Sich zu Musik des vorliegenden Albums der progressiven Krautrocker Grobschnitt aus Hagen in einem Review zu äußern, manifestiert Aristophanes' berühmte Aussage zum Tiertransport nachtaktiver Vögel in die griechische Hauptstadt.
Zum einen, weil wir dieses von der Band weit über 1000 Mal live gespielte Set bereits vor sieben Jahren rezensiert haben und sich zum Song an sich fast Lobpreisungen zu nennende Zitate in vielen weiteren Artikeln auf RockTimes finden, von denen ich beispielhaft einige bringen werde; und zum anderen, weil das Stück einen eigenen Wikipedia-Eintrag hat. Spätestens beim Lesen desselben sollte klar sein, dass "Solar Music" oder "Powerplay" oder "Sonnentanz" nicht einfach nur ein Lied ist.
Immer anders gespielt, was die Länge als auch die Interpretation betrifft, einigt aber alle Versionen die großartige Stimmung, die dieses geniale Meisterwerk verströmt. Im Grunde ist das ein Lehrstück progressiver Musikkunst, aber für mich wird diese erst durch den krautigen Duktus zum Meisterstück. Eigentlich möchte ich "Solar Music", wie den größten Teil des Grobschnitt-Œuvre, sowieso eher im Krautrock verorten.
"Solar Music Live" zeigt auf beeindruckende Art und Weise, wie Eroc, Lupo, Mist, Popo und Wildschwein ihre Musik nicht nur spielen, sondern eigentlich leben. Das Stück wurde – fast wie ein Kind – geboren, aufgezogen, entwickelte sich weiter und erlangte schließlich die finale Reife. Im vorbildlich informativen Booklet erfahren wir, dass "Solar Music" 1968 in Form eines »D-Moll-Gitarrenthemas« des Leadgitarristen Lupo das Licht der Welt erblickte. Da hieß die Band noch nicht Grobschnitt und wer da mehr erfahren möchte, wird vielleicht in unserem Interview mit Eroc und der Grobschnitt Story fündig. Dieses Gitarrenthema fand sich zum ersten Mal auf der Debütplatte und formierte dort als "Sun Trip".
Da Grobschnitt, wie man im Booklet erfahren kann, alle Bandproben wie auch die Liveshows auf Tonband mitschnitt, konnten sie "Sun Trip" stetig weiterentwickeln und schließlich zu "Solar Music" ausbauen. Unter 30 Minuten ging da gar nichts und Spielzeiten von über einer Stunde waren keine Seltenheit. Jeder der Musiker hatte genug Zeit sich einzubringen, sein Spiel im Kontext des Gesamten zu entwickeln und dem Jam beizusteuern. Und wenn es eine Konstante beim Spielen dieser Nummer gab, dann die, dass es jedes Mal eine neue musikalische Offenbarung war. Das ist wohl mit ein Grund, dass man "Solar Music" sehr oft hintereinander hören kann und immer wieder anderes entdeckt.
Im Jahr 2015 fasste die Band den Entschluss, dass man nach der remasterten Neuauflage von "Solar Music Live" »nie mehr Hand anlegen« wolle. Aber nichts ist in Stein gemeißelt und die Original 16-Spur Bänder waren noch vorhanden … nun ja, da die originalen Mehrspurbänder unbedingt notwendig sind, um einen »echten Remix zu digitalisieren« und schließlich Eroc mit auf der Brücke steht, entschlossen sich die Musiker anders und wir können nun diese 2024er Version in den Händen halten. Das konservierte Konzert aus der Otto-Pankok-Schule vom 7. April 1978 in Mülheim an der Ruhr gibt es in folgenden Versionen;
- Exklusive limitierte Box mit signierter Artcard (1 CD, 1 Blue-ray Audio, 2 LPs (transparenet und transparent orange])
- CD in DVD Format
- Limitierte Coloured 2LP
Auch dieses Konzert war eine wahre Offenbarung an Spielfreude, Gitarrenduellen (bei dem Duell in "Tschüss Mülheim" kommt mir immer der "Free Bird" in den Sinn), irrsinnig harmonische Melodien, Spannungsbögen, Gimmicks, Epischem und Sinfonischem, Kuriositäten und wenn ich behaupte, dass "Solar Music Live" zu den beeindruckendsten und besten Livealben gehört, dann bin ich mit dieser Meinung wohl mitnichten alleine. Die Unterteilung in acht Tracks dieser Aufnahme sind irrelevant und wenn im Booklet steht, dass "Solar Music Live" ein »Zeitzeugnis deutscher Rockgeschichte« ist, dann beißt da keine Maus der Welt auch nur ein Fitzelchen eines Fadens ab.
Wir erfahren in der Begleitdokumentation so ziemlich alles über den Song, der 1974 das erste Mal als Studioversion auf "Ballermann" die Saphire der Tonabnehmer beglückte und somit 50-jähriges feiern darf. Wir erfahren (sofern es die Fans nicht eh wissen), dass im Jahr des vorliegenden Livedokumentes 1978 Grobschnitt ihren Tourrekord mit 98! Shows aufgestellt haben. Wir erfahren alles über das Zustandekommen dieses Remixes, wir bekommen Fotos von Band, Equipment, Tickets, Locations, es fallen Namen wie Conny Plank, Ralf 'El Blindo', 'Detlef Rohr', Toni Moff Mollo, Geheimrat Günstig, Sabine 'Bienchen', Winfried Trenkler und und und …
Beim Schreiben dieser Rezension werde ich von der Remix-CD musikalisch begleitet. Die LP-Version oder die Audio Blue-ray im Dolby Atmos und 5.1 Surround Format mögen ihren Besitzern klanglich (musikalisch sowieso) die Freudentränen in die Augen treiben – meine CD-Version tut das auch. Mir ist im Übrigen keine miese Soundqualität auf einem offiziellen Tonträger dieser Band bekannt. Aber vorliegender Remix beweist, dass es immer noch eine Spur besser geht. Die Technik hat sich entwickelt und vielleicht ist es analog der Aufklärung bei Verbrechen. Die DNA-Analyse hat da auch Türen geöffnet, hinter die man vorher nicht blicken konnte.
Aber hier gibt es keine Verbrechen, denn wenn die »Nebelpolizei« in "Solar Music Live" ihr »Wir möchten es nicht versäumen, Sie darauf hinzuweisen, dass der künstliche Nebel, den Sie bereits seit 10 Minuten einatmen, eine äußerst giftige Substanz darstellt, die bereits nach wenigen Augenblicken zur Bewusstlosigkeit und zum Tode führen kann. Wir danken Ihnen für das Vertrauen, das sie uns entgegengebracht haben« zum Besten gibt, dann ist das eine der Einlagen, die diese Band so unverwechselbar macht.
Ich bin sicher, "Solar Music Live" ist in irgendeiner Form bei den Freunden unseres Magazins im Plattenregal vorhanden. Aber trotzdem solltet ihr euch dieses klanglich superbe Jubiläumsteil besorgen. Dicker Tipp!
Und nun die weiter oben erwähnten Zitate zu Solar Music:
»… im Mittelpunkt des weiteren Konzertes stand natürlich, vom Publikum sehnsüchtig erwartet, der Grobschnitt-Kult-Song schlechthin. "Solar Music" bzw. "Sonnentanz" war angesagt und wurde mal eben in einer 43 Minuten langen Version durchgezogen …«
»… Frühwerke wie der "Morning Song" unplugged oder der unsterbliche "Vater Schmidt" fügten sich mit Heavy-Nummern wie "Keine Angst", "Space-Rider" ebenso harmonisch zu einem Gesamtkunstwerk wie auch das zarte "Rockpommel’s Land" oder die opulente Bombast-Suite "Solar Music" …«
»… und vielleicht sogar als Krönung des gesamten Werkes gibt es den kunstvoll untermalten Konzertmitschnitt von "Solar Music" aus dem Quartier Latin in Berlin, ein optisches und akustisches Monument, das zu einem völlig neuartigen Gesamtkunstwerk verschmilzt. Da werden die Macher von vier Minuten Musikvideos erblassen …«
»… gespielt wurde auf dieser Konzert-Reise in wechselnden Tracklists wahrscheinlich so ziemlich alles, was die Band bis dahin veröffentlicht hatte, selbstverständlich mit der einen Konstante Solar Music bzw. Sonnentanz, die natürlich aus keiner Show wegzudenken war …«
»… doch kein Grobschnitt-Konzert ohne dem Stück "Solar Music". Das geht auch mit drei Gitarren. In der Sonnentanz-Version mit reichlichen Gitarrenparts aus dem Original von 1974 lässt es das Herz des Zuhörer höher schlagen …«
»… nach der Pause ging es mit der gleichen Stimmung weiter. Lupo spielte einige seiner schönen Soli, bis es hieß: Solar Music. Mit wieder einer neuen Improvisation dieses Klassikers verabschiedete sich das Trio vom Colos Saal ein weiteres Mal, um sich dann mehrere Minuten vom Publikum feiern zu lassen. …«
Line-up Grobschnitt:
Eroc (drums, electronic effects)
Lupo (lead guitars)
Mist (keyboards)
Popo (bass)
Wildschwein (rhythm guitars, vocals)
Tracklist "Solar Music Live":
- Solar Music pt.1 (4:30)
- Food Sicore (3:46)
- Solar Music pt.2 (5:53)
- Mühlheim Special (11:54)
- Otto Pankrock (7:36)
- Golden Mist (10:02)
- Solar Music pt.3 (9:31)
- Tschüss Mülheim (13:04)
Gesamtspielzeit: 66:16, Erscheinungsjahr: 2024 (1978)
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