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40 Jahre Tangerine Dream – Logos / Ein Interview mit Ex-Tangerine Dream-Mitglied Johannes Schmoelling

Tangerine Dream / Logos (Cover)

Wenn jemand berufen ist ein Interview zu führen, bei dem es um ein Urgestein deutscher Musik geht, dann ist Lambert Ringlage sicherlich äußerst prädestiniert. Lambert ist selbst als Musiker und Labelchef von Spheric Music auf elektronischem Terrain unterwegs und großer Fan der Elektronik-Pioniere Tangerine Dream..
RockTimes freut sich, dass er sein Interview mit Ex-Tangerine-Dream Mitglied Johannes Schmoelling unserer Leserschaft zur Verfügung stellt.


Ein Kultalbum aus den 80er Jahren wird 40 Jahre alt: Tangerine Dream – "Logos".
Tangerine Dream hatte 1982 eine sehr kreative Phase. Mit "Mädchen auf der Treppe" feierte TD einen ihrer größten Erfolge, die sie durch ihre Filmmusik zum "Schimanski-Tatort" erzielten. Die anschließenden Konzerte wurden bei den Fans begeistert aufgenommen.

Das im Londoner Dominion mit dem Manor Mobil aufgenommene Konzert vom November 1982 wurde dann Ende des Jahres als LP herausgegeben, von Franke / Schmoelling auf LP Länge editiert und gemischt. 40 Jahre sind eine lange Zeit. Grund genug, Johannes Schmoelling, damaliges Tangerine Dream-Mitglied, nach dieser "Logos"-Zeit zu befragen.

Lambert: Wenn du an die "Logos" denkst, was fällt dir als erstes ein?

Michael Mann und Tangerine Dream (© Monica Froese †)

Michael Mann und Tangerine Dream (© Monica Froese †)

Johannes: Es ist nicht das Konzert selbst, an das ich sofort denken muss, sondern es sind die Tage davor, also vor dem 6.11.1982.
Wir wollten einen Konzertmitschnitt im Mehrspurverfahren, um damit später die finale LP mischen und editieren zu können. Dafür mieteten wir das Manor Mobil für das Dominion in London, und unsere Crew traf alle technischen Vorbereitungen.

Gleichzeitig kam eine Einladung von Michael Mann an uns, ob wir ihn am Set seines neuen Films "The Keep" nicht besuchen könnten. Er würde auch bei "The Keep" wieder mit uns zusammen arbeiten wollen. Wir hatten in 1980 zu seinem Film "Thief" die Musik gemacht.
Michael drehte seinen neuen Film in den Pinewood Studios oder den Shepperton Studios nahe London, soviel habe ich noch in Erinnerung.

Als wir dort eintrafen, führte er uns durch die Kulissen. Das Verließ (The Keep) war ungemein beeindruckend gebaut, wirkte geradezu bedrohlich auf uns und wir bekamen eine Ahnung davon, in welche Richtung der Charakter unserer Musik gehen könnte.
Am Konzertabend saß dann Michael Mann mit einigen Schauspielern im Auditorium. Nach dem Konzert trafen wir ihn kurz. Er war von dem was er gehört hatte so beeindruckt, dass er schon Teile unserer Musik mit den Bildern seines Films imaginiert hatte, er uns schon im Detail sagen konnte, welche Passagen aus dem Konzert wir unbedingt für seinen Film verwenden sollten.

Lambert: Die "Logos"-Tournee umfasste circa 30 Konzerte innerhalb von 40 Tagen. Das hört sich nach stressiger Fließbandarbeit an. Wie hast du das empfunden?

Johannes: Ja, es war schon sehr stressig. Aber zum einen war es die ideale Vorbereitung für unser Finale, das Abschlusskonzert im Dominion in London. Zum anderen wurde Tangerine Dream in England entdeckt und durch das Virgin Label von Richard Branson weltweit bekannt gemacht. Und unsere Zuhörer in Great Britain waren die treuesten Fans. Ihnen wollten wir etwas zurückgeben. Es stand also außer Frage, dass wir diesen ihren Enthusiasmus erwidern und, wo auch immer es möglich war, für sie spielen würden.

Lambert: Wie habt ihr damals technisch auf der Bühne gearbeitet? Es gab, glaube ich, noch kein MIDI.? Habt ihr mit Speichermedien gearbeitet mit DAT Rekorder oder wie muss man sich das vorstellen? Welche Keyboards kamen zum Einsatz und welches Equipment hattet ihr in euren 19 Zoll Racks?

Johannes Schmoelling (© Andreas Merz)

Johannes Schmoelling (© Andreas Merz)

Johannes: Man darf sich TD zu meiner Zeit nicht als 3-Mann-Band vorstellen: Franke, Froese, Schmoelling.
Als wir im November 1979 mit den Arbeiten zu "Tangram" in dem wunderschönen Studiosaal von Christoph in Berlin Spandau begannen, da wurde mir bewusst, wieviel technische Power hinter der Band stand. Die analogen und modularen Racks von Christoph und Edgar wurden alle modifiziert und betreut von der Firma Heinze Projekt Elektronik, wenn ich mich recht erinnere.
Die Firma Otto Bergeler, SRC, entwickelte Synchronisations-Hardware auf der Basis des SMPTE Codes, eines Videoformats zur Synchronisation bei Video Produktionen von Bild und Audio. Mit Hilfe dieser Hardware war es möglich, sämtliche Clocks der Synthesizer miteinander zu verkoppeln, sowohl für die Studios wie auch für die Bühne. Die Firma Revue entwickelte alle Lichtdesigns für unsere Shows, und alles was Bühnenbau und Bühnentechnik für unser Equipment anbelangte, erledigte die Firma Grothe.

Gerade Christoph hatte immer wieder Ideen, wie er seine genialen Sequenzen und Rhythmuspattern verfeinern, verbessern konnte. Das mit dem Begriff 'ratcheting' bezeichnete Verfahren, das Unterteilen eines Trigger Impulses in kleine Vielfache, z. B. als Triolen oder Quartolen (zum ersten mal perfekt eingesetzt bei Michael Manns "Thief" Filmmusik), das geht natürlich auf Christoph Franke zurück und nicht auf Edgar Froese, wie gerne fälschlicher Weise behauptet wird.
Seine Klangerzeuger, also Mini Moogs oder Arp Odysseys oder ähnliches, waren alle nach seinen Wünschen modifiziert worden.
Er traf sich immer wieder mit Entwicklern rund um den Globus, um seine Ideen mit ihnen zu besprechen. In seinem Rack waren schon EMU Voice Speicherkarten eingebaut, lange bevor der erste Emulator Sampler auf den Markt kam. Edgar hatte schon die ersten Produkte von Palm PPG aus Hamburg Ende der 70er in seinem Besitz. Ich erinnere mich an den PPG 1 und PPG 2.
Kurzum, die Frage müsste eigentlich an Christoph Franke gestellt werden, denn er war zu der Zeit der Innovationsmotor für die Band. Sein Wissen um elektronische Instrumente, sein Talent als Percussionist und Schlagzeuger, prägten damals den Sound von Tangerine Dream.

Lambert: Aus welchem Grund hieß das Album "Logos"? Außerdem liest man auf der Platte »Let There Be More Light«. Hattet ihr vorher Absprachen, welche Stimmungen in dem Album vorkommen sollen?

Konzertposter (© Siegfried Lindhorst)

Konzertposter (© Siegfried Lindhorst)

Johannes: Tangerine Dream hatte immer das Bestreben, ihre Musik auf der Bühne zu visualieren. Also neben dem dreidimensionalen akustischen Raum eine andere, eine visuelle Welt entstehen zu lassen.
Im Vorfeld der "Logos"-Tour hatte die Firma Revue in Berlin ein Lightdesign entwickelt, was auf der Idee einer riesigen runden Scheibe, z. B. einer Sonne basierte. Dafür hatten sie uns in ihre Firma geladen und eine Demonstration für uns aufgebaut. An einem riesigen Ring aus Rohren hingen diverse Scheinwerfer, die verschiedenste Farbgebungen annehmen konnten. Und je nach Stimmung konnte dieses runde Gebilde wie eine Sonne beleuchtet werden, oder genau gegenteilig. Darüber hinaus konnten die Schweinwerfer per externer Steuerung an unsere Rhythmuspattern oder Sequenzen angepasst werden, so dass atmende, pulsierende Lichteffekte entstanden.
Ob aus diesem Design dann sich "Logos" als Albumname entwickelte, oder die Idee "Logos" für das Album schon vorher da war, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber hier muss ich eindeutig auf Edgar Froese hinweisen. Er konnte auf ganz großartige Weise unserer Musik ein philosophisches, vielleicht auch esoterisches Fundament verpassen. Diese Begabung war neben all dem Technischen genauso wichtig – dann, wenn es um Erklärungen und Darstellungen der Band nach außen in Interviews mit z.B. Journalisten usw. ging.

Lambert: Wenn du die Touren von 1980/81 und 82 vergleichst, gab es da Unterschiede, wie hast du die Phase damals empfunden (sowohl vom musikalischen Inhalt her, von deinem Zufriedenheitsgefühl in der Band her, als auch von den Zuschauern her)?

Johannes: Für mich persönlich lag der Unterschied in den Touren 1980/1981 und 82 in Christophs Yamaha Flügel CP 70.
Als wir 1980 in seinem Studio "Tangram" produzierten, stand er schon da. Und ich mochte ihn einfach sehr gerne spielen. So kam auch die Idee auf, dass ich mit diesem CP 70 das Abendkonzert am 31.1.1980 im Palast der Republik eröffnen sollte. Und dieser Moment im Konzert ganz im Sinne des klassischen Aufführungsstils, neben all dem Elektronischen des Equipments, welches wir als Musiker oder Elektroniker auf der Bühne bedienen, eine Person auf einem akustischen Instrument solieren zu lassen, dieser Moment wurde für uns bei der Tour 1980/81 zu einem Muss. Also schleppten wir Christophs Yamaha Flügel überall hin, wo wir konzertierten und wir verabredeten, wann ich solo spielen sollte. Edgar und Christoph gingen dann von der Bühne.

Es gab für mich keine zeitliche Limitierung, keine thematischen Vorgaben. Basierend auf dem Material, was schon bei "Tangram" veröffentlicht war, konnte ich einfach improvisieren, wusste nie genau, wohin die Reise geht und ob ich durch die Anwesenheit des Publikums vielleicht über mich hinauswachsen würde.
Ich habe diese Minuten Solo-Klavierspiel genossen, erinnerten sie mich an meine Orgeldienste in meiner Jugend. Diese Zeitspanne Freiheit auszufüllen, da spürt man, wie gut oder weniger gut die ganze Musikerziehung und Ausbildung Früchte getragen hat. Ab 1982 war es vorbei, der CP 70 blieb im Studio von Christoph und meine Solo Performance war Vergangenheit.

Lambert: Es gab Passagen bei den "Logos"-Konzerten, bei den Zugaben z. B. bei "Midnight In Tula", die fast tanzbar waren. In der Düsseldorfer Philipshalle wurde man gebeten nicht zu tanzen, da andere Zuschauer dies angeblich als störend empfunden haben. Was hattet ihr für eine Vorstellung, wie man eure Musik aufnehmen soll? Ruhig sitzend auf sich einwirken lassen oder rhythmisch mitgehend?

Johannes: Als wir im Herbst 1980 die ersten Konzerte spielten, da hatte Edgar Froese für die Bühne Gazevorhänge geordert, hinter denen wir dann spielten, oder besser, einfach nicht zu sehen waren. Edgar vertrat damals die These, wir als Musiker auf der Bühne sind unwichtig, wir lenken nur qua physischer Präsenz das Publikum von ihrer Konzentration auf die Musik ab. Und auch sollte die Musik keinen Wiedererkennungseffekt haben, also wir nur Unbekanntes dem Publikum liefern. Alles was an Animation oder Beeinflussung der Band für den Zuhörer passieren könnte, war ihm ein Gräuel.

Aber über die Zeit begann sich seine Haltung zu verändern. Als die kürzeren, arrangierteren Stücke kamen, die Zugaben wie "Dominion" z. B., da konnte ich ihm auf der Bühne ansehen, wie er die Resonanz des Publikums genoss. Ob nun tanzend, oder klatschend oder sonst in Freudenposen sich ausdrückend, er konnte sehen, welch Begeisterung, Emotionen und Gefühle auch wir mit unserer Musik in der Lage waren, hervorzurufen. Und dass diese dem Menschen wesentlichen Gefühle auch Teil eines Konzertes sein müssen.

Lambert: Im Vergleich zu "Tangram" und "Pergamon" hatte man den Eindruck, dass später viel mehr durchkonzipierter und durchstrukturierter gearbeitet wurde. Hatte das einen bestimmten Grund und wer von euch hatte den Impuls so zu arbeiten?

Johannes: Diese Entwicklung war einem langen Prozess innerhalb der Band geschuldet, und kann nicht individualisiert werden. Das Konzert im Palast der Republik vom 31.1.1980 war für die kurze Kennenlern- und Schaffensphase von uns Dreien, beginnend im November 1979, vollkommen in Ordnung. Trotzdem war ich mit den langen, monotonen Improvisationsstrecken unzufrieden. Die kann man spannender gestalten durch Wechsel in den Harmonien, durch klarere Strukturen usw.. Wir wussten, dass dieser Stil der einer vergangenen Epoche war und wir einfach mehr Anstrengungen in Kompositionstechniken stecken mussten, wollten wir eine Zukunft haben.

Etwa im Sommer 1980 kam dann eine Anfrage von Michael Mann, ob wir für seinen angedachten Film "Thief" die Musik komponieren wollten. Was für eine glückliche Fügung. Und Michael mit seinem offenen, sympathischen Wesen war auch ein Glücksfall für uns. Er war in der Welt der elektronischen Musik wie auch der des klassischen Filmscoring zu Hause. So konnten wir fast freundschaftlich uns dieser neuen Herausforderung stellen und uns ausprobieren und entwickeln.
Und so verwundert es nicht, sondern war die logische Konsequenz, dass auch in diesen Jahren unsere Konzertperformance sich veränderte: mehr Struktur in den Musiken, einfach mehr Kompositionen und bessere Arrangements.

Lambert: Hast du bei den Vorbereitungen zu "Logos" viel mit Chris Franke zusammen gearbeitet? Wenn ja, wie kann man sich solch eine Zusammenarbeit vorstellen?

Johannes: Mit den Vorbereitungen zu unserer ersten gemeinsamen Produktion "Tangram" in November 1979 transportierte ich mein damaliges Equipment nach Spandau in Christophs wunderbares Studio, ein riesiger Saal, ehemals ein Kino- oder Ballsaal.
Und Chris und ich hatten uns von der erste Minute an gut verstanden, hatten gleichen oder ähnlichen Musikgeschmack. Ich konnte ihn beobachten, wie er seine Sequenzen programmierte, wie er mit den Synths so lange arbeitete, bis er mit dem Sound zufrieden war. Das war für mich eine Offenbarung. Und ich wiederum konnte ihm zeigen, wie ich mir zu seinen Sequenzen harmonische Akkordprogressionen oder auch andere musikalische Additionen vorstellte.
Er war nicht nur ein hervorragender Elektroniker und Percussionist, sondern auch ein erstklassiger Produzent. Wenn ich dann und wann zu ungestüm zu Werke ging, mich vielleicht mehr im Genre der Rockmusik oder des Rock-Jazz vergriffen hatte, dann wusste er genau, was unpassend war und nicht zum Stil von Tangerine Dream passte.
Diese Momente waren sehr fruchtbar für uns. Es gab keine bösen Worte, sondern alles passierte in einem harmonischen Miteinander. So haben wir sechs Jahre zusammen verbracht, eine enorme produktive Zeit.

Lambert: Was hatte seinerzeit bei euch Vorrang? Musik für Filme, für Konzerte oder Alben? Wurden manche Kompositionen für mehrere Zwecke verwendet?

Johannes: Vorrangig war die Erfüllung des Vertrags mit dem Virgin Label. Hier mussten wir jedes Jahr ein Album abgeben. Und diese Alben waren ja unsere Visitenkarten. Wir wollten den Status einer innovativen Elektronik-Rockband, vielleicht die innovativste weltweit, auf keinen Fall verlieren. Mit Veröffentlichung der Alben waren natürlich Tourneen angesagt, um die Alben zu promoten. Da diese Termine von Veranstaltern in Zusammenarbeit mit Virgin gebucht wurden, mussten wir unseren Terminplan danach ausrichten. Die zeitlichen Freiräume, die uns noch blieben, nutzten wir natürlich für unsere eigenen Interessen z. B. an Filmmusiken für Hollywood Regisseure oder Fernsehserien wie z B. "Streethawk" .
Und, für uns ganz existenziell, was aber oft von Liebhabern dieser Musik vergessen wird: die Pflege, Wartung und Weiterentwicklung unserer Instrumente. Hier war Christoph sehr aktiv. Er kannte die Entwickler und Hersteller in Amerika, flog oft über den Atlantik und hatte die neuesten Errungenschaften im Gepäck.

 

Lambert: Wie entstand die Sequenz zu "Mädchen auf der Treppe"? Am MFB Fricke Gerät? Und welcher Sound von welchem Gerät wurde angesteuert?

Johannes: Mein MFB Fricke Sequenzer war hier nicht beteiligt. Peter Adam, dem Regisseur dieser Tatort Folge, lag die Tanzszene mit der Hauptdarstellerin Katja in einer Diskothek sehr am Herzen. Die Verlorenheit dieser jungen Frau nach dem Verlust der Mutter mussten wir musikalisch ausdrücken. Leider gab es keine Bilder, sodass Christoph und ich uns einen Rhythmus imaginieren mussten. Chris programmierte die Percussion und der Arpeggiator meines Roland Jupiter 8 war synchronisiert. So kam die erste tiefe Sequenz zustande, in dem ich in Quarten oder Quinten oder Oktaven die Tasten bewegte. Die Tonfolge a – f – g – h – kam einfach so, ich fand sie irgendwie spannend, ohne zu wissen wohin die Reise geht.

Die nächste Sequenz kam von Christoph. Er hatte sie mit seinen Arp Odysseys produziert, wobei er das Rollende der Sequenz,16tel Noten und 32tel, mit seinen Delays erreichte. Darin war er ein wahrhafter Meister. Er wusste immer welche Delay-Zeiten sich eigneten. Das war sein Stil.

Die Streicher hatte ich auf dem Sequential Circuit Prophet 5 von Chris gespielt. Jetzt musste die Bassequenz harmonisiert werden. a-Moll, F-Dur, dann ein Gsus-Akkord, also ohne Geschlecht, ohne große oder kleine Terz als Haltestop, dann ein neuer Anlauf über h-Moll wieder zurück nach a-Moll. Damit war die Komposition über diesen Harmoniezyklus geschlossen. Zum Schluss spielte ich die Melodie: auch hier wieder mein Jupiter 8. Er ist ein Klangwunder bis heute für mich, ich bediene ihn intuitiv und habe noch nie erlebt seit ich ihn besitze, dass ich zu keinem befriedigenden Ergebnis komme.

Dieses Stück, später unter dem Namen "Das Mädchen auf der Treppe" als Super Sound-Single veröffentlicht, haben Chris und ich in einer Nacht produziert. Wie andere weitere, die danach kamen. Wir haben uns in diesen Schaffungsprozessen einfach intuitiv, kreativ verstanden, wussten genau, was wir wollten. Die wichtigen, stilbildenden Musiken aus dieser Zeit, also zwischen 1980 und 1985 sind alle in Spandau in seinem Studio entstanden.

Lambert: Du blickst ja nun auf eine lange Solokarriere zurück und hast ja direkt mit "Wuivend Riet" gezeigt, was für tolle Atmosphären du in der Lage bist zu kreieren, die auch bei TD-Fans sehr großen Anklang fanden. Bei "A Thousand Times" hast du nochmal Bezug genommen zur TD-Zeit, aber ganz besonders auf deinem neuen Album "Iter Meum". Da klingelt es manchmal wirklich in den Ohren, wie facettenreich du in der Lage bist, typische TD-Charaktermerkmale in ein neues Werk zusammenzufügen, wo man auch mal deine Handschrift von "Wuivend Riet" und "Zoo Of Tranquillity" wieder raushört. Und es ist kein billiger Abklatsch oder stupides Wiederholen alter Stilelemente, sondern ganz neu arrangierte Werke, die Stimmungen erzeugen, keine Effekthascherei, sondern ganz eigenständige Kompositionen, die Strahlkraft haben. Also ein reines Kopieren des alten Stils ist es nicht. Wie kam es zu dem Album und worum ging es dir?

Johannes: Im Frühjahr 2021 bekam ich eine Email von Kollegen mit einem Link zu einem YouTube-Video, das ich mir anschauen sollte. Es zeigte die aktuelle Tangerine Dream-Formation während einer Konzert Darbietung. Sie spielten " TANGRAM PART ……" laut Untertitel. Die genaue Titelbezeichnung habe ich vergessen.
Nur was ich da hörte, hatte mit "Tangram" überhaupt nichts zu tun. Was es auch war, urheberrechtlich müsste es mindestens eine Bearbeitung des Originalwerks von 1980 sein. Doch dazu bedarf es der Genehmigung der Urheber, also Edgar Froese, Chris Franke und meiner.
Bin ich gefragt worden?

"Tangram" war unsere erste Arbeit ab November 1979. Nicht nur aus diesem Grund, sondern auch aus Respekt und Dankbarkeit Edgar und Christoph gegenüber, trage ich dieses Werk wie eine Reliqiue vor mir her. Ich war einfach nur geschockt darüber, was ich da sehen und hören musste.

Johannes Schmoelling / Iter Meum

Johannes Schmoelling / Iter Meum

Und dann kam der Gedanke: ich muss etwas tun und das mit meinen Mitteln, musikalisch. Schließlich bin ein Zeitzeuge dieser so wichtigen Ära der EM.
Alle meine Intrumente seit dieser Zeit sind immer noch bei mir und funktionieren. Die originalen Sounds aus den 80ern sind immer noch in meinem Roland Jupiter 8 wie auch in meinem PPG Wave. Ich habe sie nie gelöscht oder überschrieben. Also, authentischer geht es nicht. Geh zurück zu den Ursprüngen, mache die Originalklänge und das Kompositorische dieser Ära wieder hörbar. Auch für den jungen, mit der Historie der elektronischen Musik nicht vertrauten Zuhörer.
Je länger und je tiefer ich in dieser Arbeit vorankam, umso mehr wurde mir bewusst, dass ich eigentlich einen Weg beschreite, vom Hier und Jetzt zurück nach 1980, der von mir selbst erzählt, mein Innenleben musikalisch spiegelt. Eine Zusammenfassung vielleicht meines musikalischen Schaffens über die letzten 42 Jahre. So war es selbstverständlich, diesem Werk den Namen "Iter Meum" zu geben.

Lambert: Einige Sounds sind recht karg und trocken zu hören, wie man sie zum Beispiel von "Wavelength" kennt. Andere Sounds von "Iter Meum" erinnern an "Thief", die wieder richtig Tiefe haben. Auch Stimmungen von "Hyperborea" kann man assoziieren. Hat es dir Spaß gemacht, die alten Klänge wieder hervorzuholen? Es war sicher ein anderes Arbeiten als du es sonst gewohnt warst?

Johannes: Ja und nein.

Die Stücke "Mementos" und "Cantus Firmus" auf der "Iter Meum" stehen repräsentativ für diese Arbeitsweisen, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Sequenzen, wie ich sie z. B. für Filmmusiken wie die zu Ridley Scotts Film "Legend" 1985 gemacht hatte, hatte ich schon in den 2000er Jahren digitalisiert und gespeichert. Diese wieder zum Leben zu erwecken war ein Leichtes. Mit der richtigen Software ist das ein Kinderspiel. Nur wollte ich keine Kopien erzeugen, sondern neue Pattern komponieren, die allerdings den Klangcharakter dieser Zeit spiegeln und so die Stimmungen von damals wiedergeben.
Die Originalklangfarben aus meinen Instrumenten, wie schon erwähnt dem Jupiter 8, PPG 2.3 oder auch Oberheim Matrix 6 waren schnell gefunden. Veränderungen in der Akkordfolge, Veränderungen von Harmonien in ihrer tonalen Struktur, aber immer noch nahe am Original, das waren die Zutaten, mit denen ich gespielt habe und die diesen Charakter vom Bekannten aber trotzdem Neuen erzeugen.

Der genaue Kontrast dazu ist die Herangehensweise bei "Cantus Firmus". Die Basis dieser Komposition ist eine Abfolge von vierstimmigen Harmonien, die ähnlich einem Choralvorspiel ein Organist intonieren würde, bevor die Gemeinde den Choral anstimmt. Mich erinnerte das an meine Jugend, wo ich ab 1965 als junger Organist in einer Delmenhorster Kirchengemeinde tätig war. "Iter Meum", über 1985 hinaus bis hin zu 1965? Warum nicht.

Das Stück "Cantus Firmus" ist eigentlich eine Kammermusik. Es gibt ein Grundmetrum, aber jede Stimme ist einzeln geführt und atmet selbständig, eben wie ein Instrumentalist in einem Ensemble. Und das zu einer Einheit zusammenzufügen, eine Partitur aller Stimmen zu schreiben, darin lag die Herausforderung für mich.

Lambert: Die ersten Reaktionen zu "Iter Meum" hören sich vielversprechend an. Ein Weg, den du vielleicht fortsetzen möchtest? Die Jupiter und PPG Sounds haben ja einen besonderen Charme, den die TD-Fans lieben.

Johannes: Erst einmal bin ich froh, dass die Resonanz auf dieses Album so positiv ist. Ich fühle mich in meinen Beweggründen zu diesem Album verstanden und bestätigt. Meine mir selbst auferlegte Verpflichtung und Verantwortung, als Zeitzeuge zurück zu den Ursprüngen zu gehen, ist damit erfüllt.
Neben meinen Soloarbeiten bin ich ja auch Teil der Band S.A.W.. Mit Kurt Ader, Robert Waters und Andreas Merz bin ich der vierte im Bunde. Und hier genieße ich die Vorzüge, dass Verantwortlichkeiten auf vier breite Schultern verteilt werden.

Diskographie (Auszug und lieferbar über Spheric Music):

  • Tangerine Dream – Logos (Remaster 2020) (1982)
  • Johannes Schmoelling – Wuivend Riet (1986)
  • Johannes Schmoelling – Early Beginnings (1979-85) (2008)
  • Johannes Schmoelling – A Thousand Times (2009)
  • Loom (mit R. Waters & J. Froese) – Scored (2012)
  • S.A.W. – Iconic (2020)
  • Johannes Schmoelling – 20 (2020)
  • Johannes Schmoelling – 21 (2021)
  • Johannes Schmoelling – Iter Meum (2022)

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