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Haven Of Echoes / Memento Vivere – CD-Review

Haven Of Echoes - Memento Vivere

Sie nennen ihre Musik »Cinematic Progressive Rock«. Und wenn man früher im Kino anderthalb Stunden für einen Film gesessen hat, dann sind es mittlerweile ja eher drei Stunden. Auch Haven Of Echoes sind auf ihrem zweiten Album epischer geworden. Die Gesamtspiellänge liegt zwar wie beim Debütwerk The Indifferent Stars bei etwas weniger als einer dreiviertel Stunde. Statt auf sechs Stücke verteilt sich die wieder einmal künstlerisch sehr anspruchsvolle und mitreißende Veranstaltung jedoch auf nur noch vier Tracks. Herausragend dabei: zwei Stücke von knapp weniger bzw. knapp mehr als einer viertel Stunde Spielzeit.

Mastermind Andreas Hack, der ja schon mit seiner Vorgängerband Frequency Drift nicht nur hervorragende Kompositionen ablieferte, sondern auch einen enorm starken Akzent auf Atmosphären gelegt hat, hat es auch hier zielsicher aufs Gefühlszentrum des Hörers abgesehen. In einer tiefschwarzen und enorm gedankenversunkenen Grundstimmung schimmern Lichtblitze, wenn schwerst verzerrte Gitarren mit viel Lautheit sich abwechseln mit malerisch-heilsamen Melodien und den zerbrechlichen und irgendwie auch unwirklich klingenden Klängen von Piano oder gar Nerissa Schwarz' E-Harfe. Man merkt es irgendwie: Die Musik von Haven Of Echoes lässt sich wirklich schwer mit bodenständigen und wenig bildhaften Worten beschreiben.

Mit 'Schuld' daran hat Paul Sadlers Gesang, der mit 'theatralisch' kaum ausreichend beschrieben werden kann. Sadler schreit hier mal kraftvoll seinen Weltschmerz heraus und klagt dort mal mit schmerzbeladener Kopfstimme, wenn er die von ihm selbst geschriebenen Texte über Vergänglichkeit und der Erkenntnis unserer eigenen Sterblichkeit wiedergibt, wie die Band es selbst beschreibt. Zeilen wie »So if creation is an act of violence / Then existence is a state of war« oder »We are flies upon the tapestry / Yet the silken threads are wearing thin« sind zu interpretieren. Und das sind noch ein paar der einfacheren Bilder, um deren Deutung "Memento Vivere" den Prog-Hörer bittet.

Um keine falsche Erwartungshaltung zu wecken: Haven Of Echoes sind keine Band voller Gimmicks. Es hat alles Hand und Fuß – sowohl die philosophischen Gedanken in den Lyrics, das musikalische Handwerk als auch das irgendwie zugleich intellektuelle und intuitive Songwriting. Nicht nur mir Atmosphäre überzeugt diese Musik, sondern beispielsweise auch mit überraschenden Wendungen binnen kurzer Zeit, großartigen Grooves und ein paar rhythmischen Finessen, die unter die Haut gehen, vor allem bei "It Walks Among Us", das auf einem ziemlich genialen und selten so erlebten Spagat zwischen monströs und pittoresk wandelt.

So, wie Haven Of Echoes in einer hypnotisch anziehenden Art und Weise unterkühlt, aber faszinierend, bedrohlich und wunderschön klingt, so hat diese Musik etwas von einem Blick durchs Teleskop in den Weltraum. Musikalische Science Fiction – "Memento Vivere" könnte der Soundtrack zu einer der neuen "Dune"-Verfilmungen von Regisseur Denis Villeneuve sein. Das wäre dann sogar Konkurrenz für Hans Zimmer. Oder aber, der Film namens "Memento Vivere" müsste einfach noch produziert werden. Es wäre einer jener Filme, die man sich definitiv auf der großen Leinwand anschauen sollte und nicht zu Hause am Fernseher.


Line-up Haven Of Echoes:

Paul Sadler (vocals, guitars)
Nerissa Schwarz (electric harp, – #2,4, keyboards, – #2)
Wolfgang Ostermann (drums)
Andreas Hack (all other instruments)

Tracklist "Memento Vivere":

  1. Non Sum – Non Curo (17:02)
  2. Ad Infinitum (8:44)
  3. It Walks Among Us (14:01)
  4. Assimilation (8:14)

Gesamtspielzeit; 41:40, Erscheinungsjahr: 2024

Über den Autor

Boris Theobald

Prog Metal, Melodic Rock, Klingonische Oper
Meine Beiträge im RockTimes-Archiv

Mail: boris(at)rocktimes.de

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