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J Temp 13 / America Or Bust – CD-Review

J Temp 13 / America Or Bust

John Templeman wuchs auf in einer Musik-affinen Familie und stand mit sechs Jahren erstmals auf der Bühne. Er betreibt sein eigenes Label (JIB Machine Records) und hat bereits diverse Alben eingespielt, teilweise im Elektronik-Bereich, steuerte aber immer wieder auch die Musik für Underground-Movies und Kurzfilme bei. Festnageln auf eingefahrene Gewohnheiten lässt sich J Temp 13 nicht, wie John sich offiziell nennt.

Und er lockt uns prompt auf eine falsche Fährte, wenn er als Intro ein düsteres Keyboard-Szenario gemeinsam mit seinem langjährigen Kumpel Brandon Youngs auf dem Synthesizer entwirft, geradeso als wäre die Nummer in einer Zeitblase aus der frühen Berliner Schule rüber gespült worden. Aber das ist die nicht Musik, die uns auf "America Or Bust" erwartet, sondern erdig krachender Rock, der sich ebenfalls absolut nicht festlegen möchte, welche Richtung er letztlich anstrebt. Klassischer Rock’n’Roll, Metal, ein bisschen Punk, plötzlich eine Hip Hop-Einlage und am Ende sogar eine Stoner-Nummer.

Ja, vielseitig sind die Songs, die Musik basiert auf einem guten Groove und hat ihre Stärke eindeutig in den sehr soliden, kraftvollen Gitarrenpassagen. Im Grunde mutet das Set ein wenig an wie eine Reise durch die amerikanische Rockmusik, was nicht wirklich verwundert, wenn man liest, dass John auf diesem Album im Prinzip eine persönliche Rückschau auf sein Leben bietet, von der Kindheit in einer Kleinstadt bis hinein in die Pandemie – jener Zeit, wo das Album entstand. "Liberty Street" hat einen guten Beat und die kratzige Slide-Guitar über dem treibendem Bass begleiten uns hinein in gängige Hooklines und wissen diese elegant zu eskalieren. Gilt im Übrigen ähnlich für das punkige "Where Do We Play?" "Sorrow My Crooked Friend" ist eine schöne zurückgenommene Nummer, wo John seine Vielseitigkeit im Gesang nachhaltig zur Schau stellen kann. Gerade noch in röhrendem Punk ausbrechend, verleiht er gerade dieser getragenen Nummer mit eindrucksvoller Stimme Körper und Seele. Klingt für meinen Geschmack fast ein wenig wie Steve Miller.

"Kenopsia" ist auch als Single auf dem Markt, der Song markiert ganz sicher Johns Zustandsbeschreibung aus der Pandemie. Kenopsia als Seelenzustand beschreibt das unheilvolle Gefühl leerer Räume, die einst belebt und mit Menschen gefüllt waren und die Sehnsucht nach dem, was verloren zu sein scheint. Genau die Gefühle, die gerade die Künstler und Musiker während der Pandemie verfolgt haben werden. Johns aggressiver Gesang und die fetten Akkorde und Riffs der Gitarre über dem treibenden Rhythmus sind die klare Kampfansage der Band, wie sehr ihnen diese Leere auf den Geist gegangen ist. Und damit einhergehend auch das Statement, die Dinge ändern zu wollen. Sprich, endlich wieder auf die Bühne zu dürfen.

"It Ain’t Safe" entwickelt nach einem langen getragenen Intro fetten trashigen Metal mit abgehackten Riffs wie die Einschläge einer glühenden Axt. Das wilde Solo toppt die apokalyptische Stimmung perfekt und virtuos. Nun denn, "Hazey Vishion" ist dann jene Adaption moderner Einflüsse, die ich einfach mal mitnehme. Völlig überraschend wechselt die Stimmung nun in einen jammigen Bereich, der meiner persönlichen Sozialisation sehr viel näher kommt. Über einem leicht Reggae geschwängerten Drift kreiseln repetitive Hooks aus zu einem instrumentalen Ritt fern klassischer Songstrukturen. "Skeleton Key" klingt so, als habe man lediglich das Thema angerissen, da könnte man auf der Bühne noch sehr viel weiter hinaus in die Sterne treiben.

"Spark Off (2022 Version)" ist meine Lieblingsnummer auf dem Album, ein geiler Boogie, schweißtreibend wie eine Mischung aus ZZ Top und George Thorogood. Die Orgel mischt dezent als Füllmittel für kraftvolle Soundwände im Hintergrund mit, ohne eigene Akzente zu begehren. Alles ist ausgerichtet auf die Kraft der Saiten, und die gehen mächtig ab. Erinnert mich ein wenig an das Prinzip, wie Walter Trout seine Musik inszeniert, wenn er auf der Bühne steht.
Und dann geraten wir in die Welt der ganz tiefen Töne, "An Eye For All Seeing Eyes ist" eine abgefahrene doomige Stoner-Nummer, die herrlich tiefe Bezüge zu Black Sabbath generiert. Auch wenn die geltende Lehrmeinung sicherlich die Band Kyuss als den Ursprung des Stoner Rocks benennt – eigentlich haben Black Sabbath schon mehr als zwanzig Jahre zuvor diesen Weg eingeschlagen und vorgedacht. OK, der Wüstenbezug kam dann tatsächlich erst Mitte der Neunziger Jahre dazu, aber so oder so, es ist und bleibt einfach eine geile Stilrichtung, danke, dass J Temp 13 dieser Musik das Finale widmen.

Insgesamt überzeugt "America Or Bust" mit souveräner, handgemachter Rockmusik, auch wenn ich nicht jeden Ausritt in diese oder jene Stilrichtung zwingend gebraucht hätte. Aber auch das ist eine Frage nicht nur des Geschmacks, sondern auch der Generation. Daher nehme ich den kurzen Sprechgesang und die vereinzelten Grunzrock-Attitüden einfach mal als Anleihen aus Epochen hin, die halt nicht so sehr mein Ding sind. Es kann aber dem guten Gesamteindruck nicht schaden und man wird Spaß haben, wenn man bereit ist, sich auf die stilistische Fülle einzulassen. Die ist nämlich wahrlich exorbitant.


Line-up J Temp 13:

J.T. (vocals, guitar, synthesizer, bass, drums)
Brandon Youngs (synthesizer – #1, backing vocals – #3, organ, drum programming – #4,6,7,12)
Hakan Englund (guitar – #2)
Al Collins (bass – #5)
Mike Onesko (guitar – #5)
Michael Webb (organ B3 – #5,10)
Jimmy Konsta (guitar – #6)
Paul 'PF2' Resnik (keyboards – #8)
Dylan Roth (drums – #11)
J.J. Farris (guitar – #11)
David Curtis Bowling (guitar – #12)

Tracklist "America Or Bust":

  1. 1974
  2. Liberty Street
  3. Where Do We Play?
  4. Sorrow My Crooked Friend
  5. Kenopsia
  6. It Ain’t Safe
  7. Hazey Vision
  8. Skeleton Key
  9. Black Marked Streaming Service
  10. Spark Off!
  11. Magazine
  12. An Eye For All Seeing Eyes
  13. Melvin’s Desk

Gesamtspielzeit: 39:48, Erscheinungsjahr: 2022

Über den Autor

Paul Pasternak

Hauptgenres: Psychedelic Rock, Stoner Rock, Blues Rock, Jam Rock, Progressive Rock, Classic Rock, Fusion

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