Mike Schröder – nein, es geht nicht um unser RockTimes-Urgestein aus dem Pott, sondern um einen anderen Mike Schröder aka Mike Floyd. Beide Mikes machen Musik, aber der Floyd-Mike und seine Band Cloud Nine & The Vitamin C waren im Rhein-Main-Gebiet unterwegs; und zwar von 1983 bis 1992. Das Herz der Band, die sich hauptsächlich psychedelischer Musik verschrieben hatte, bestand aus Dominik Engel an Keyboard und Mikro sowie Mike Schröder am Bass und ebenfalls am Mikro. Das dritte Gründungsmitglied, Gitarrist Peter Schupp verließ die Band 1989 und ansonsten war da, was Gitarristen und Schlagzeuger betrifft, ein Kommen und Gehen. Aus der Vita erfahren wir, dass es sechs Bandkonstellationen gab.
Weiterhin, so ist in der Bandhistorie zu lesen, bewegten sich Cloud Nine & The Vitamin C stilmäßig im Dunstkreis bewährter und großkalibriger Bands aus der musikalisch guten alten Psychedelic- und Krautrock-Zeit. Nach dem Einstieg des Gitarristen Pete Hergo wurde eine weitere Schublade beschriftet – laut Bandaussage eine, in der »leichter New-Wave-Einfluss von Bands wie The Cure oder sogar einigen britischen Rave-Acts wie The Charlatans« zu finden war.
Der Triteltrack "Draw Down The Distance" ist affenstarke Psychedelic in Reinkultur. Dominiks Keyboard wabert wie eine am Leslie angeschlossene B3 und katapultiert den Hörer in die Vergangenheit. Allerdings nicht so weit zurück, wie das die Musik suggeriert. Es geht ins Jahr 1992, nach Bickenbach in Hessen, wo man im Februar bis auf die Nummer "Black Queen" vorliegendes Album in einem halbprofessionellen Studio per 8-Spur Recorder aufgenommen hatte. Da wurde die Gitarre bereits von Pete Hergo gespielt, der außerdem einen Drummer mitbrachte, der nur deshalb im Line-up als Chris A. N. Own geführt wird, weil man sich nicht mehr an seinen Nachnamen erinnert. Wäre ich jetzt auf Facebook, würde ich ein passendes Emoticon setzen.
"Black Queen" ist zwei Jahre älter und wurde in Dominiks Keller in Lorsch mit anderen Demos auf vier Spuren aufgenommen. Statt Pete und Chris, waren da noch Andy Schulz (Gitarre) sowie Peter 'Fuchs' Gündling (Schlagzeug und Backgroundgesang) mit von der Partie. Aber erst mal zurück nach Bickenbach und zum Zehnminüter "Draw Down The Distance", der live gerne auf die dopppelte Speilzeit kam. Nachdem die Tasten Strom in den Lavalampen generiert haben, forciert sich das Tempo und die Rhythmusabteilung glänzt mit Bravour. Bass und Felle produzieren Schweißperlen, der Gesang kommt klar und stimmlich angenehm, während die Musiker an Sechssaiter, Sitar und Tasten beweisen, dass auch sie ihr Handwerk perfekt beherrschen. Die Band als Ganzes zeigt, auch durch die Komposition, dass die großen Vorbilder aus den sechziger und siebziger Jahren gut studiert wurden. Oder besser, dass man gelernt hat, wie wichtig Abwechslung, Breaks und Spannung sind, man dabei aber niemals den Hörer über Gebühr beanspruchen darf, denn der soll sich wohlfühlen Und das tut er. Und der strahlt ganz besonders, wenn Bass und Drums genau die Atmosphäre schaffen, die der Gitarrist braucht, um sein sphärisches Solo punktgenau zu platzieren. Das Stück ist schon eine Hausnummer.
Trotz »bekifftem« Tontechniker schafften es die Musiker in nur zwei Tagen, das Grundgerüst der Songs im Studio zu erstellen, sodass lediglich noch Finetuning an Gitarren- und Gesangsparts anstand. Aber wie das oft so ist, gab es Streit. Und zwar derart, dass die Aufnahmen abgebrochen wurden und sich die Gruppe kurz danach auflöste. Da stand man nun mit nicht fertigen, halbgaren Aufnahmen …
Aber Gutes vergeht nicht und so machte sich Mike nach vielen Jahren auf die Suche nach den Originalbändern mit dem groben Mix der sogenannten 'Bickenbach Session'. Aber laut dem Tontechniker wurden diese entsorgt, da sie beschädigt gewesen wären. Ich zitiere Mike: »Scheiße«.
Mike schnappte sich dann die besten Kopien der Originalbänder und aus diesen holte er die besten Versionen der Stücke und machte sich an die Arbeit. Er entfernte Aussetzer, kürzte hier und da und schnitt nach, und »um das laute Bandgeräusch zu übertönen, wurden an einigen Stellen Windgeräusche hinzugefügt«. Es gab aber auch andere Baustellen, wie z. B. der Gesang bei "Empty And Cold". Der war mal zu leise, dann wieder zu laut und nicht mehr zu retten, sodass Dominik die Gesangsspur 30 Jahre später neu aufnahm. Übrigens die einzige Nachbesserung dieser Art. Dass die alten Aufnahmen trotzdem so ins Ohr gehen, liegt am »letzten Schliff durch das Remastering eines supernetten Toningenieurs namens Alain Paul«.
Dass mit Pete Hergo eine weitere, andere Stilkomponente einzog hört man auf "My Sunday On A Friday". Ein pychedelischer Unterton ist noch da, allerdings in harte Bandagen gewickelt, was dem Basser und auch dem Drummer in die Karten spielt, denn die können nun zeigen, wie man Drive produziert. Auch ein starkes Stück, aber ich hänge gedanklich eher noch bei "Draw Down The Distance" am Haken. "Empty And Cold" ist ebenfalls flott, schielt aber sehr angenehm in Richtung Jam Rock und ich denke, dass die Jungs da live ganz schön was geboten haben. Die eingebauten Breaks sind perfekt und mit Harmonien und spannendem Riffing wird auch nicht gegeizt. Auch rollt sich das Keyboard wieder ins Geschehen und es ist fast nicht zu glauben, dass diese Konserve aus halbgarem, dreißig Jahren altem Material stammt. Da wurde großartige Arbeit geleistet – von Technik und natürlich auch von den Musikern.
Zu "It Makes No Difference" und "Call" meint Mike, dass das relativ harter Stoff für die Band sei. Nun, ich kann das nicht beurteilen, da ich Cloud Nine & The Vitamin C das erste Mal höre und keine Vergleiche habe. Es ist aber so, dass momentan eher der Titeltrack alleine in seiner psychedelischen Schublade liegt. Das stört mich bei "It Makes No Difference" allerdings nicht, denn dieser Track ist ein astreiner Rocker mit Nuancen von Southern-, Jam- und Classic Rock. Gitarre und Rhythmusabteilung brillieren und reiten eine Tour de Force. Komposition, Dramaturgie sind ausbalanciert und bei derartigem Material ist es mehr als schade, dass man sich entschlossen hat, getrennte Wege zu gehen. "Call" schielt stark in Richtung Punk und bei der Flottheit und der Machart kommen mir irgendwie verrockte The Clash in den Sinn. Wir hören gute Musik, sind aber meilenweit von "Draw Down The Distance" entfernt und ich stelle mir immer wieder vor, wie Cloud Nine & The Vitamin C ihre Setlisten gestaltet haben.
Jetzt kommt etwas, was ich gar nicht mag – wenn eine Band nämlich schreibt, wie ein Song ist, bzw. an wen er erinnert. Denn wenn sie das tut und ich der gleichen Meinung bin, ist das, wie wenn mir ein anderer Worte in den Mund legt und ich nicht mehr meine eigene Meinung verkünde. Es ist aber wirklich so, dass der Beginn von "Sunspots" an "Dark Star" von den Jam-Göttern gemahnt. Man kann es nicht anders sagen, irre, wie sich Cloud Nine einjammen. Dann bringen sie die Sitar ins Spiel, die Batterie rollt ein und das Instrumental nimmt Fahrt auf. Nicht nur durch die Flöte, die der für die Lightshow (dafür war die Band berühmt) verantwortliche Christof Köhler spielt, wirkt die Nummer etwas folkig. Eigentlich wie ein Folk Jam, sollte es so eine Schublade geben. Live mit Sicherheit eine der Band-Hausnummern.
"Black Queen" wurde wie bereits erwähnt in Lorsch geboren und hat ein verändertes Line-up. Keyboard und eine rhythmische Gitarre bringen anständig Schwung ins Geschehen. Obwohl nur zwei Jahre zwischen den Aufnahmen liegen, ist schon ein Unterschied zu hören. Mag sein, dass es am raueren Umfeld liegt, denn dieser Track wurde als Demo im Keller mit kleinem Equipment mitgeschnitten und man hört schon, dass da kein Studio dahintersteckt. Aber wenn ich ehrlich bin, klingt das authentisch und der Sound ist der geilen Komposition gemäß genau richtig. Die Keys flirren, der Bass brummt um die Ecke, auch schon mal Melodie spielend, Drums und die Gitarre verbreiten Flair, das weiter zurückreicht, als das 1990er Lied. Da wird beim Hörer Appetit geweckt. Jesses, die Jungs jammen sich ein und die neun Minuten sind keine adäquate Zeit für diesen starken Output!
Apropos älteres Material, da gibt es noch einiges auf der EP "Rainfrontier". Die EP wie auch die Langrille sind zur Zeit nur per Mailorder erhältlich: Musikgarage Bensheim (unser_kleiner_musikshop@t-online.de), Discogs.com und bei Dave Schmidts Sulatron-Shop.
Die LP in schwarz-rotem Splatter-Vinyl ist auf 250 Exemplare limitiert. Digital gibt es die Platte für kleines Geld und wer erst mal reinhören möchte: Am Ende dieses Artikel gibt es das offizielle Video zum Titeltrack.
Line-up Cloud Nine & The Vitamin C:
Dominik Engel (keyboards, vocals)
Mike Schröder (bass, vocals)
Pete Hergo (guitar, sitar – #B3, vocals)
Chris A. N. Own: (drums)
Guest:
Christof Köhler (flute – #B3)
Tracklist "Draw Down The Distance":
- Draw Down The Distance (M. Schröder/D. Engel) [10:06]
- My Sunday On A Friday (P. Hergo/M. Ulfik) [3:27]
- Empty And Cold (D. Engel) [5:59]
- It Makes No Difference (M. Schröder) [3:07]
- Black Queen (M. Schröder/D. Engel) [9:25]
- Call (P. Gündling/P. Hergo/M. Schröder) [3:36]
- Sunspots (P. Hergo/M. Schröder/D. Engel) [7:34]
Erscheinungsjahr: 2023, Gesamtspielzeit: 43:14
Neueste Kommentare