«

»

Get Stoned: Sungrazer – Bandportrait

get-stoned

»Mensch, stell Dir vor«, sagte Hans Mulders aufgeregt zu mir, »wir haben heute bei Stefan Koglek unterschrieben. Wir sind bei Elektrohasch!« Euphorisch und noch voller Adrenalin nach dem gelungenen Auftritt im Siegener Vortex waren die drei Jungs von Sungrazer kaum noch zu bändigen. Sander Haagmans wusste gar nicht, wen er mit seinen riesigen Armen als erstes umarmen sollte und Rutger Smeets genoss eher still und lächelnd die erstaunlichen Ovationen, die der Band heute Abend entgegen flossen. Es war einer ihrer ersten Gigs in Deutschland, ich glaube sogar, der erste überhaupt. Die Dinge schienen einen unglaublichen Lauf zu nehmen…

Die Stoner-Szene war für einige Jahre so etwas wie meine zweite Familie. Ich habe dort sehr viele großartige nette Menschen kennen und schätzen gelernt. Ach ja, und eine Menge guter Musik natürlich auch. In meiner persönlich schwierigsten Phase, als zeitgleich meine Eltern aus ganz unterschiedlichen Gründen mit dem Tod rangen, ein Kampf, den mein Vater letztlich nicht gewinnen konnte, da waren es vor allem die Menschen aus der Stoner-Szene, die mich gestützt haben. Der aktuelle Jahresbeginn ist ein guter Zeitpunkt für etwas Neues. Mit der Serie 'Get Stoned:' möchte ich etwas zurückgeben an diese Familie und nach und nach einige der Bands in kurzen Portraits vorstellen, die mir damals wie heute wichtig waren und sind. Viele von Ihnen erfreuen uns noch in diesen Zeiten mit neuen Veröffentlichungen.

Bei Sungrazer aus der Ecke von Maastricht ist das anders. Nach den begeisternden Anfängen endete die Bandgeschichte für uns alle damals völlig unerwartet in 2013 – so blicken wir zurück auf ein kleines Stück Europäischer Stonergeschichte. Sungrazer, der Sonnenschleier, leuchtete nur kurz am Firmament der Rockmusik, aber er leuchtete intensiv und bleibt unvergessen.

Damals, Anfang Juni 2010 traf ich Sungrazer zum ersten mal und hab mich vom ersten Moment in ihren psychedelischen Stonerrock verguckt. Melodisch verträumte Läufe gegen knallharte Riffs, der wunderbar leicht schräge zweistimmige, psychedelische Gesang und die ungeheure Bühnenpräsenz der Akteure lieferten vielen Freunden in der Szene einen Grund, Sungrazer zu lieben. Und ganz sicher war es auch die ungeheure, liebenswerte Offenheit, mit der Hans, Sander und Rutger allen Leuten stets begegneten. Ich erinnere mich noch gut dran, wie mein alter Kumpel Volker völlig enthusiasmiert zu Sander sagte: »Meine Herren, wie können so junge Leute so eine klassisch, alte Musik spielen? Das ist ja nur geil«.

Sungrazer Sander

Sungrazer Sander

Die Wege mit Sungrazer sollten sich in den nächsten Jahren immer wieder kreuzen. Schon im Februar stellte unser Freund Matte von der Booking-Agentur Sound Of Liberation (und ganz nebenbei Bassist von My Sleeping Karma, die demnächst auch in dieser Serie erscheinen werden) eine große Europatournee unter dem Motto 'Up In Smoke Volume I' zusammen. Knapp drei Wochen reisten im Grundsatz drei Bands mit dem Nightliner durch die Lande und spielten jeden Tag irgendwo zwischen den Britischen Inseln und Griechenland. Eine Tour, die diverse Wiederholungen erfahren sollte. Die Erstausgabe umfasste Colour Haze, das Stoner-Flaggschiff aus München, Rotor aus Berlin und eben Sungrazer.
In Erfurt haben wir uns damals mit einer größeren Gruppe gleichgesinnter Freunde das Festival gegeben, damals sogar erweitert um zwei Bands, unter anderem auch Lonely Kamel aus Oslo. Mit denen und was die damals in Erfurt alles erleben durften, werden wir uns an anderer Stelle auch noch befassen – das war eine ganz coole und schräge Geschichte, soviel sei schon mal vorweg genommen. Nach ihrem Konzert haben wir eben mit diesen Jungs und Sungrazer das eine oder andere Bier vernichtet und unser Wiedersehen gefeiert. Viele, die damals im Vortex sozusagen bei der deutschen Geburtsstunde der Band dabei gewesen waren, hatten auch die Reise nach Erfurt angetreten, es gab viel zu erzählen. Später, als Colour Haze als Headliner längst auf der Bühne waren und Stefan Koglek seine legendären Soli in der niemals alternden Hippie-Hymne "Piece, Brothers & Sisters" zum Besten gaben, da tanzte Sander neben der Bühne vor Begeisterung. Es war schon beschaulich anzuschauen, wie der schlacksige Zweimetermann plötzlich ehrfurchtsvoll auf die Knie fiel und seinen Helden feierte.

Nur sechs Wochen später gab es eine Begegnung der dritten Art, denn beim Gods Of Groove-Festival in Weert kreuzte eine weitere Combo aus Holland unseren Weg mit Sungrazer. Es war meine absolute Lieblingsband in dieser Szene, The Machine aus der Umgebung von Rotterdam. Die Geschichte Sungrazers zu erzählen ohne Querverweise auf The Machine ist schlichtweg unmöglich. Die Musiker waren tief miteinander befreundet, teilten musikalische Auffassungen und standen vor allem immer auch für eins: Spaß an der Musik und Spaß mit denen, die sich daran beteiligt fühlen. Beinahe hätten wir das Event gar nicht erlebt, denn unsere Karre hatte kurz hinter Köln einen leichten Schwächeanfall, doch die Herrschaften des ADAC fanden glücklicherweise gute Argumente, die unser Auto zum Weitermachen motivieren konnten. Sungrazer spielten an diesem Abend zum Schluss, eine enorme Wertschätzung für so eine junge Band.

Die Verbundenheit mit beiden Bands wuchs in diesen Tagen des Frühlings 2011 ins Unermessliche. Schon zwei Wochen später besuchten wir sie in Tilburg bei ihrem Auftritt auf dem Roadburn-Festival. Wow, Roadburn ist in der Szene eine große Adresse und ich bin mir nicht ganz sicher, ich meine, dass Hans, der uns schon am Eingang begrüßt hatte, Sander und Rutger heute ein ganz klein bisschen aufgeregter waren als sonst. Logisch wäre das allemal, doch brachten sie ihre wunderbaren Nummern allesamt störungsfrei ins Ziel. Nummern, wie das herrlich psychedelisch treibende "Zero, Zero", das zu Beginn so klingt, als wäre eine späte Westcoast-Welle aus den Sechzigern über die Maas geschwappt. Ein Song, der für mich unsterblich mit den Erinnerungen an Sungrazer verbunden ist. Erst recht, wenn die Band im Verlauf des Songs Fahrt aufnimmt und uns all das zeigt, warum ihre Fangemeinde damals so rasant anwuchs.

Sungrazer Rutger

Sungrazer Rutger, R.I.P. mein Freund

Doch die markantesten Erlebnisse mit Sungrazer standen noch bevor. Der Mai 2011 sah ein ganz anderes Großereignis, mit dem man ein Jahr zuvor ganz sicher nicht hätte rechnen können. Mein Fußballverein, die Duisburger Zebras waren seit einiger Zeit recht bedeutungslos in der zweiten Liga verschwunden – doch allen Unkenrufen zum Trotz erreichten sie 2011 das Finale im DFB-Pokal. Da ich schon zuvor zwei Finals mit dem MSV live erlebt hatte, stellte sich die Frage nach einer Berlin-Fahrt erst gar nicht. Auch wenn’s sündhaft teuer war.
Verrückterweise stellte sich im Vorfeld heraus, dass an jenem Abend des Spiels im Festsaal Kreuzberg ein Stoner-Festival stattfinden würde. Man ahnt es schon, mit The Machine und Sungrazer. Auch meine späteren Freunde von Been Obscene waren damals dabei, die sollten aber schon zu Zeiten des Fußballspiels auf die Bühne gehen.
Der Rest ist Geschichte, das Spiel haben wir 0:5 verloren und ich zögerte eine Weile, ob ich an diesem Abend noch musikalisch genug sein würde für ein Live-Erlebnis. Später, als Sungrazer schon nach Mitternacht ihre Rakete mit "Common Believer" startete, war Fußball vergessen und aus voller Inbrunst grölte ich den inzwischen bekannten Text mit: »I’m wasted, I’m wasted«. Diese Zeile wurde Programm, denn ich hab mit den Leuten von Sungrazer und The Machine bis morgens um fünf in Kreuzberg gefeiert.

Für die Band dürfte dann im Juli der Auftritt am Alperstedter See der Höhepunkt des Jahres gewesen sein, obwohl sie schon im Juni erstmals bei der geheimnisvollen Duna Jam die Strände Sardiniens unsicher machen konnten. Das Stoned-From-The-Underground Festival bei Erfurt ist nach wie vor das größte Open Air Event in der Szene und mit Monster Magnet als Headliner zogen 2011 etwa 3.300 Enthusiasten in die wassernahen Felder. Sungrazer veredelten ihren Auftritt sehr zur Freude mit einem Gast, der mir ganz besonders am Herzen liegt. David Eering von The Machine spielte für zwei Songs an der Seite seiner Holländischen Freunde. Neben dem Auftritt der rumänischen The Egocentrics war das mein Highlight für die beiden 'gestoneten' Tage. Es sollte mehr als ein Jahr dauern, bis ich Sungrazer in Venlo beim Mudfest wiedertraf.

Sungrazer Hans

Sungrazer Hans

Nun ja, auch Studenten müssen zwischendurch mal wieder an die Uni und Rudger arbeitete als Lehrer – Stonerrock ernährt nur sehr wenige Musiker. Und nebenbei erschien in der Zwischenzeit das zweite Album Mirador mit dem wunderschönen "Wild Goose".
Pünktlich zum Jahr 2013 kam ein folgerichtiges Album heraus, so, wie man es nach all den gemeinsamen Live-Touren eigentlich erwarten konnte. Elektrohasch produzierte ein Split-Album mit Sungrazer und The Machine. Beide Bands stellten für jeweils eine Vinylseite drei Songs ein und gingen gemeinsam auf ihre wohl größte Europatournee. Es war Ende Februar, alles andere als Urlaubszeit, doch dieses Erlebnis wollte ich mir nicht nehmen lassen. So beschloss ich, die jeweils heimatnahen Veranstaltungen in Köln, Salzburg und München zu besuchen, um ein bisschen vom Tourflair mitzubekommen.

Im Kölner Underground steppte der Bär, als die Bands ihre Programme zum Besten gaben. Man spürte die besondere Atmosphäre zwischen den Musikern, die tiefe Freundschaft, die eben auch jenseits der Bühne Bestand hatte. Rutger spielte an diesem Abend bei den Maschinisten einen Song mit, ein Teamwechsel, der bei jedem Konzert fortan und in unterschiedlichen Varianten gepflegt wurde.

Unvergesslich bleibt der Moment in Salzburg, als endlich das Paket mit den Vinyl-Scheiben angeliefert wurde. Die Silberlinge waren rechtzeitig zur Tour fertig geworden, die LP’s kamen an jenem Abend in Österreich an. Schau mal, sagte Sander ganz ergriffen, so eine LP ist fast wie ein eigenes Baby. Und tatsächlich hielt er den Umschlag zärtlich und vorsichtig, als hätte er ein kleines Kind im Arm. Dieser Abend war so oder so ein besonderer, allein schon wegen der wirklich coolen Location im Salzburger Rockhouse, die einer Grotte gleich in den Berg gehauen scheint. Robert von Been Obscene schaute herein und ein Freund aus Rumänien war extra zur Tour angereist. Ein paar Fotos gingen per SMS sogleich an unseren Kumpel Brenn (Gitarrist von The Egocentrics) nach Timisoara. Es wurde wie immer in Salzburg eine lange Nacht und morgens um fünf gab’s in meiner Butze drüben in Bad Reichenhall den klassischen Kaspressknödel – ein gutes altes Ritual.

Sungrazer und The Machine in München

Sungrazer und The Machine in München

Den Abschluss der großen Runde über den Kontinent bildete die bayrische Landeshauptstadt München. Im Feierwerk wurde der Name Programm. Immer wieder wechselten die Besetzungen zwischen beiden Bands und später, beim finalen Machine-Konzert gingen alle drei Jungs von Sungrazer noch einmal mit auf die Bühne. Gelebte Freundschaft und so etwas wie Blutsbruderschaft in der Musik. Als ich zum Abschluss ein 'Mannschaftsfoto' mit beiden Bands schießen durfte, ahnte ich nicht, dass dies meine letzte Zusammenkunft mit Sungrazer sein würde.
Nur wenig später erklärte Rutger auf der Website der Band mit sehr kurzen Worten, dass er die Band verlassen wird, da er musikalisch dort keine Zukunft mehr sieht. Das war ein Schlag ins Kontor, keiner im Umfeld der Sungrazer-Fans hatte so etwas erwartet, schien doch der Weg der Band auf Harmonie und Erfolg geradezu gebettet zu sein. Zur unmittelbar bevorstehenden Duna Jam auf Sardinien reisten die beiden verbliebenen Jungs von Sungrazer noch ohne Rutger, Sander spielte dort mit Kadavar und dann löste sich die Band endgültig auf.

Am 08.Oktober 2015 mussten wir dann vom plötzlichen Tod unseres Freundes Rutger Smeets lesen. Ich habe es damals zeitgleich durch The Machine und einen alten Wegbegleiter aus früheren Web-Aktivitäten erfahren und es fällt mir schwer, diesen Moment in Worte zu fassen. Wenn Musiker gehen, deren Musik man gemocht, vielleicht sogar geliebt hat, dann ist das schon schlimm genug. Wenn man jedoch auch noch auf so viele freundschaftliche Berührungspunkte zurückblicken kann, dann ist das ein bisschen so, als ob ein Familienmitglied plötzlich nicht mehr da ist.
Die Geschichte von Rutger Smeets und die von Sungrazer war geprägt von guter Musik und von liebenswerten, freundlichen Menschen, von tiefem Respekt gegenüber der Musik, den Fans und den Verantwortlichen, sei es Stefan Koglek als Plattenproduzent oder Matthias 'Matte' Vandeven als Booker. Dafür haben sie in der Szene die Liebe und Leidenschaft zurückerhalten, mit der sie dort unterwegs waren. Und das allein ist es, was zählt.


Line-up Sungrazer:

Rutger Smeets (guitar, vocals)
Sander Haagmans (bass, vocals)
Hans Mulders (drums)

CD-List:

  • Sungrazer (2010)
  • Mirador (2011)
  • Split mit The Machine (2013)

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

Beiträge im RockTimes-Archiv

Über mich

News

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>