebilde und die drei Musiker harmonieren perfekt. Sänger Rusty Day scheint dagegen etwas zu sehr überdreht zu sein, oder anders gesagt: Der Gesang war an diesem Tag ganz sicher das schwächste Glied in einer ansonsten bereits sehr gut funktionierenden Kette.
Das Song-Material bestand bereits fast ausschließlich aus Eigenkompositionen wie "Sweet Sixteen", "One Way … Or Another" oder auch "Feel So Good" und die Band rockt derart intensiv und losgelöst, dass der geneigte Hörer gar nicht anders kann, als der Scheibe seine Aufmerksamkeit zu schenken. Und wenn ich mich eben nicht so begeistert von Rusty Days Gesang gezeigt habe, so hat er allerdings eine coole Blues Harp im Einsatz. Alle vier Musiker bekommen den Platz und die Zeit, sich nach Belieben auf ihren Instrumenten auszuleben, was speziell beim Bass-Alleingang von Tim Bogert während des Medleys bzw. bei "Oleo" jede Menge Feuer unter dem Dach entfacht. Abgeschlossen wurde die Show mit dem Mose Allison-Stück "Parchman Farm", bei dem die Band dann nochmal alles reinhaut, was sie in sich hatte. Puuh, erstmal Luft holen …
Dieses erste Kapitel im Leben von Cactus endete bereits nach drei Studioalben, da Jim McCarty nach der Scheibe "Restrictions" (1971) ausgestiegen und Rusty Day kurz danach gefeuert wurde. Bogert und Appice machten mit neuen Musikern (unter anderem dem Sänger Peter French) sowie der Platte "'ot And Sweaty" einen letzten Versuch, lösten die Band anschließend jedoch auf und es kam doch noch zur Zusammenarbeit der beiden mit Jeff Beck. "The Birth Of Cactus – 1970" verfügt (wie bereits erwähnt) nicht über einen optimalen, dafür jedoch sehr gut annehmbaren Sound, wenn man das Alter der Bänder bedenkt. Außerdem haben wir es hier mit einer Scheibe ohne Netz und doppelten Boden, sprich ohne Nachbearbeitung im Studio, zu tun.
Für Fans der Band ganz sicher eine coole Sache und super Ergänzung zu der Cactus-Live-Vollbedienung "Fully Unleashed – The Live Gigs".
Line-up Cactus:
Tim Bogert (bass, background vocals)
Rusty Day (harmonica, lead vocals)
Jim McCarty (guitar, background vocals)
Carmine Appice (drums)
Tracklist "The Birth Of Cactus – 1970":
- One Way … Or Another
- Sweet Sixteen
- No Need To Worry
- Medley: Let Me Swim/Big Mama Boogie/Oleo
- Feel So Good
- Parchman Farm
Gesamtspielzeit: 39:29, Erscheinungsjahr: 2022 (1970)
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