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Reinhard Mey / Mein achtel Lorbeerblatt – LP-Review

Reinhard Mey - Mein achtel Lorbeerblatt - LP-Review

"Mein achtel Lorbeerblatt" – was für ein merkwürdiger Name für ein Album. Auch wenn noch nicht der ganz große Lorbeerkranz "Über den Wolken" bzw. über des Liedermachers Haupt schwebte, hatte er durchaus schon Lorbeeren für "Der Mörder war immer der Gärtner" (auf "Ich bin aus jenem Holze") eingeheimst. Doch immer hübsch bescheiden, begnügte sich Reinhard Mey beim 1972 erschienenen Nachfolger nicht nur mit einem einzelnen Blättchen, sondern gar mit einem Achtel davon. Das Werk stieg trotz aller Bescheidenheit sogar auf Platz 1 der deutschen Charts.

Locker-folkig startet die A-Seite mit "Musikanten sind in der Stadt". Melodiös mit leicht altertümlichen Anleihen geht es los und der Text ist pointiert, aber doch recht freundlich. Natürlich werden sämtliche Vorbehalte gegen fahrende Spielleut aufs Korn genommen, die ja bekanntermaßen nicht nur singen, sondern auch saufen, rauben und vor fast nichts zurückschrecken. Wortwitz treibt auch "Annabelle, ach Annabelle" an, die im Stil der zwanziger Jahre das Kopfkino auf der ganz großen Leinwand füttert. Der Spottgesang auf die Polit- und Frauenbewegung hat es aus gutem Grund auf diverse Zusammenstellungen gepackt, denn der Ohrwurmfaktor ist so hoch wie Annabelles politisches Sendungsbewusstsein.

"Alles, was ich habe" lässt vor meinem geistigen Auge den Reinhard auf einem Bild von Spitzweg erscheinen. Der arme Dichter und Musikant, der zwar vielleicht nicht mit dem Regenschirm im Bett liegt, aber tiefsinnige Gespräche und eine intensive Beziehung mit seiner Küchenschabe führt. Oder vielleicht auch nur mit einem Kumpel etwas zu tief ins Glas geschaut hat, denn bei diesem Text gehen weitere Credits an Leon Silvers. Den Rest der Songs auf diesem Album hat Reinhard Mey allein getextet und komponiert ("Gute Nacht, Freunde" unter dem Pseudonym Alfons Yondrascheck). Es sind sehr persönliche Lieder dabei, beispielsweise "Schade, dass du gehen musst", den Abschiedsgesang auf einen verstorbenen Freund oder Verwandten, der Pfeife rauchte und Birnenschnaps trank. Mey greift das Alltägliche, Verbindende in seinem Text auf und zeichnet damit ein sehr anschauliches Bild dieses Menschen, der seinen Freunden jetzt fehlt.

"Die heiße Schlacht am kalten Büffet" kommt als Abschluss der A-Seite nochmal mit mächtig Spaß in den Backen. Wie eine mittelalterliche Weise aufgebaut, besingt dieses satirische Werk den Kampf um die besten Brocken. Ob nun bei einem gesellschaftlichen Ereignis oder all inclusive im Urlaub, die niederen Instinkte, die durchbrechen wenn es was für Umme gibt, hat wohl jeder schon mal erlebt.

Die B-Seite beginnt mit dem denkwürdigen Titelsong, der wohl leider nicht zu den zehn Reinhard Mey-Titeln gehört, die wirklich jeder kennt. Obwohl er das meiner Meinung nach mehr als verdient hätte.

»Und ich bedenk', was ein jeder zu sagen hat,
Und schweig' fein still,
Und setz' mich auf mein achtel Lorbeerblatt
Und mache, was ich will.«

Anhören, nochmal anhören, im Ohr festkrallen lassen und immer wieder abrufen, wenn mal wieder jemandem garantiert nicht passt, was du bist oder tust und man dir nur zu gerne vorschreiben möchte, was du anzuziehen, zu sein, zu sagen hast…

"In Tyrannis (Von Wand zu Wand sind es vier Schritte)" beschreibt er das Eingesperrtsein und die Entwicklung dahin, irgendwas zu gestehen und zu unterschreiben, um nur wenigstens eine Decke und Suppe zu kriegen. Ein politisches Thema wird auf eine persönliche Ebene gebracht und wirkt dadurch sehr intensiv und eindringlich. Traurig genug, dass dieses Werk seit der Erscheinung nichts an Aktualität verloren hat.

Den Abschluss dieses Albums bildet "Gute Nacht, Freunde", einer meiner ganz persönlichen Favoriten. Schon lang begleitet mich dieses Lied, das genau die Stimmung widerspiegelt, wenn man nach einem gemeinsam verbrachten Abend, schon etwas rührselig, noch was loswerden will. »…was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarette und ein letztes Glas im stehn…«. Wer kennt das nicht? Eigentlich ruft schon die Matratze, eigentlich wollte man ja schon vor einer Stunde gegangen sein und doch ist da noch was. Irgendwas muss noch raus oder vielleicht ist es auch nur der Wunsch, noch ein bisschen zu bleiben. Schön eingefangen und wiedergegeben ist diese Stimmung auf jeden Fall, auch wenn mir die Version auf diesem Album nicht ganz so gut gefällt.

Auf "Mein achtel Lorbeerblatt" fährt Reinhard Mey eine ziemlich große Besetzung auf. Mir gefällt seine Musik ehrlich gesagt besser, wenn das Arrangement reduzierter ist, so wie auf Menschenjunges. Viel mehr als eine Akustikgitarre und seine Stimme braucht Reinhard Meys Musik eigentlich gar nicht. Trotzdem ist "Mein achtel Lorbeerblatt" eine Platte, die man sich auch komplett anhören sollte. Gerade die Nummern, die nicht so bekannt geworden sind, haben teilweise doch erheblichen Tiefgang. Wer allerdings keinen Sinn für Ironie und Satire hat, sollte die Finger von dieser Platte lassen. Wer allerdings Sinn für feines Vinyl in edlem Gatefold, inklusive praktischem Download hat und darüber hinaus dem klassischen Liedermacher was abgewinnen kann, der wird hier bestens bedient.


Line-up Reinhard Mey:

Reinhard Mey (Gesang, Gitarre)
Heinz Cramer (Gitarre)
Kai Rautenberg (Klavier, Cembalo, Glockenspiel)
Hajo Lange (Bass)
Heinz Niemeyer (Schlagzeug)
Addi Feuerstein (Flöte)
Hubert Schulte (Flöte)

Tracklist "Mein achtel Lorbeerblatt":

A-Seite

  1. Musikanten sind in der Stadt
  2. Manchmal wünscht' ich
  3. Annabelle, ach Annabelle
  4. Alles, was ich habe
  5. Schade, dass du gehen musst
  6. Die heiße Schlacht am kalten Büffet

B-Seite

  1. Mein achtel Lorbeerblatt
  2. Herbstgewitter über Dächern
  3. In Tyrannis (Von Wand zu Wand sind es vier Schritte)
  4. Bevor ich mit den Wölfen heule
  5. Ich wollte schon immer ein Mannequin sein
  6. Gute Nacht, Freunde

Gesamtspielzeit: 40:04, Erscheinungsjahr 2017 (1972)

Über den Autor

Sabine Feickert

Hauptgenres: Rock, Deutschrock, Mittelalter, 'leise Töne'
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