Freitag Abend, halb zehn in Deutschland. Ein weiterer grauer, trüber und nasser Wintertag geht zu Ende und der nächste Urlaub ist noch Lichtjahre entfernt. Wer das Mistwetter leid ist und wenigstens mal kurz ein bisschen Sommer-Sonne-Sonnenschein braucht, der könnte neben der DVD des Rockpalast-Auftritts von Aswad, die der sehr geschätzte Kollege Markus bereits vorgestellt hat, natürlich auch zu drei Seiten edlem Vinyl greifen. Heizung hoch, leichte bunte Klamotten an und ein leckerer fruchtiger Cocktail sorgen für das passende Ambiente. Räucherwerk (wer’s mag) als Tüpfelchen auf dem 'I' und schon ist das Karibik-Feeling da…
Sehr viele religiös inspirierte 'Jah'-Lyrics ziehen sich durch die Aufnahme, die mit "Only Jah Children" gleich mal zeigt, wo der Hammer schwingt. Die Songs der Migranten von Aswad sind so typisch Reggae, fast schon klischeehaft rootsig, dass sie sofort im Ohr hängenbleiben. "I A Rebel Soul" (die inkorrekte Grammatik machts besonders authentisch) könnte ohne weiteres aus dem Marley-Clan stammen. Aber auch die frühen UB40 gehen mir durch den Kopf, gerade beim nächsten Titel "Back To Africa". "Sons Of Criminals" mit diesem herrlich rollenden 'RRR' und der magenkitzelnden Tiefe der Gesangsstimme macht auch ganz nett warm um’s Herz. Auch wenn, zugegebenermaßen, der Text als Gegenbeweis herhalten könnte, wenn mal wieder jemand behauptet, nur deutsche Songtexte wären banal bis peinlich. Aber Schwamm drüber, das Wetter da draußen nervt dermaßen, dass die Perkussion und der Groove als Gegenmittel gegen die Tristesse allemal taugen. Und vom unvermeidlichen Mitmoven werden auch die Füße warm. Das ist auch gut so, denn schon steht der Gang zum Plattenspieler an, zwecks umdrehen.
"Concrete Slaveship" eröffnet die zweite Seite der ersten Platte und lässt neben typischem Roots Reggae auch mal die E-Gitarre brillieren. Zwar nur etwa in der Länge, die der gute Lemmy einem Gitarrenriff zugestanden hat (»nicht länger als es dauert eine Bierflasche zu köpfen«), aber immerhin… "Rainbow Culture" hat ein paar erste elektronische Soundeffekte mit im Gepäck. 80er Jahre halt, Hauptsache Synthie! Auch der Chorgesang ist stellenweise typisch 80er und gar nicht mal soweit von Trio und anderen Zeitgenossen entfernt. Geradezu experimentell und futuristisch mutet das Intro zu "Not Guilty" an. Da sind Elektronikspielereien drin, die zig Jahre später mit Lasershow und fettem Bass jeden Rave bereichert hätten. Dominierend bleibt aber trotzdem der Reggae. Hier schließe ich mich Markus an, nicht, dass man das nicht schon so ähnlich etliche Male gehört hätte, aber die Mischung ist durchaus interessant. Gerade bei "Not Guilty" frage ich mich, ob da neben Kraut nicht auch Acid oder Pilze inspiriert haben.
Die dritte Plattenseite beginnt mit "Three Babylon", bei dem das Tempo im Vergleich zur ersten Platte deutlich angezogen hat. Es wirkt bei weitem nicht mehr so relaxt, sondern teils recht experimentell, stellenweise sogar ein wenig konfus. Und nach der Zugabe "Natural Progression" ist dann auch schon Schluss. Die Cocktails sind leergeschlürft, der graue deutsche Winter hat uns wieder! Doch egal, ob man so einen Miniurlaub nun mit geschlossenen Augen und Vinyl erleben mag oder lieber die bewegten Bilder der DVD mag, ein bisschen Sonne bringt Aswad auf jeden Fall ins Wohnzimmer.
Line-up Aswad:
Brinsley Forde (rhythm guitar, lead vocals)
Angus Gaye (drums, lead & background vocals)
Tony Robinson (bass, background vocals)
Dennis Levi (percussion)
Clifton Morrison (keyboards)
Martin Augustine (lead guitar)
Tracklist "Live At Rockpalast – Cologne 1980" LP:
- Only Jah Children
- I A Rebel Soul
- Back To Africa
- Sons Of Criminals
- Concrete Slaveship
- Rainbow Culture
- Not Guilty
- Three Babylon
- Natural Progression
Spielzeit: 21:19 (Side 1), 18:22 (Side 2), 18:35 (Side 3), Erscheinungsjahr: 2017
Neueste Kommentare