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Robert Schroeder / Velocity – CD-Review

Robert Schroeder - Velocity

Robert Schroeder, so könnte der Nachbar heißen. Fans der elektronischen Musik und da besonders der sog. Gattung Berliner Schule, verbinden mit diesem Namen sicherlich nicht den typus vulgo, sondern einen Musiker, der sich seit fast vierzig Jahren der elektronischen Musik hingibt.

Und das mit einem enormen Backkatalog, denn das im März erscheinende Album "Velocity" ist das 36te Soloalbum des Aacheners. Das Veröffentlichungsdatum ist gut gewählt, denn am 18. März 2017 wird Robert Schroeder in Bochum der 'Schallwellen-Ehrenpreis' für sein Lebenswerk überreicht.

Das begann in den Siebzigern an der Gitarre, die aber alsbald gegen Synthesizer ausgetauscht wurde. Auf das reine Spielen war Roberts Interesse und Liebe allerdings nicht beschränkt: Er tüftelte, entwickelte und baute eigene Geräte und verband somit Elektrotechnik und Musik – zwei Gebiete, die gerade bei elektronischer Musik durch keine Grenzzäune getrennt sind.

In den Siebzigern knallten geile Alben fast im Wochenrhythmus in die Plattenläden und es gab für jeden Geschmack die passenden Scheiben. Klar, dass man zu der Zeit und mit den Interessen bzw. Vorlieben an Pionieren wie Tangerine Dream oder Klaus Schulze nicht vorbeikam. Besonders Letztgenannter war dann quasi der Hohe Priester für Robert. Seine Verehrung für Schulze ließ ihn seinen zweiten Sohn ebenfalls auf den Namen Klaus taufen und er gewann den Musiker gar als Taufpaten für sein Kind. Dann ging es wie im Film weiter, denn bei der Tauffeier lief Roberts Musik und Klaus Schulze spitzte die Ohren …

Roberts erstes Album "Harmonic Ascendant" (1979) erschien dann konsequenterweise auf dem gleichen Label, auf dem auch Schulze veröffentlichte. Und klar, dass u. a. auch Klaus Schulze von Schroeder entwickelte Geräte einsetzte.

Nun ist elektronische Musik ja bei vielen Rockfans nicht unbedingt die erste Wahl. Schuld sind da sicherlich auch die massenhaft produzierten Minutenfüller, die so gerne in Arztpraxen dudeln, oder die man unter dem Mantel Esoterik zur Entspannung und Selbstfindung anpreist. Die Berliner Schule darf man damit allerdings nicht vergleichen und so sind Platten von Vertretern dieser Richtung auch gern gesehene Alben in Rockhaushalten.

Schroeders Kompositionen sind auch immer geprägt vom Erforschen neuen Terrains und so wurden auch mal galaktische Radiosignale so verstärkt und gewandelt, dass sie für das Album "Galaxie Cygnus-A" brauchbar waren.

Wichtiges Merkmal der Berliner Schule sind sich wiederholende, Sequenzen, die dann dem Musiker als Basis für Exkursionen und Experimenten dienen. Auch "Velocity" ist Sequenzer-betont und glänzt dabei zusätzlich mit spannender Dynamik und traumhaften Ausflügen in irreale Landschaften. Hinzu kommt, dass die Stücke – wie man vielleicht meinen könnte – nicht einfach nur aus wabernden Tastenfolgen bestehen und dem Hörer vorhersehbar entspannt die Zeit vertreiben. Nein, die Musik baut Spannung auf und lässt einen immer im Ungewissen, was kommt. Hinzu kommen perkussive Elemente, die durchaus zum Nackenmuskulaturtraining einladen, wie z. B. im genialen "Xpress Yourself".

Ich erwähnte bereits die Dynamik, die mal offensiv, aber auch unterschwellig dem Album innewohnt. Diese gibt den von Natur aus repetitiven Sequenzen einen gehörigen Schub und zeigt, dass die alte Berliner Schule noch lange nicht tot ist. Ja, dass die man die Klassenräume auch streichen und neue Fenster einbauen kann.

Velocity bezeichnet bei anschlagdynamischen elektronischen Tasteninstrumenten die Druck- bzw. Anschlagstärke und die Dauer einer niedergedrückten Taste. Hiermit lassen sich Klänge vielfältig beeinflussen, von sehr sensibel bis hin zu kräftig und aggressiv.« So steht es im Begleitschreiben und diese Beschreibung erklärt den Albumnamen perfekt.

Die Rhythmik, die den sieben Tracks über die Sequenzen gelegt wurde ist bemerkenswert. Man kann das Album – trotz meiner obigen Bemerkung – selbstverständlich meditativ einsetzen, indem man im flauschigen Sessel die Augen schließt und an der Reise durch die Klangwelten teilnimmt. Man kann sich aber auch offenen Auges dazu bewegen. Robert Schroeder hat das Händchen, dem Hörer alle Möglichkeiten offen zu lassen und ihn in kein Korsett zu zwingen. Aber in der Arztpraxis möchte ich "Velocity" nicht vorgesetzt bekommen, denn es wäre unmöglich, beim Aufrufen des Namens das Wartezimmer zu verlassen. Man wüsste dann nämlich nicht, wie der gerade laufende Song weitergeht.

Das käme auch bei "Psychedelic", dem zweiten Stück aus dem Reigen der allesamt hervorragenden Tracks, das ich erwähnen möchte, einer Sünde gleich. Monumental, stellenweise treibend und doch mit einer fast heilenden Ruhe versehen, schraubt sich dieses Monster  durch viele Minuten. Breaks und emotionsgeladene Momente, lassen den Zuhörer auf einer musikalischen Berg und Talfahrt durch den (Klang)Kosmos gleiten. Ein Song, den es auf Rezept geben müsste!

Ja, Robert Schroeder bekommt den 'Schallwellen-Ehrenpreis' zu Recht


Tracklist "Velocity":

  1. Velocity Of Flow (11:27)
  2. Strenght Of Pressure (8:44)
  3. Xpress Yourself (7:54)
  4. Aftertouch (7:28)
  5. Velocity (9:36)
  6. Ribbon Control (8:37)
  7. Psychedelic (10:35)

Gesamtspielzeit: 64:12, Erscheinungsjahr: 2017

Über den Autor

Ulli Heiser

Hauptgenres: Mittlerweile alles, was mich anspricht
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