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Bad Dreams / Déjà Vu – CD-Review

Südamerika kann Prog Rock. Bad Dreams kommen aus Buenos Aires und haben sich dort viele Jahre lang Meriten als Genesis-Coverband verdient; erregten Aufsehen unter anderem damit, dass sie mit einem kompletten Orchester zusammen spielten. Die erste Platte mit eigenem Stoff gab es mit "Apocalypse Of The Mercy" anno 2014 – nicht unbedingt ein Debüt blutjunger Talente, sondern eher ein kreatives Gassigehen, nachdem man doch schon einige Zeit lang 'angehalten' hatte. Zeigte man da noch ein paar – sagen wir – 'Schwächen auf hohem Niveau' (so verrennt sich der fast eine viertel Stunde lange Titeltrack doch etwas zu unprägnant), wirkt das zweite Album "Déjà Vu" von 2016 tatsächlich schon gereift. Der Opener "Samurai Of The Rising Sun" verbindet in beeindruckender Weise neo-proggig-wehmütige Melodiosität mit düsterem Riffing, wie man es beispielsweise von Arenas Werk "Contagion" kennt. In nur sechs Minuten errichtet man ein fesselndes emotionales Spannungsfeld und beweist nicht zuletzt mit kleinen Fills und Läufen an der richtigen Stelle auch technische Exzellenz. Der Titeltrack "Déjà Vu" bezaubert von Beginn an mit prägenden Klavierklängen, die rasch die Grundlage für in den Orbit abschweifende Gitarren- und Gesangslinien bilden.

Der erstaunlich akzentfreie Gesang Gabriel Agudos löst durch seine sehr eigene Stimmfarbe eine Assoziation aus, die ich lange nicht mehr hatte – ich denke an Lynn Meredith, den Sänger von Kerry Livgrens Prä-Kansas-Band Proto-Kaw, auch dank dieses gewissen Pathos. Die Assoziation dürfte dennoch recht subjektiv sein – und so speziell sie eben ist, so deutlich wird, dass Agudo in keinster Weise einen Sound-alike-Contest einzugehen versucht – das gibt Bonuspunkte. Aber auch in Sachen Songwriting passt jedoch der Gedanke an nordamerikanische Prog-Legenden – wenn auch punktuell (denn keines der Stücke klingt nur annähernd wie ein anderes). Im langen Intro von "Déjà Vu" wird Agudo nur vom Keyboard begleitet – und die Harmonien, die kleinen, aber unheimlich effektvollen Breaks mit markanten Basslines im Hintergrund und fein-elegischen Melodien haben absolut diesen Kansas-Spirit … und sind zum Heulen schön. Es ist durchaus bemerkenswert, dass Bad Dreams also nicht unbedingt nur an britische Größen erinnern – vielleicht auch der Beweis dafür, dass ihre Musik diese Grenzen verschwimmen lässt – nochmal Bonus.

Einer der Einflüsse der Band stammt dennoch definitiv aus Europa, nämlich Marillion. Das wird nicht nur dadurch unterstrichen, dass kein Geringerer als Steve Rothery im zweiten, schnellen Part des Songs, als Gast ein Gitarrensolo zum besten gibt. "Fallen" mit seiner heavy Gangart und druckvoll-bedrohlichen Gesangsparts, beinahe im theatralischen Stil eines Opern-Basses) erinnert an Galahad. Fast 50 Prozent des Stücks bestehen aus einer Art epischem Outro, vorsichtig getragen von hypnotisch-surrealen Synthesizern als Stütze für das komplette Instrumentarium, das aus minimaler Atmosphäre heraus nochmal kurz ganz groß aufspielt. Keyboarder Jorge Tensini hat als Klangkünstler einen großen Anteil daran, dass jede Sekunde davon trägt. Aber auch Lead-Gitarrist Ariel Trifunoff beweist, dass er sich keinesfalls vor Gastspieler Steve Rothery verstecken muss; das ist hohes Kino. Nach dem großen Finale von "Fallen" entwickelt sich der folgende "Song For Augusto" aus einer psychedelischen Stille heraus. Und eine klitzekleine, rhythmisch prägnante Figur im Gleichschritt von Tasten, Saiten und Fellen trägt sogar ein wenig das Erbe Pink Floyds – ein kleines, feines Stück spezieller Gänsehaut als Starschuss für einen betörenden Wechsel aus zarten Passagen und schneller Crescendos im Vokalteil und zuletzt einem dreieinhalbminütigen, formidablen Instrumental-Outro. Das Highlight eines starken Albums!

Danach darf es mit "Moonlight" eine akustische Gitarrenstudie sein (hätte ich nicht gebraucht, aber okay …). Und dann überraschen Bad Dreams mit dem locker-dynamischen Drive von "A Trick Of The Wind". Wäre es "A Trick Of The Tail" gewesen … nun ja, die gedanklichen Verbindungen zu Genesis ergeben sich durch den Titel ja schon beinahe automatisch. Das ist womöglich auch kein Zufall, erinnert man hier doch musikalisch tatsächlich an Genesis der Mitt-Siebziger. Die Ballade "Frida" stellt ganz zum Schluss nochmal die Fähigkeiten von Sänger Gabrel Agudo in den Mittelpunkt: ganz starke Performance, geschickt eingelullt in verspielte Retro-Klänge. Es ist ein schöner Ausklang des zweiten, erfrischend vielseitigen und intelligenten Albums von Bad Dreams, das beim Hören so viele gedankliche Verbindungen an gut & gern Bekanntes aktiviert, aber nie überstrapaziert. Nummer drei, "Chrysalis", steht schon in den Startlöchern für November 2017. Man darf auch dann wieder viel erwarten … möglicherweise nichts 'Neues', aber Großes. Ihren guten Ruf breitet die Band kurz später bei der inzwischen dritten Teilnahme an der progressiven "Cruise To The Edge"-Kreuzfahrt aus – und hoffentlich kann man die Jungs auch bald einmal in Deutschalnd live bewundern.


Line-up Bad Dreams:

Gabriel Agudo (lead vocals, guitars)
Jorge Tenesini (keyboards, synthesizers, programming)
Alex Calvera (bass, Moog bass pedals)
Ariel Trifunoff (lead guitars, backing vocals)
Fernando Cornejo (drums, backing vocals)

Guest musician:
Steve Rothery (guitar solo – #2)

Tracklist "Déjà Vu":

  1. Samurai Of The Rising Sun (6:20)
  2. Déjà Vu (7:45)
  3. Fallen (7:17)
  4. Song For Augusto (8:21)
  5. Moonlight (3:36)
  6. A Trick Of The Wind (4:36)
  7. Fida (5:10)

Gesamtspielzeit: 43:05, Erscheinungsjahr: 2016

Über den Autor

Boris Theobald

Prog Metal, Melodic Rock, Klingonische Oper
Meine Beiträge im RockTimes-Archiv

Mail: boris(at)rocktimes.de

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