Vulkanier durchleben alle sieben Jahre ihr Pon Farr. Die sonst so logikbegabten, geistig hochdisziplinierten Bewohner des Planeten Vulkan verlieren jegliche Kontrolle über ihren Willen und ihr Handeln und sind im Blutfieber nur noch erpicht darauf, sich mit einem passenden Sexualpartner zu vertollen. Immer ruhig, und plötzlich rumpelts.
Bei The Grand Sheep dauert der Zyklus offenbar sogar neun Jahre – der Zyklus bis zu einem neuen Album. "Nightwatch" ist nach dem hervorglänzenden Debüt von 2015 ja erst das zweite. Geistig hochdiszipliniert ist die Prog-Band aus Aschaffenburg auch zu Gange, so wie die Vulkanier üblicherweise. Die Kontrolle über Tun und Denken verlieren die vier Herren zum Glück dabei genauso wenig wie Mr. Spock auf der Brücke der U.S.S. Enterprise NCC-1701. Aber hier ist ja dann doch die Parallele: Nach den ganzen ruhigen Jahren rumpelts wieder, im CD-Spieler halt.
Gitarrist Falk Hofmann hat mit Andreas Bookjans einen Nachfolger gefunden; die meisten der Songs sind aber noch von Hofmann geschrieben. Und auch sonst gibt es erstaunlich viele klangliche Ähnlichkeiten zum ersten Album. Äußerst erfrischend ist jene, dass sich The Grand Sheep heute wie damals kaum mit irgendwas und irgendwem vergleichen lassen – höchstens mit sich selbst; so treu bleiben sie sich. Stilistisch ist "Nightwatch" kaum anders als sein Vorgänger, liefert aber eine gute Stunde Nachschub auf verflixt nochmal demselben kreativen Niveau.
The Grand Sheep liefern ölige Grooves mit tieftönig grabenden Riffs, deren Reichtum an Melodie den Gesangslinien in nichts nachstehen. Die Band variiert meist kurz unter ("Catatonia"), etwas über ("Landamar, The Mandrill King") oder mittendrin in dem, was landläufig als Mid Tempo durchgeht, ohne damit nur eine Sekunde zu langweilen. Komplexe, aber nicht komplizierte Strukturen breiten sich beinahe geduldig aus und bieten gleich viel Raum für Atmosphärisches wie für beinahe doomige, schwarz-schwere Gitarren. Niemals ist die Musik überproduziert, wirkt immer roh, handgemacht-authentisch. Die paar Keyboards, die zum Sound der Band gehören, setzt Florian Rickert sparsam ein – mal ein bisschen Piano im meditativ-groovigen Intro von "Far From Cure" oder im Break von "Catatonia", mal die allernötigsten Atmo-Klangteppiche, mal Organ-Sprengsel in einem ruhigen Part des großen Titel-Tracks und später bei "Final Day"; aber Orgel passt ja super zum mysteriösen Charme der Band und ihrer musikalischen Seele.
Sein wesentlich auffälligeres 'Instrument' ist seine Stimme. Der Gesang ist sehr auffällig und ein Markenzeichen der Band. Florian Rickerts Stimme hat eine sonderbar anziehende Klangfarbe. Der Gesang wirkt defensiv cool-geheimnisvoll, offensiv sehr extrovertiert, fast schreiend. Er singt nicht 'perfekt', beeindruckt aber mit der Art und Weise, aus Tönen Theater zu machen.
Das Highlight des Albums ist der mehr als elf Minuten lange Song, der genauso heißt, nämlich "Nightwatch". Ein orientalisch angehauchtes Intro führt den Hörer fast ein wenig in die Irre – quer durch die staubige Wüste, hin zur Oase, sehr spannend! Dann kriecht diese Songstruktur daher, von einer fesselnden Bassline über die zunächst ruhige Performance der Stimme bis hin zum fast exklamatorischen Ausruf »’Cause it’s my duty to protect, when I am ordered to the Nightwaaaatch!!!« Keine Ahnung, wo plötzlich diese Power hergekommen ist; dieser Song ist eine Wundertüte. Florian Rickerts Schrei steht da plötzlich in der Luft; und es folgt einfach mal ein 30 Sekunden langes, traniges, schweres und trotzdem dynamisches Riff, das einen noch im Schlaf verfolgt. Wie ein Triumph, genial. Auch der Instrumentalpart ist große Klasse – proggig, psychedelisch, bluesig, alles in einem.
Geheimnisvoll bis gewaltig mit Unterschwelligem und Überraschendem, so hat diese Vorführung ein bisschen was von Savatages "A Handful Of Rain", gepaart mit ein bisschen schizophren Angehauchtem à la Ozzy Osbournes "No More Tears". Ein bisschen Psycho sind The Grand Sheep ohnehin, sonst würden sie ja auch keine Songs über "Suitable Pills" (»for the state of my mind«) oder "In Case Of Insanity" schreiben.
Macht das Spaß – bitte mehr davon! Und auch gerne, bevor, statt nachdem die nächsten Vulkanier wieder …
Line-up The Grand Sheep:
Florian Rickert (vocals, keyboard)
Andreas Bookjans (guitar)
Alexander Röckl (bass)
Christoph Bäckmann (drums)
Tracklist "Nightwatch":
- Intro (0:58)
- In Case Of Insanity (5:01)
- Far From Cure (7:23)
- Cloud X (7:23)
- Nightwatch (11:18)
- Suitable Pills (6:25)
- Landamar, The Mandrill King (7:21)
- Catatonia (9:03)
- Final Day 8:01)
Gesamtspielzeit: 62:55, Erscheinungsjahr: 2024
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