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Saxon – Konzertbericht, 11.03.2023, Musikhalle Markneukirchen

Musikhalle Markneukirchen

Wie beginne ich einen Text, in dem es ausschließlich nur um Musik und um Traditionen geht? Britische Heavy Metal-Legende spielt in einer Region im Vogtland, die seit mehreren Jahrhunderten Vorreiter auf dem Gebiet der Produktion von Musikinstrumenten ist. Im Mittelpunkt des Geschehens steht die 1995 eröffnete Musikhalle in Markneukirchen. Das probate Mittel lautet: Schalter umdrehen und alles bereits Erdachte über Bord werfen, denn manchmal wird Geschichte plötzlich neu geschrieben…

Am Vorabend des Saxon-Gastspiels am 11. März 2023 wurde bekannt, dass Gitarrist Paul Quinn aus dem Tourleben seiner Band aussteigt und damit nur noch bis zum Ende der aktuellen Europatournee zur Verfügung steht. Der 71-Jährige, der seit der Bandgründung 1976 wichtiger Bestandteil von Saxon war, möchte nicht gegen den mit Liveaktivitäten verbundenen Stress und die Müdigkeit antreten, die ebenfalls mit dem Touralltag verbunden sein kann.

Das Schlagzeug bedient Vassilios 'Lucky' Maniatopoulos (Rage)

Das Schlagzeug bedient Vassilios 'Lucky' Maniatopoulos (Rage)

Einen Tag später wissen die Fans zwar, wohin die Reise für Paul Quinn führt, doch die Musiker um ihn herum verlieren darüber kein Wort. Dramaturgisch sollte es im Verlauf des Abends aber noch deutliche Zeichen geben. Der Abend begann zunächst überpünktlich mit Rage, die 50 Minuten zeigten, dass sie zurecht als eine Institution in der deutschen Heavy Metal-Landschaft gelten. Bereits 1984 gründete Bassist und Sänger Peter "Peavy" Wagner die Band unter dem Namen Avenger. 1986 folgte die Umbenennung, weil es damals eine gleichnamige Formation in Großbritannien gab. Lange waren Rage als Trio unterwegs. Aktuell stehen sie wieder als Quartett mit zwei Gitarristen auf der Bühne.

Bis heute schlagen bei Rage 24 Studioalben zu Buche. Damit ist klar, welche hohe Produktionshäufigkeit es in ihrer 39-jährigen Karriere gab. Rage stehen für Speed Metal, für melodische Stücke und für ein breites Spektrum, das auch in Markneukirchen abgerufen wurde. 'Peavy' überzeugte mit einfachen Moderationen in knapper Form. Der Frontmann bedankte sich mehrmals bei Saxon für die Einladung, um auf deren Tour mitwirken zu dürfen. 1992 hätte es die erste Begegnung zwischen beiden Gruppen gegeben. Während der damaligen Tour waren noch Motörhead dabei. Übrigens wurden Motörhead nur ein Jahr vor Saxon, 1975, gegründet. Rage waren zum erwähnten Zeitpunkt (1992) ein Trio, so wie einst Motörhead.

Wer Rage lange Zeit nicht mehr gesehen und gehört hatte, durfte beruhigt zur Kenntnis nehmen, dass sich das musikalische Rezept nicht grundlegend geändert hat. Dazu zählten ebenfalls die laut 'Peavy' gespielten »Oldies aus der Klamottenkiste.« Er und seine Mannen stehen für bodenständiges Musizieren. Ohne Zweifel darf man die Truppe aus Herne als eine Band der alten Schule einordnen. Aber auch neue Fans aus der Metalszene sollten ihre Freude an dieser Band finden. Mit ihrem Auftreten und mit ihren musikalischen Darbietungen waren sie für den Konzertabend mit Saxon eine Idealbesetzung für den Support. Es war die passende Truppe zum Warmmachen. Dank ihres 'erwachsenen' Bandalters von 39 Jahren dürften wohl die meisten Besucher eine Beziehung zur auserwählten Vorband haben.

Schlagzeuger Nigel Glockler ist ebenfalls ein Saxon-Urgestein

Schlagzeuger Nigel Glockler ist ebenfalls ein Saxon-Urgestein

Saxon starteten ihren Block mit "Carpe Diem (Seize The Day)", dem Titelsong ihres aktuellen Albums. Sie überraschten anschließend damit, dass die Tracklist gegenüber der Herbsttour der anstehenden Seize The Day World Tour völlig verändert war. Das fing bei der Reihenfolge an und erschloss sich über Lieder, die vor einem halben Jahr nicht zu hören waren.»’Crusader' or 'The Eagle Has Landed'?«, wollte Sänger Biff Byford vom gut aufgelegten Publikum wissen. Die Abstimmung aus über 1.000 Kehlen fiel eindeutig aus. Dabei stand der Wahlsieger "Crusader" während der Tour Ende 2022 nicht im Programm.

"Crusader" ist nicht nur einer der Ohrwürmer, der Klassiker setzte einen dramaturgischen Akzent. Fortan gab es für die meisten der nachfolgenden Lieder jeweils ein kleines Zeitfenster, in dem ein Soli für Paul Quinn reserviert war. Optisch wurde das Ganze noch aufpoliert, ohne dass es während des Konzertes einmal ein offizielles Statement zum Ausscheiden des Gitarristen gab. Paul Quinn war ohnehin in einer besonderen Verfassung: Gab er gleich zu Beginn seine sonst übliche Zurückhaltung auf, so legte er im weiteren Verlauf seine Schirmmütze ab. Er spielte munter seinen Stil, dennoch schien er sich auf einen Flirt mit dem Publikum einlassen zu wollen. Paul Quinn, an dessen Seite als zweiter Gitarrist seit 1995 Doug Scarratt steht, galt für mich immer als Perfektionist, der sich stark in den Dienst seiner 'Mannschaft' stellte.

Wie es aber während des Konzertes tatsächlich in ihm aussah, ob er in Gedanken vielleicht frühere Konzertteile Revue passieren ließ, wissen wohl nur die engsten Verbündeten im Kollegenkreis oder Freunde und Familie. Wenn überhaupt. Dank der Soli schlüpfte der Gitarrist in eine besondere Rolle, die dem Anlass angemessen war. Doch war "Crusader" kein Einzelfall, denn alles, was das Fanherz erfreut, erklang während des Konzertes ("Motorcycle Man", "Dallas 1 PM", "747 (Strangers In The Night)", "Prinzess In The Night" u.a.m.). Die Besucher in Markneukirchen schienen angesichts des breit gefächerten Repertoires nicht nur rundum glücklich, sie waren es augenscheinlich auch. Band, Publikum und Location – alles passte an diesem denkwürdigen Abend im 'Musikwinkel' bestens zusammen.

Die Headbanger-Fraktion bei Saxon

Die Headbanger-Fraktion bei Saxon

Ein Musiker verabschiedet sich still und leise von der Bühne. Die Begeisterung im Publikum trägt ihn. Wobei ich die Begeisterung der Zuhörer in Markneukirchen derart interpretiere, dass hier Menschen mit Sachverstand und der Fähigkeit zum stillen Genießen agierten, Textsicherheit inklusive. Also kein bloßes Ausflippen, sondern das Bewusstsein, etwas Großes erlebt zu haben. Neben den älteren Stücken stand bei Saxon das aktuelle Album "Carpe Diem" klar im Fokus. Mit "Solid Ball Of Rock" war ein Titeltrack vom gleichnamigen 1991er Album zu hören. Die Besonderheit der einstigen Studioproduktion: Fünf der elf Lieder Tracks wurden vom damals neuen Bassisten Nibbs Carter geschrieben.

In Markneukirchen hat sich der Vorhang für Saxon-Gitarrist Paul Quinn geschlossen. Es hat den Anschein, dass dessen Abschied vom Livegeschehen ohne Schmerz und Trauer für alle Beteiligten vollzogen werden soll. RockTimes bedankt sich im Namen der vielen Fans stellvertretend bei dem zuverlässigen und fleißigen Musiker und wünscht ihm für seine weitere Zukunft persönlich nur das Beste.

Ein großes Dankschön geht an Ute Kromrey von promotör für die Fotoakkreditierung und den Platz auf der Gästeliste.

© Fotos: Mario Keim


Line-up Rage:

Peter 'Peavy' Wagner (vocals, bass)
Stefan Weber (guitar)
Jean Bormann (guitar)
Vassilios "Lucky" Maniatopoulos (drums)

Line-up Saxon:

Biff Byford (vocals)
Paul Quinn (guitar)
Doug Scarratt (guitar)
Nibbs Carter (bass)
Nigel Glockler (drums)


Rage


Saxon

 

Über den Autor

Mario Keim

Musikstile: Heavy Rock, Rock, Deutschrock, Hard Rock
Marios Beiträge im RockTimes-Archiv

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