Die Reise geht weiter. Und wenn die Gitarre im Opener "A Gentleman’s Bet" beginnt, ihre Schwingungen gen Hörers Kleinhirn zu schicken, möchte man nur eins: Aufhören zu schreiben, die Augen schließen und Phileas Foggs Fußstapfen, oder besser der Band Nautilus folgen, die nach dem 2022er A Floating City wieder auf Jules Verne setzt. Lag dem letzten Studioalbum der Roman "Eine schwimmende Stadt" zugrunde, so macht der Name des ersten Stückes klar, dass es sich beim neuen Album nur um "In 80 Tagen um die Welt" handeln kann.
Das Booklet hält uns die Lyrics der Platte bereit und informiert, dass Eroc für den leckeren Klag verantwortlich zeichnet. Überhaupt und Gottseidank muss man sagen, dass der alte Grobschnitt-Haudegen an sehr vielen Produktionen aus deutschen Landen beteiligt ist. Musik wie die von Nautilus würde auch funktionieren, käme sie in Transistorradio-Qualität daher, denn gute Musik bleibt gut und schlechte will man über High End eh' nicht hören. Aber über zwei A-300 aus Yokohama und zwei Nautilus aus England ist das dann doch eine andere Hausnummer, und da muss die Quelle vom Feinsten sein. Ihr seht, ich bin nicht nur musikalisch gerade auf einer Traumreise, denn A-300 Amps und Nautilus Speaker sind wie Grundstücke auf dem Mond: eigentlich unerreichbar.
Ganz leicht zu bekommen sind die Reisunterlagen für den vorliegenden ohralen Trip um die Welt: digital über Fuego und bei Sireena als Polycarbonat.
Ich stecke noch immer in der ersten Nummer fest, denn die Machart, die Assoziationen, das Feeling und die Stimmung des Stückes "A Gentleman’s Bet" aktivieren in meinem Kopf Synapsen, die auf Musik aus den Siebzigern und dort auf Bands wie Jane oder Novalis reagieren. Nautilus war ja früher stärker elektronisch unterwegs, steuerte aber nach dem Weggang Ralf Obels mehr in Richtung Prog- und Art Rock. Nachdem Obel die Band verlassen hatte, war Martin Ludwig das einzig verbliebende Gründungsmitglied des als Duo gestarteten Projekts Allerdings war von Anfang an der Unterfranke Werner Strätz irgendwie dabei. Sporadisch, bis er 2001 festes Bandmitglied wurde. Später folgte mit Jürgen Dürrbeck ein neuer Mann an den Tasten und als letzter Zugang ist Meiko Richert zu nennen.
Natürlich hat die Elektronik nach wie vor ihren Platz. Jürgen und Martin sind mit Sequenzer und Synthesizer auch schon mal präsenter, wie z. B. im Longplayer "Travellers Without Time", bei dem der elektronische Rhythmus stoisch antreibt, da ja keine Schießbude vorhanden ist. Zur überwiegend sphärischen, stellenweise gar krautigen Musik ist das Fehlen von Fellen nicht wirklich tragisch, wenngleich ich gestehen muss, dass es mich schon interessieren würde, wie Nautilus mit Drummer rüberkommen würde.
Allerdings lässt mich der an viele seiner Kollegen aus musikalisch ähnlichen Welten erinnernde Strätz nicht lange an so etwas denken, denn sein auch öfter an Gilmour erinnerndes Spiel ist einfach fesselnd – auch im Verbund mit dem Keyboardspiel der beiden Tastenmänner. Herrlich, wie das manchmal rüberkommt – so sehe ich in "Donkeys And Sheep" doch tatsächlich ein altes Harmonium vor meinem geistigen Auge ….
Aber auch Meikes Stimmbänder wissen zu überzeugen. Man höre nur mal "Wherever You Go", wo er mit seinen Vocals führt, bis dann Werner mit einem harten Gitarreneinsatz einbricht, das er gemäßigter in "Crusading Lights" fortführt. Zarte und unaufdringliche Elektronik mischt sich ein und man darf Nautilus attestieren, dass sie zwischen krautigen Gitarrentunes und progressiver Elektronik perfekt navigieren. Neben den handwerklichen sind auch die songwriterischen Fähigkeiten nur perfekt zu nennen. Melodien und Harmonien, die mehr als einmal zum Niederknien einladen, tauchen wie aus Wolken auf und ergießen sich in die Ohren des Hörers.
Das herrliche "Sheep" soll als Beispiel dienen, wie traumhafte Keys neben akustischen Gitarrenakkorden wabern und sich über beide dann die Sologitarre ergießt. Was für eine tolle musikalische Reise – so ganz anders als die des Gentleman Phileas Foggs und seinem Diener Jean Passepartout in Vernes Roman.
Nicht alle Stücke sind mit Gesang und so gibt es in den instrumentalen Nummern etwas mehr aus den Schaltkreisen, wie etwa in "To Another Dimension", wo sich Rhythmus und 'Schlagzeug' eher an das Ohmsche Gesetz, denn an muskuläre Aktivitäten halten. Wer kein Freund elektronischer Musik ist, braucht aber keine Bedenken zu haben, denn "When Time Is Just A Word" ist eine dieser Platten, die wohl bei Musikfreunden jeglicher (guten) Couleur punktet.
Schön, dass in "Country Of Stars" und "Back Home In Silence" aus dem Roman zitiert wird. Bei letztgenannte, Stück auch in der Sprache Jule Vernes, was dem Track etwas Besonderes verpasst, wie das auch an vielen Stellen die Backings von Katja Weigel tun. Ein schönes Beispiel dafür ist "Rainbow Tears", in dem neben einem starken Gesangspart, der mich an irische Kneipen erinnert, wieder diese starke Kombi aus akustischer und elektrische Gitarre zu hören ist.
Mit "When Time Is Just A Word" ist Nautilus wieder ein starkes Album gelungen und ich möchte mich selbst mit meinem letzten Satz aus "A Floating City" zitieren: »Weiter so, der gute Jules hat noch jede Menge Literatur …«.
Line-up Nautilus:
Jürgen Dürrbeek (synthesizer & sequenzer)
Martin Ludwig (keyboards, synthesizer, guitars, vocals)
Meiko Richert (vocals, voice samples)
Werner Strätz (electric guitars, sheep)
Katja Weigel (backing vocals)
Spoken words taken from the book "Around The World In 80 Days" (- #9,11)
Tracklist "When Time Is Just A Word":
- A Gentleman’s Bet (4:39)
- Free Wings (4:23
- Travellers Without Time (11:55)
- Wherever You Go (3:37)
- Crusading Lights (6:38)
- Donkeys And Sheep (2:56)
- October Sunrain (10:14)
- To Another Dimension (6:08)
- Country Of Stars (6:38)
- Rainbow Tears (3:53)
- Back Home In Silence (8:06)
Gesamtspielzeit: 69:40, Erscheinungsjahr: 2024
Und nun der offizielle Trailer für alle Unentschlossenen und diejenigen, die die Band noch nicht kennen:
4 Kommentare
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Werner Strätz
27. April 2024 um 19:38 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hallo Ulli Heiser
Vielen Dank für deine sehr gute Bewertung für mein Gitarrenspiel. Du lobst mich ja fast in den Himmel!
LG
Werner Strätz
Ulli Heiser
28. April 2024 um 8:08 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Das passt auch so, Werner.
Das Gitarrenspiel hat mich so begeistert, dass ich gegoogelt habe, wer denn dieser Gtarrist ist.
Und dann bin ich bei deinem Interview auf TV Mainfranken gelandet und hatte auch ein Gesicht 🙂
Beste Grüße
Ulli
Martin Ludwig
27. April 2024 um 12:08 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Vielen Dank für diese tolle Rezi, Ulli
und liebe Grüße von der Nautilus-Crew
Ulli Heiser
27. April 2024 um 16:14 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Vielen Dank für dein Feedback, Martin
Beste Grüße
Ulli