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Buddha Sentenza / Semaphora – CD-Review

Ich habe mal bei einem mehrtägigen Stoner Event mitgearbeitet und während der Veranstaltung logischerweise nicht allzu viel vom Geschehen auf der Bühne mitbekommen. Es spielten viele Bands, die ich vorher noch nie gehört hatte. Damals ist mir erstmals deutlicher bewusst geworden, dass es in der Szene durchaus eine gewisse Gleichartigkeit im musikalischen Ausdruck zu verzeichnen gibt, ganz besonders live. Da fiel es mir im Nachhinein bei einigen Bands gar nicht so leicht, mich an entscheidend unterscheidende Merkmale zu erinnern.

Dieser Gefahr begegnet man bei Buddha Sentenza aus Heidelberg ganz bestimmt nicht. Ich würde sogar ein wenig Kratzen im Hals empfinden, wenn ich die Band nun einfach mal so dem Stoner zuzuordnen versuchen würde. Nehmen wir diese Musikrichtung besser mal als Basis für eine Gemengelage, die sich vieler stilistischer Mittel des klassischen Krautrocks bedient und auch im instrumentalen Einsatz keinerlei Berührungsprobleme mit Stoner untypischen Instrumenten kennt. Postrock nahe Sequenzen gibt es ebenso wie ziemlich eindeutige, Metal verwandte Riffs im letzten Stück, wo sie mich ganz besonders an Monkey 3 erinnern. Und zwischendrin geht es immer wieder ganz schön spacig und psychedelisch zu. Bei Buddha Sentenza besteht ein extremes Ausmaß an Authentizität und Eigenständigkeit. Hier vermischen sich Stile und Sparten unterschiedlicher Segmente zu einem ganz außergewöhnlichen Klangspektrum. Und das klingt sehr faszinierend!

Eine fuzzige Gitarre kreischt, krautige Orgeln wabern, wunderschön eingebettete Breaks mit epischer Keyboard-Untermalung und zuletzt psychedelisch ziehende Kreise mit sanften Licks über einem warmen, fliegenden Tastenteppich. Heiliger Strohsack, ich spreche hier nicht von dem gesamten Album, sondern von den ersten knapp sieben Minuten namens "Jet". Wenn ich diesen Text selbst lesen würde, ohne die Musik gehört zu haben, käme mir das spanisch vor, ehrlich. Klingt alles ein wenig überfrachtet? Ist es nicht, das garantiere ich, die Musik hat einen sehr organischen Flow, da wirken die Bestandteile unterschiedlichster Richtungen wirklich sinnvoll zusammen gesetzt wie bei einem Puzzle-Spiel.

Den Begriff des Titels, "Semaphora", musste ich recherchieren, von Informatik habe ich wirklich keine Ahnung. Hocherfreut stellte der langjährige Eisenbahner hingegen fest, dass die in der Tat in der Informatik verwendete Bezeichnung in ihrer Wurzel für eine Art Signalgeber steht und sich tatsächlich von alten Formsignalen meines Arbeitgebers ableitet. Cool. Die Musik als ein Signalgeber für deine ureigenen Erfahrungen und Empfindungen, die du auf der Tour durch das Album erfährst. So ähnlich beschreibt es die Band auch im Begleitmaterial, eine Vision, die durch das schöne Cover stark unterstützt wird. Ein Spiel mit Blickwinkeln, Spiegeln, menschlichen Formen und universeller Weite.

Merkwürdig, die Rhein-Neckar-Gegend scheint ohnehin ein besonders kreatives Gebiet in deutschen Rock-Landen zu bilden, man denke nur an Space Debris, Ax Genrich und vor allem die guten alten Guru Guru, die gar nicht weit entfernt in den Siebzigern dort wirkten. Bei den großen Flüssen wurde schon immer jede Menge musiziert, aber immer zielsicher gegen den Strom. Ach ja, und Sophie´s Earthquake haben uns vor ein paar Jahren auch mit ihren wunderbar ausholenden, psychedelischen Erfindungen begeistert. Die stammen auch aus dem 'Delta' des Neckars.

Die »rockmusikalische Kulturpolizei«, wie es ein alter Kollege häufig nannte, wird erschreckt zur Kenntnis nehmen, dass sogar ein Streichersatz in "Greek Ancestry" zum Einsatz kommt, dem interessierten und weltoffenen Fan wird es sehr gefallen. Und ganz neu ist das ja auch nicht, Colour Haze, ein Stück weit Marktführer in psychedelischer Stonermusik auf unserem Kontinent haben solche Experimente ja auch schon mit großem Erfolg bewältigt. Die übrigens sehe ich stilistisch im dritten Song "Kréèn (Patagonian Lights)" als so etwas wie musikalische Paten. Und hey, die Lichter des patagonischen Inlandeises hätte ich beinahe selbst mal erforschen können, damals, als ich mich noch in den Bergen der Welt herum trieb. Wir wollten seinerzeit nur mit Schlitten gerüstet durch die Eiseswüste ziehen, wäre sicherlich ein einzigartiges Erlebnis geworden. Dass nun eine Band aus eigenen Landen mich letztlich doch noch auf einen solchen Trip führt, das berührt mich durchaus sehr positiv.

Grundsätzlich operiert die Band instrumental, die wenigen verbalen Parts werden eher als kommentierende Klang-Collage eingesetzt.
Bleibt allein das Rätsel um den spannenden Bandnamen, ich konnte es nicht wirklich abschließend klären. Gut, 'Buddha' steht für sich und 'Sentenza' ist ein italienisches Wort (heißt wohl: Urteil), aber hier hoffe ich mal als alter Film-Freak, dass sich der Name von jenem herrlich gespielten Bösewicht aus Sergio Leones genial, bösem Western "Zwei glorreiche Halunken" (im Original: "Der Gute, der Böse und der Hässliche") ableitet, einem meiner Lieblingsfilme. Das würde ja durchaus Sinn machen bei einer so spannenden musikalischen Ausrichtung: Der gutmütige Dicke und der bösartige Dünne, Extreme im Spektrum menschlicher Existenzen. Eine Metapher, die wir in Buddha Sentenzas Musik wiederfinden, wenn wir uns zwischen präzise und penibel komponierten Parts und wilden Improvisations-Exzessen bewegen. Knallharte Riffs und sanfte Meditationen. Das passt.

Künstlerischer Kreativität sind durch unterschiedliche Musik-Sparten keine Grenzen gesetzt. Zum Glück! Buddha Sentenza toben sich auf diesem Prinzip genüsslich aus und laden uns ein auf einen Trip, tief hinein in die Sphären unseres eigenen Unterbewussten.


Line-up Buddha Sentenza:

Jesus Malverde (drums, percussion)
Major Mayhem (guitar)
B.B. Blacksheep (guitar, violin)
Amnesio Bodega (bass)
Pontifex Maximus (keyboard, synthesizer)

Tracklist Semaphora:

  1. Jet
  2. Greek Ancestry
  3. Kréèn (Patagonian Lights)
  4. Laika
  5. Blood Rust
  6. The End Is Coming, We’ll Take It From Here

Gesamtspielzeit: 48:16, Erscheinungsjahr: 2016

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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2 Kommentare

  1. Mr. Malverde

    Da bin ich platt, normalerweise kommentiere ich ja keine Reviews, aber in diesem Fall muss ich sagen: Chapeau Herr Breuer! Es schmeichelt nicht nur der Band, es ist auch einfach sehr gut recherchiert und kombiniert. Es trifft auf den Punkt, welchen wir selbst nie so verbalisiert haben, aber genau so unterschreiben würden. An dieser Stelle möchte ich mich auch gerne noch als Verehrer des Italo-Western Genres outen und ergänzend erwähnen, dass in Sergio Leones "Il buono, il brutto, il cattivo" nur in der italienischen Originalfassung und in der deutschen Übersetzung Lee van Cleef ("Der Böse") den Namen Sentenza trägt (In den anderen Varianten heisst er übrigens Angel Eyes). Neben der Lesart des strafenden Buddhas ergibt sich somit auch das komplementäre Begriffspaar "Gut und Böse" – sozusagen das Ying und Yang. Diese Konklusion in einem fremden Text lesen zu dürfen, dafür sage ich Danke.

    Es grüßt aus Heidelberg,

    Mr. Malverde & Band

    1. Michael Breuer

      Dear Mr. Malverde, vielen lieben Dank für das tolle Feedback. Freut mich sehr, wenn‘s passt. Es ist gut zu wissen, dass die Instinkte nicht getrogen haben! Die unterschiedliche Namensgebung bezüglich Lee van Cleefs Rolle als Sentenza im besagten Film war mir übrigens gar nicht bewusst, da ich nur die deutsche Fassung kenne. Eure Wortschöpfung bzw. die Bezüge in Eurem Bandnamen finde ich auf jeden Fall sehr innovativ und passend zu Eurer Musik.

      Viele Grüße aus Duisburg an die ganze Band,
      Michael

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