»Eine Geschichte von Freiheit, Liebe und Musik hinter dem Eisernen Vorhang«
Kay Lutter ist eigentlich Musiker und seit 1996 Bassist in der Mittelalter-Rock-Band In Extremo. Bevor er aber dort einstieg, hinterließ er seine musikalischen Duftnoten in verschiedenen Formationen. Doch das Schreiben hat ihn nie richtig losgelassen und so begann er als Texter für Noah und die legendäre DDR-Kultband Freygang zu arbeiten.
Nach der Wende wurde er immer öfter um Beiträge für verschiedene Zeitschriften und Bücher über die Blues- und Hippieszene in der ehemaligen DDR gebeten, zumal er durch seine Mitgliedschaft bei Freygang in der Szene involviert war. Das führte 2004 endlich zu einem kleinen Artikel in der 'Hippiebibel' von Michael Rauhut/Thomas Kochan: "Bye Bye Lübben City: Bluesfreaks Tramps und Hippies in der DDR", erschienen bei Schwarzkopf & Schwarzkopf. "Bye Bye Lübben City" ist übrigens ein Kultsong der Bluesband Monokel.
Es folgten Kurzgeschichten und Lutter widmete sich außerdem dem Schreiben der Tourtagebücher für seine Band In Extremo sowie einer Bandbiografie. Doch nun ein Roman? Das ist schon eine ganz andere Hausnummer, denn der Leser hat hohe Erwartungen. Für mich zum Beispiel muss ein Roman spannend, aber auch emotional sein. Ich mag es, wenn ich beim Lesen ständig die Gefühle wechseln muss, zwischen Lachen und Weinen hin- und hergerissen bin.
Und genau mit diesen Erwartungen habe ich auch das Buch zur Hand genommen und begonnen, es zu lesen. Kay versetzt uns zurück in die achtziger Jahre, eine Zeit also, in der es noch zwei deutsche Staaten gab, die BRD und die DDR: Mike, der Protagonist der Geschichte, ist ein musikverrückter junger Mann, der diese Verrücktheit wohl von seinem Vater, 'Zonen-Elvis' genannt, geerbt hat. Seine Eltern sind sehr tolerant und haben viel Verständnis für seine 'Flausen' im Kopf. Denn gemeinsam mit seinen Freunden Floyd und Porni träumt er von einer Zukunft, in der sie sich als erfolgreiche Musiker sehen. Sie verehren Monokel und Manomann und versuchten, selbst eine Band zu gründen. Mit Madstop meinen sie, ihrem Ziel schon recht nahe zu kommen.
Aber Mike wurde es irgendwann viel zu eng in dem hinterwäldlerischen Potsdam, er wollte ein echter Rockstar werden. Außerdem war sein bester Freund Floyd zwischenzeitlich nach Westberlin zu seinem Vater abgehauen, ohne dass die Freunde etwas davon ahnten, geschweige denn wussten.
Ihn zog es in die Metropole Berlin, um Musik zu studieren und um seinen großen Traum endlich zu erfüllen. Er bekam einen Studienplatz in der Abteilung für Tanzmusik (so war die Bezeichnung tatsächlich) und lernte Nina aus Thüringen kennen, die ebenfalls an der Musikschule Klavier studierte und in die er sich heftig verliebte.
'Kommissar Zufall' half ihm dabei, in die von ihm so sehr verehrte Band Manomann als Bassgitarrist einsteigen zu können, denn es musste endlich Geld in die dauerknappe Haushaltskasse kommen. Das passierte genau in dem Moment, als die Truppe mal wieder – wie schon so oft – verboten wurde, weil ihr Sänger John sich nicht DDR-konform verhielt. Sein Benehmen auf der Bühne war 'jugendschädigend'. Außerdem war es Voraussetzung zur Erteilung der Spielerlaubnis für Amateure (und das waren die meisten Bandmusiker) in öffentlichen Einrichtungen, dass man erstens einer geregelten Arbeit nachgehen und zweitens einen schriftlichen Nachweis vom Betriebsleiter vorlegen musste in der dieser bescheinigte, dass er mit dieser Nebentätigkeit auch einverstanden war. Und an einem Auftrittsabend ging es wieder einmal um das Fehlverhalten der Band, als sie vor eine Kommission, bestehend aus Herren vom Magistrat sowie FDJ-Vertretern zitiert wurden, um Rede und Antwort zu stehen. Einer geregelten Arbeit ging lediglich Mike nach, er studierte. Alle übrigen Bandmitglieder lebten von Gelegenheitsjobs und das war ein absolutes no go im Arbeiter- und Bauernstaat.
Somit konnte Bassspieler Mike miterleben, wie nun – voller gegenseitigem Hass – geschachert und am Ende Kompromisse ausgehandelt wurden, um eine befristete Spielerlaubnis zu erhalten. Die Band durfte endlich wieder spielen und gab jedes Wochenende umjubelte Konzerte, man tourte quer durch die kleine Republik. Der Alkohol – DIE DDR-Droge – floss in Strömen, Mike und Bandkollege Paul konnten sogar eine alte Bruchbude als Wohnung besetzen und die Mädchen lagen den Musikern im wahrsten Sinne des Wortes zu Füßen. Die Liebe zwischen Mike und Nina wurde jedoch auf eine harte Probe gestellt und zerbrach am Ende am Dauer-Fremdgehen des Bassers, der – nachdem er von der Musikschule geflogen war – auf abenteuerliche Art und Weise nach Westberlin zu seinem Freund Floyd flüchtete.
Kay Lutter, der in Potsdam geboren und aufgewachsen ist, hat das Dasein eines Musikers in der DDR hautnah miterlebt, und 'plaudert' sozusagen aus dem 'Nähkästchen'. So schildert er zum Beispiel die Reglementierungen des Systems für 'Tanzmusiker', kennt aber auch hinlänglich deren Schlupflöcher. Aber wehe, man wurde bei einem Regelverstoß ertappt! Das bedeutete »Abweichung von der vorgegebenen Norm« und wurde von den oberen Behörden keinesfalls geduldet.
Mit Humor beschreibt er aber auch die Kniffe und Tricks, die sich die drei Freunde einfallen ließen, um für das benötigte Equipment der zukünftigen Band Madstop an Geld zu gelangen. Und um Einfälle war man in der ehemaligen DDR niemals verlegen. Es gab ein geflügeltes Sprichwort, das da lautet: »Wir machen aus Scheiße Bonbons!«
Wer Freunde hatte, die in den Westen geflüchtet waren, traf sich mit ihnen entweder in Ungarn oder der Tschechoslowakei, so lange das möglich war, bis die DDR-Oberen kurz vor der Wende dem ebenfalls einen Riegel vorschoben. Der Autor beschreibt die widerliche Filzerei der ostdeutschen Grenzpolizei, die nicht einmal davor zurückschreckte, den Anus der nackend vor ihnen stehenden Langhaarigen ausgiebig zu untersuchen.
Da ich ebenfalls in diesem System aufgewachsen bin und 30 Jahre meines Lebens im Arbeiter- und Bauernstaat verbrachte, hab ich das Buch natürlich mit großem Interesse gelesen. Auch wenn ich keine Musikerin bin, sondern musikbegeistert, hat mich doch vieles an meine Jugend erinnert und ich musste sogar das eine oder andere Mal schmunzeln. Locker und unterhaltsam ist das Buch geschrieben und einmal angefangen, legt man es nur ungern wieder aus der Hand. Das ist es, was mir an einen Roman gefällt.
Lediglich mit dem Ausgang der Geschichte hadere ich etwas, denn das Ende bleibt offen und lässt mich mit vielen Fragezeichen im Gesicht zurück. Das finde ich etwas schade, mindert aber keinesfalls den Lesespaß.
Gebundene Ausgabe, 1. Auflage
700 Seiten
ISBN 978-3-95761-171-0
Preis: 24,99 €
Auch als E-Book erhältlich
3 Kommentare
Ilka Heiser
17. November 2019 um 13:31 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hallo Steffen,
Für mich als ehemaliger "gelernter Ossi" war es ein großes Vergnügen, dieses Buch zu lesen und ich denke, ich habe das in meiner Rezension auch so rübergebracht. Auch ich habe mich in den vielen dort angesprochenen Begebenheiten wiedergefunden.
Als großer Musikfan, nun mittlerweile alt und hoffentlich auch weise geworden, höre ich noch intensiver auf die Texte der Ostbands und bin immer wieder überrascht, mit welcher Raffinesse die Zustände in der ehemaligen DDR angeprangert und in entsprechende Lyrics "verpackt" worden sind.
Ja, wir hatten den Blues in der DDR, im doppelten Sinne.
Steffen Nitzsche
18. November 2019 um 19:26 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hallo Ilka, ich stimme dir zu…es war ein Vergnügen und der Abend mit Monomann voriges WE auch. Ich finde es schade, das es im Blues noch Grenzen gibt. Ich kann hier noch das Buch "Düsterbusch-City Lights" empfehlen, das ihn eine ähnliche Kerbe schlägt.
Steffen Nitzsche
16. November 2019 um 11:01 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Die Band zum Buch "Manomann" geht ja wieder auf Tour (Die Zweite) und ich hab das Buch ja auch schon vor 1,5 Jahren gelesen.
Es ist nicht nur gut geschrieben, sondern auch ein gutes Zeitdokument einer ganz bestimmten Szene, die es so nirgends auf der Welt gibt. Man wird an vieles wieder erinnert und so manche Anekdote aus dem eigenen Leben findet dort Vergleiche. Das Buch spiegelt eine Jugendkultur in einer persönlichen Geschichte glaubhaft wieder. Sehr lesenswert…und für die Leute die es miterlebt haben, sicher ein sehr wertvolles Buch über ihre Jugend in der DDR. Im anderen Teil Deutschlands gab es auch den Blues….aber nicht diesen, und darauf kann man stolz sein.