Mit dem Begriff 'Jugendfeuer' für die frühen Jahre des Nick Cave hat Buchautor Mark Mordue einen sehr passenden Titel gewählt. Obliegt doch dem Leser im Verlauf der Lektüre die Entscheidung, ob der australische Künstler zu Beginn seiner vielschichtigen Karriere mehr Musiker oder Mythos war. In einem Punkt verhielt sich Cave wie die Vielzahl seiner Kollegen, indem er erst einmal ablehnend auf die Annäherungsversuche des Journalisten und Buchautoren reagierte. Im Prolog schreibt Mark Mordue unter der Überschrift "Der Journalist und der Sänger" über die Präsentation des zweiten Soloalbums: »Unsere Unterhaltung war so trocken wie Wüstengras, so zäh und unkonkret, dass sie zwischendurch versiegte. Cave schien nicht das geringste Interesse daran gehabt zu haben, was ich ihn fragte oder sagte. Damals war er für seinen Hass auf Journalisten berüchtigt«, erinnert sich Mordue. Während Nick Cave damit im Gleichklang mit vielen seiner Musikerkollegen agierte, ließ sich Mordue von solchen Erfahrungen nicht entmutigen und blieb hartnäckig. Die Basis für spätere Gespräche war eine völlig andere.
Nach der ersten Begegnung 1985, die der Journalist als 'Reinfall' deklarierte, mäßigte sich das Verhältnis und Cave war fortan ein regelmäßiger und interessierter Gesprächspartner. Während das die Grundlage für die spätere Buchveröffentlichung war, waren es vor allem die vielen Aufzeichnungen von Familienangehörigen, Freunden, Musikern und anderen Weggefährten, die die Biographie gleich eines Puzzles entstehen ließen. Die Endnoten, die der Herausgeber, Buchautor und Journalist auf 30 Seiten als Anhang veröffentlichte, sprechen nicht nur für seinen Fleiß, sondern bescheinigen ihm zugleich ein akribisches Arbeiten. Das sollte kein Zufall sein. Mordue verdient sich seine Brötchen als Autor und Musikjournalist unter anderem durch seine Tätigkeit für die Zeitschriften Rolling Stone, Vogue, GQ Interview und Sydney Morning Herald. 2010 wurde er in Australien zum Kritiker des Jahres gekürt.
Mordue, der in Sydney lebt und Vater zweier Kinder ist, ist es zu verdanken, dass »schweißnasse Hände« nach dem Abbruch des ersten Gespräches schnell in Vergessenheit geraten sind. Dank der zahlreichen Interviews mit dem Hauptprotagonisten und den vielen Weggefährten zeichnet er das Bild eines facettenreichen Künstlers. Vor allem aber ist "Jugendfeuer" ein sehr privates Bekenntnis. Authentischer kann eine Biographie nicht sein. Näher kommt man an einen Künstler, den man möglicherweise nur schematisch oder in Klischees wahrgenommen hatte, wohl nicht heran,
Viele kleine Farbtupfer begleiten den Leser. Es sind gewissermaßen Etappen oder Lebensabschnitte. Einen breiten Rahmen nehmen das Leben der Familie und dabei insbesondere die Rolle der Eltern ein. Es ist nur wenig gewöhnungsbedürftig, dass die Jahreszahlen wie in einer Zeitmaschine mal nach vorn und dann wieder zurück gespult werden. Einzelne Personen lernt der Leser sehr gut kennen, darunter zum Beispiel die einstige Freundin Anne Baumgarten, der ein platonisches Verhältnis zum Titelhelden nachgesagt wurde. Anteil nimmt der Leser, nachdem der Vater bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt. Musikalische Idole des frühen Punks waren vor allem David Bowie und Singer-Songwriter Leonard Cohen.
Diese Vorbilder waren schnell benannt. Ernüchterung machte sich allerdings breit: War Bowies Musik einerseits gut für das eigene Wohlbefinden, so war dessen Musik »trotz aller Bemühungen für die Teenagerband« realitätsfremd. Nick Cave, dem in frühen Jahren »rudimentäre Gesangsfähigkeiten« bescheinigt wurden, fing zeitig mit dem Musizieren an und gab gemeinsam mit seinen Freunden der eigenen Band ungezählte Namen. Schließlich führten die unzureichenden musikalischen Fähigkeit dazu, dass der Sänger erst einmal mit bluesartiger Musik Vorlieb nehmen musste.
Die Stärke des Buches ist es, dass viele Passagen das Privatleben und damit verbunden Charaktereigenschaften beleuchten. Als »warmherzig und humorvoll« bezeichnet die bereits erwähnte Anne Baumgarten ihren geschätzten Freund. "Jugendfeuer" ist eine ungeschminkte Bestandsaufnahme aus dem Leben eines Musikers, der wie ein Außenseiter daher kommt, allerdings mit klaren Plänen, und sich mehr und mehr Sympathiepunkte verschafft. Die minutiöse Erzählung des Autors gibt dem Leser die Gewissheit, dass er ein nicht alltägliches Buch in den Händen hält, das gut informiert und in einer kurzweiligen Art unterhaltsam ist.
Angaben zum Buch:
Verlag: Hannibal Verlag; 1. Edition
Sprache: Deutsch
Übersetzung: Sabine Thiele
Originaltitel: Boy On Fire
Erscheinungsjahr: 2022
Gebundene Ausgabe, 384 Seiten
ISBN-10: 3854457332
ISBN-13 978-3854457336
Abmessungen: 14.2 x 2.7 x 21.6 cm
Preis: 27,00 Euro
2 Kommentare
Sabine Thiele
15. November 2023 um 17:53 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hi Mario! Zufällig bin ich auf diese Rezension gestoßen und freue mich sehr darüber. Großartig, daß Du das Buch umfassend besprochen hast und es Dir gefallen hat! Es ist wirklich eine wahre Fundgrube an Informationen, und Autor Mark hat da sensationelle Arbeit geleistet.
Ich finde es nur schade, daß mit keinem Wort auf die Übersetzung eingegangen wird bzw. die Übersetzerin – ich – nicht in den doch sehr ausführlichen bibliographischen Angaben auftaucht. Magst Du das vielleicht noch nachtragen? Das wäre super und eine Wertschätzung der Arbeit, die hinter so einer Übersetzung (und dieser ganz besonders) steckt 🙂
Herzliche Grüße, Sabine
uh
18. November 2023 um 19:13 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hallo Sabine,
wir haben die Informationen im Artikel entsprechend ergänzt.
Beste Grüße
Ulli