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The Lost Verses / Weiß – CD-Review

The Lost Verses / Weiß – CD-Review

Britta Caspers hat einen literaturwissenschaftlichen Background während Christoph Bauer eher weniger auf Gedichte, dafür allerdings auf Texte von u. a. Dylan und Robert Hunter abfährt. 2021 veröffentlichten die beiden ihr erstes Album mit dem Namen "Worüber wir reden", das sich thematisch mit Gedichten befasste, bzw. von Gedichten des niedersächsischen Schriftstellers Nicolas Born inspiriert war.

Ob ich auf die Beiden aufmerksam geworden wäre, bzw. ob ich das Album "Weiß" in den Player bekommen hätte, wenn nicht vor einem Jahr in dessen Schacht die Kompilation  D-Day – A Grateful Dead Tribute From Krautland ihre Runden drehte, weiß ich nicht. Auf jeden Fall kann man  diesen Sampler wohl als den Urknall dafür ansehen. Dort waren The Lost Verses mit Musik der Götter vertreten: "Jack A Roe", "Ship Of Fools" und "Fire On The Mountain", dass sie zusammen mit Markus M. Steinbach, den wir auf "Weiß" auch im Bonustrack "What Was If You Wanted" hören, darboten.

Und wenn ich Markus M. Steinbach nenne, muss unbedingt auch Tom Liwa erwähnt werden. Nicht weil der ebenfalls auf "D-Day – A Grateful Dead Tribute From Krautland" vertreten ist, sondern weil dessen Album "Ganz normale Songs" von Tobias Levin produziert wurde. Und an diesen Mann haben sich Britta und Christoph gewandt als es darum ging, vorliegendes Album auf die Welt zu bringen. Im Gegensatz zu ihrem Debüt, welches im Studio zur Welt kam und viel Kritikerlob einheimste (z. B. 4 von 5 Sternen im "Rolling Stone"), entstand "Weiß" in einem alten Haus im Département de la Charente in der französischen Region Nouvelle-Aquitaine.

Dort lebten Britta und Christoph, nachdem sie einige Jahre umhergezogen waren und den Traum womöglich wahr gemacht haben, den viel andere nicht zu träumen wagen: Erst mal alles Gewohnte verlassen, umherziehen, neue Pfade und Wege gehen, dabei nicht immer unbedingt zufrieden sein, aber Neues entdecken, manches nervig Gewohnte vielleicht doch etwas vermissen. Kurz gesagt: das Leben entdecken und Erfahrungen sammeln. Das alles ist wichtig, denn wenn man diesen Teil der zwei Protagonisten kennt, dann kann man das Album aus dem richtigen Blickwinkel betrachten und genießen.

Schön ist auch zu sehen, dass die Liebe zur Musik von Grateful Dead anscheinend ausreicht, um einander zu helfen. Wie etwa Tobias Levin, der sich um die eigentlich mit unprofessionellem Equipment entstandenen Aufnahmen kümmerte und damit dafür sorgte, dass dieses tolle Endprodukt nun gehört werden kann. Und es handelt sich um eines dieser musikalischen Kunstwerke, deren Musik man auch ohne Texte hören könnte und deren Texte – die zum größten Teil von Britta stammen – auch ohne Musik wirken. Aber nur wenn man es zusammen genießt, entfaltet sich die volle Wirkung.

Natürlich fällt der Blick beim Lesen der Trackliste auf "Phantasmagoria In Two" und auf den CD-Bonustrack "What Was If You Wanted".  Zwei Cover also und die sind von Künstlern, deren Stücke man nicht oft von anderen hört. Zumindest Tim Buckley dürfte selten vorkommen (da fällt mir auf Anhieb nur der Michael Mann mit u. a. seinen Bands Waiting For Louise oder Songs To The Siren ein), aber sein "Phantasmagoria In Two" ist gut getroffen. Erstaunlicherweise, denn neben dem üblichen Handwerkszeug der Beiden, also Gitarre und Stimme, ist auch eine digitale Audio Workstation involviert, mit der man u. a. virtuelle Instrumente, Beats und all die anderen Sachen beisteuern kann. Und ja, dem alten Track von Tim tut das nicht weh und der Grundtenor bleibt erhalten.

Anders empfinde ich das bei Mr. Zimmermanns "What Was If You Wanted". Diese Version ist mir zu elektronisch und wird dem Altmeister nicht gerecht. So zumindest ist meine Meinung, die selbstverständlich äußerst subjektiv ist und nur mir alleine gehört. Spaß beiseite, die Version ist mir noch nicht beigegangen. Aber es sollte nun klar sein, was uns ansonsten erwartet, denn wenn man Dylan und Buckley im Regal stehen hat, werden die eigenen Songs sich auf ähnlichem Terrain bewegen.

Und das tun sie in der Tat, denn trotz der bereits erwähnten DAW sind die Stücke sehr intim, auf athmosphärische Art und Weise independent, dicht, etwas 'tarantino' und wenn Stefan Lienemann von den Shiny Gnomes »Folktronica Noir« in den Ring wirft, dann ist das sehr nahe dran. Brittas Stimme hat diese klare Modulation, die einen zum Zuhören animiert, glasklar und akzentuiert. Die Symbiose mit  Christophs echten und virtuellen Instrumenten ergibt ein Szenario, dem man sich einfach hingeben sollte, um den Lyrics sowie dem Sound zu folgen. Es sind keine abgehobenen Texte sondern welche, in denen man sich sicherlich auch hier und da selbst finden kann. Deutsch, Englisch und auch Französisch sind die Sprachen der Worte und derer müssen es nicht viele sein, da sie in Verbindung mit der Musik fast eine eigene Sprache bilden.

Eine Singleauskopplung der Platte gibt es am Ende dieses Reviews zu sehen und zu hören. "Dans la nuit je me réveille" ist perfekt geeignet den musikalischen Kosmos der Lost Verses zu zeigen und ist nach Aussage der Band »ein Lied über eine jener Begegnungen, mit denen wir auf gewisse Weise erwachen«.

Abschließend verweise ich gerne auf das hervorragende, von Christina Mohr geführte Interview im Kaput-Magazin mit The Lost Verses, das auch mir viele Hintergrundinformation geboten hat.

Das Album erscheint heute, am 27. September, auf allen Plattformen sowie als Download oder CD bei Bandcamp..


Line-up The Lost Verses:

Britta Caspers (vocals)
CJ Bauer (all instruments)

Markus M. Steinbach (vocals, bass, drum programming – #10)

Tracklist "Weiß":

  1. Weiß
  2. Ich habe etwas verloren
  3. Delayed Objects
  4. Traumlos ist dein Schlaf (Berlin)
  5. Phantasmagoria In Two
  6. Dans la nuit je me réveille
  7. Caught In Descent
  8. Gestalt #2
  9. Er sah die Sonne
  10. What Was If You Wanted (Bonustrack)

Gesamtspielzeit: 50:45, Erscheinungsjahr: 2024

"Dans la nuit je me réveille":


 

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