
Ältere Menschen mögen bei dem Namen David Lindley womöglich an jenen kauzigen englischen Adligen denken, der in den Orient-Geschichten des Herrn Karl May so verwegen, wenn auch ein wenig trottelig durch die Wüste reiste. Nein, der hieß David Lindsey mit S. David Lindley mit L ist ein Saitenvirtuose aus dem sonnigen Kalifornien und wohl einer der am meisten unterschätzten Gitarristen in der Geschichte der Rockmusik. Ihm diese Zeilen widmen zu dürfen betrachte ich als ein großes Privileg, für mich gehört er zu den ganz Großen!
Wie so viele andere Inspirationen verdanke ich den Kontakt mit Davids Musik dem Rockpalast. 1981 hatte der in Berlin ein fantastisches Konzert mit Davids damals noch recht neuen Band El Rayo-X aufgezeichnet. Als Essenz daraus spielte der WDR im Laufe der nächsten Live-Rocknacht in der Umbaupause einen Auszug aus diesem Gig; ein neues, schrill aggressives Cover von "Mercury Blues". Diese Nummer machte Mr. Lindley über Nacht in Europa populär und schon ein Jahr spÄter konnten wir den Magier an allen möglichen Saiteninstrumenten auf der Bühne der Loreley bewundern, an einem Abend übrigens mit Rory Gallagher und Eric Burdon, später sogar in einer Jam vereint.
Es war ein unglaubliches Konzert dort oben, hoch über dem romantischen Rheintal und direkt vor der untergehenden Sonne. Die Westcoast geprägte Gitarrenmusik voller Leichtigkeit und Virtuosität, völlig tiefenentspannt vorgetragen von einer souveränen Rockband und ihrem Meister, verschmolz mit der Umgebung zu einem großartigen Gesamtkunstwerk, das für mich am deutlichsten in der langen Version von "Don’t Look Back" zum Ausdruck kam, kulminierend in einem ekstatischen Mandolinen-Solo von epochaler Schönheit. Eine Version, die es so leider auf keinem Tonträger zu finden gibt. Und "Mercury Blues" rockte den Palast mit einer aberwitzig geslideten Steel-Guitar, die dem amerikanischen Sportwagen, von dem der Song handelt, einen zusätzlichen Gang zu bescheren schien. Die 'Heilige Madonna von der gesegneten Beschleunigung' muss hier wohl Pate gestanden haben.
Für mich war und ist Davids Auftritt beim Open Air auf der Loreley neben dem Grateful Dead-Konzert ein Jahr zuvor in der Grugahalle die schönste Erinnerung an den guten alten Rockpalast. Mit Gänsehaut denke ich an das Solo auf der orientalischen Saz, eine Nummer, die David den damals schon unter dem Krieg leidenden Menschen in Afghanistan widmete.
Später, inzwischen berufstätig und über ein höheres Budget verfügend, habe ich mir viele Platten aus dem Lindley’schen Imperium zugelegt. Und dieser Mann hat eine bewegte musikalische Geschichte. Schon als Kind lernte er diverse Instrumente zu spielen, meist Gitarren-Verwandte, aber auch die Fiddle. So ausgestattet, verdiente er sich sein erstes Geld mit dem Nachspielen diverser zeitgenössischer Musik.
Mit 22 Jahren gründete er die heute als Kultband angesehene Formation Kaleidoscope, die ich mal ganz vorsichtig als folkige Psychedeliker bezeichnen möchte. Auch hier kann man sicher den Westcoast-Einfluss wahrnehmen. Durch den Einsatz von Banjos, Fiddle oder eben orientalisch geprägter Instrumente, immer auch verbunden mit einem unverkennbaren Hang zu etwas poppigerer Musik, entwickelte Kaleidoscope jedoch einen gänzlich anderen Duktus als zum Beispiel Jefferson Airplane, Grateful Dead oder Quicksilver Messenger Service. Ein Mut, der leider nicht belohnt wurde, denn der große Erfolg blieb der Band verwehrt.
Den wichtigsten Schritt in seiner Karriere vollzog David Lindley sicher 1969, als er sich mit Jackson Browne zusammen tat. Dort trug er mit seinem eindrücklich gefühlvollen Gitarrenspiel und seiner Steel-Guitar ganz erheblich zur Unverwechselbarkeit dieser Musik bei. Eine großartige Symbiose zweier großer Musiker, die sich gegenseitig positiv beeinflussten und – soweit ich weiß – bis heute gut befreundet sind. Und diese Connection zahlte sich endlich auch aus, die Plattenverkäufe aus jener Ära dürften sicher in einem hohen siebenstelligen Bereich liegen. Diese Zeit begründet vermutlich auch den Umstand, dass David Lindley zu einem der gefragtesten Studiomusiker in den Staaten wurde und sich mit unzähligen Gastauftritten auf weiteren Platten verewigen konnte. Besonders faszinierend dabei ist die Zusammenarbeit mit Ry Cooder, zum Beispiel auf "Bop Till You Drop" und vor allem in der Filmusik zu Wim Wenders "Paris Texas". Ohne die sphärisch spröden Sounds von Lindley und Cooder wäre der Film nie das geworden, was er ist: Ein großes Kunstwerk.
In der Zeit rund um die Rockpalastauftritte war David, wie schon beschrieben, mit seiner eigenen Band El Rayo-X unterwegs, wobei besonders die zweite Platte "Win This Record" und die nachfolgende, leider nur 40-minütige Live-Scheibe zu nennen sind, zwei meiner absoluten Juwelen im Plattenschrank. Hier spielt David wohl die am meisten Rock-orientierte Musik seiner Geschichte und ich bin heute noch zutiefst traurig, dass die beiden Nachfolger, die nun nur noch unter dem Namen David Lindley veröffentlicht wurden, einer erheblichen Trendwende in Richtung Popmusik unterlegen waren. Vielleicht war ja genau das der Grund für ein Zerwürfnis zwischen ihm und seiner Plattenfirma, aber das ist eine reine Vermutung. Fakt ist hingegen, dass er danach im Prinzip nur noch eigen produzierte Platten auf den Markt brachte, meist 'unplugged' orientierte Duette, bestehend aus Davids Konglomerat akustischer Gitarren gemeinsam mit dem einen oder anderen Perkussionisten. Auch mit den alten Wegbegleitern Jackson Browne und Ry Cooder gab es noch einmal je einen Tonträger, teilweise heute nur noch über Herrn Lindley selbst zu beziehen.
So muss man leider feststellen, dass es zumindest hier in Europa sehr ruhig geworden ist um einen faszinierenden Musiker und angenehm freundlichen Menschen mit einem immer stets ein wenig schrägem Humor. Wer Davids Garderobe kennt, weiß was ich meine. In seiner Karriere gab es Höhen und Tiefen, was den kommerziellen Erfolg angeht. Doch David Lindley ist seiner Linie stets treu geblieben, vielleicht war er ja dem Mainstream einfach ein wenig zu ausgeflippt, wer will das schon beurteilen? Authentisch, virtuos und stilprägend war er hingegen immer, auf ewig begleitet von größtem Respekt anderer großer Musiker.
Und die müssen es ja schließlich wissen …
Plattentipps:
A Beacon From Mars – Kaleidoscope
For Everyman – Jackson Browne
Running On Empty – Jackson Browne
Win This Record – El Rayo-X
El Rayo Live – El Rayo-X
Paris Texas – Ry Cooder
Bop Till You Drop – Ry Cooder
1 Kommentar
S.Maentel
8. August 2016 um 17:24 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Ganz herzlichen Dank für diese Würdigung eines einzigartigen Künstlers !