2016 war meine erste Begegnung mit Cosmic Fall. First Fall ist der Name des damals besprochenen Debüts und wenn ich die ersten beiden Sätze von vor acht Jahre lese (»Die drei Berliner Jungs sind neu. Ganz neu, denn die Bandgründung war erst im Juni dieses Jahres. Aber sie klingen so, als würden sie seit Geburt nichts anderes machen als Rockmusik spielen. Ach was … spielen. Hier wird zelebriert. Und das vom Allerfeinsten.« ) so ist der erste Satz Makulatur. Satz Nummer zwei dagegen hat Bestand und hätte ich ihn seiner Zeit nicht bereits geschrieben, so würde ich das heute tun.
Mit Leonardo Caprioli ist seit etwa vier Jahren ein neuer Gitarrist an Bord, der Marcin Morawski abgelöst hat. Marcin seinerseits war der zweite Mann am Sechssaiter, denn beim Debüt stand bei Gitarre der Name Mathias Thien im Line-up. Wenn ich alles richtig verstehe, dann ist auf "Back Where The Fire Flows" Basser Klaus Friedrich das letzte Mal an Bord. Sergej Kamenski, der hier auf "Lucid Skies Above Mars" Synthesizer-Tunes besteuert wird in Zukunft auch die tiefen Saiten bearbeiten.
Noch alle da? Ok, dann noch schnell ein paar Fakten, bevor es zur Musik geht. "Back Where The Fire Flows" ist das nach In Search Of Outer Space vierte Album der Berliner und neben den Songs stammt auch sonst fast alles aus eigenen Händen. Aufgenommen wurde in Berlin von 2021 bis 2023. Technik und Mix lagen in Verantwortung von Sergey Gdanian, der bei "Chant Of The Lizards" auch das Keyboard bedient und bei Sergej Kamenski. Drummer Dan steht beim Layout, von Regina Reimer stammt das Cover und wie immer, wenn es um den guten Ton geht, hat Eroc das Mastering übernommen.
Und das hat er ohne Zweifel, denn "Back Where The Fire Flows" startet mit "Lucid Skies Above Mars" nicht nur musikalisch sofort einnehmend, sondern auch klanglich überzeugend. Eine leichte Wall of Stoner wabert vor dem geistigen Auge langsam in die Höhe und Efeuranken gleich, klettert die Gitarre nach oben. Ganz ohne Hektik, denn an Zeit, um Ohren, Bauch und Hirn der Hörer zu fesseln, mangelt es bei fast einer Viertelstunde Spielzeit nicht. So kann der neue Gitarrist alle Facetten seiner sechssaitigen psychedelischen Reise an der Mauer entlang aufzeigen. Mal sind das 'einfach' nur hin- und eingeworfene Akkorde und Chords, dann sphärische Soli, zarte Wah Wah-Wellen oder aber auch mächtig dampfende Walzen. Die Mauer selbst ist von Daniel und Klaus zwar sehr stabil gebaut, sie bereitet aber dem wachsenden Efeu aus Stahlsaiten die Nischen und Kanten, die er braucht und die er gegen Ende der Nummer auch vehement einnimmt.
"Magma Rising" macht dem Tracknamen alle Ehre. Das Schlagwerk zündet initial, die vier Saiten des Tieftöners pumpen ohne Unterlass neues Magma aus dem Schlund der psychedelischen Tiefe und die Fahrten der Sechssaitigen kommen wilder und fast ungestüm über den feurigen Boden, als das beim Erklimmen der Mauer der Fall war. Zweifelsohne hat sich Leonardo Caprioli im Bandgefüge nicht nur eingelebt, sondern ist fester Teil des Trios geworden. Da auf "Back Where The Fire Flows" keine Stimmbänder vibrieren, gibt es auch keine sogenannte Rampensau, die dem Rest der Band oftmals den Raum nimmt. Vielmehr ist es bei dem Trio – auch unter Einbeziehung der beiden 'Gäste' oder 'Aushilfskräfte' – so, dass die musikalische Reise nur dann funktioniert und vor allem ans Ziel führt, wenn alle drei Musiker gleichberechtig und gleichwertig agieren.
"Under The Influence Of Gravity" verwirrt mich erst einmal etwas. Denn ich bin eigentlich felsenfest davon überzeugt, Synthesizer-Spielereien zu vernehmen. Aber der sollte laut meinen Infos nur im ersten Track von Sergej Kamenski bedient werden. Dort fällt mir der Einsatz von Elektronik allerdings nicht auf. Ist der Synthie in "Lucid Skies Above Mars" also nur ganz dezent vorhanden, oder ist der Eintrag beim Line-up nicht korrekt. Wenn "Under The Influence Of Gravity" ohne Synthesizer auskommt, müssen die 'Geräusche' von der Gitarre kommen und dann wird wohl die Gravität aus dem Titelnamen die Klänge 'verbiegen'. Wie auch immer, diese Nummer ist schnell und hat neben einem absolut packenden Rhythmus den Daniel und Klaus gekonnt hinlegen, auch saustarke Gitarrenparts in denen Leonardo zum einen per Fußpedal mehr als Akzente setzt, zum anderen wie ein Irrwisch versucht, der physikalischen Grundkraft Gravität zu entkommen. Da das unmöglich ist, hören wir ein wahres Saiteninferno, dem – wie bereits erwähnt – die Teppichleger in Nichts nachstehen.
"Chant Of The Lizards" – was für ein Songname … Man versucht, sich den Tracknamen musikalisch schon mal bereit zu legen, um dann zu schauen, bzw. zu hören, ob da etwas passt. Singen gehört habe ich Eidechsen noch nicht, aber da wir hinterm Haus im Sommer jede Menge dieser Millionen Jahre alten Reptilienspezies beobachten dürfen, passt der stoisch ruhige und entspannte Tenor des Stückes, denn das geistige Auge sieht unbewegliche Eidechsen, die sich dem Sonnenbad hingeben. Aber je länger man der Musik zuhört, desto beweglicher wird sie. Der Bass pumpt stioisch zu tribalen Fellen und schließlich steht die efeuumrankte Mauer immer noch, wenn sich die Pflanze nun auch gemäßigt hochschraubt. Aber sie schraubt und macht "Chant Of The Lizards" zu einem Psychedelicmonster.
"Drive The Kraut" forciert das Tempo, ohne aber die Stimmung des "Eidechsengesangs" zu zerstören. Will sagen, die Reptilien bewegen zwar den Kopf um zu schauen, was los ist – sie bleiben aber entspannt in der Sonne. In einer Sonne, bei der vorbeihuschende Wolkenfetzen für Lichtspiele sorgen. Wie ein Stroboskop in Zeitlupe spielen sich zehn Stahlsaiten die Blitze zu, während das Terrain dieses Spiels von Daniels Arbeit hinter der Schießbude klar abgesteckt wird. Leicht fremdländisches Klangtimbre verbreitet sich und die Gitarren buhlen um des Hörers Aufmerksamkeit. Dicke Saiten pumpen rhythmisch durch den krautigen Garten und die dünneren Saiten werden immer ekstatischer, ohne aber je zu frickeln. Sie bleiben im großzügig abgesteckten Beet, mischen den Mutterboden aber anständig auf. Die Eidechsen sind nun übrigens verschwunden.
Ein würdiger Abschluss eines starken Albums, dass es physisch nur streng limitiert gibt. Vom schweren Vinyl in schwarz oder violett stehen je 200 Exemplare zur Verfügung, die CD ist auf 500 Stück limitiert. Also besser nicht allzu lange warten …
Line-up Cosmic Fall:
Daniel Sax (drums)
Klaus Friedrich (bass)
Leonardo Caprioli (guitar)
Sergej Kamenski (synthesizers – #1)
Sergey Gdanian (keyboard – #4)
Tracklist "Back Where The Fire Flows":
- Lucid Skies Above Mars (13:20)
- Magma Rising (4:30)
- Under The Influence Of Gravity (4:38)
- Chant Of The Lizards (12:25)
- Drive The Kraut (10:34)
Gesamtspielzeit: 45:27, Erscheinungsjahr: 2024
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