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Die Musik war gestorben. Tom nahm sie mit und ging … – Zum Tod von Tom Petty

J. D. Souther am 17. September 2024 verstorben

Es war ein besonders strahlender Morgen, der ein goldener Herbsttag werden würde, dieser erste Montag im Oktober. Ein Tag, so unwirklich schön wie schrecklich unheilvoll. Der Tag, nach der Nacht, in der ein abartig geltungssüchtiger Buchhalter die Welt erschießen wollte. Und er tat es … weil er es konnte, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. »Die Musik ist heute gestorben…« konstatierte Sheryl Crow, schockerstarrt im Angesicht zweier unaussprechlicher Tragödien. Die Musik starb, und mit ihr viele, unfassbar viele Menschen, durch die Hand eines Einzelnen. Aus einem Grund, den es nicht zu ergründen gibt.

Ich schleppte mich mit sonderbaren Magenschmerzen durch diesen 2. Oktober, so plötzlich und ungewöhnlich wie höchstens einmal in gefühlten zwölf Jahren. Ich hatte nichts Schlechtes gegessen. Ich hatte keine Erklärung. Ich hatte nur ein dumpfes, seltsam beklemmendes Gefühl.
Es war passiert, was unmöglich passiert sein konnte. Die Musik war gestorben. Tom nahm sie mit und ging …

Ob er noch von Las Vegas erfuhr, man mag es nicht erahnen. Es hätte ihn ebenso entsetzt. Tom Petty, den Rocker unter den Humanisten, der sich stets am Puls der Zeit, der Menschen, seinen Fans bewegte, der sich von Natur aus der Politik des Gewissens verschrieben hatte, in allen ihm zur Verfügung stehenden Formen. Sei es schon 1979, bei den legendären "No Nukes"-Konzerten, als er mit dem Who is Who der Rock-Welt Stellung bezog gegen Kernkraft und für eine Zukunft sicherer Energieressourcen. Sei es das Recht auf Kunst und Kultur, das er jedem zusprach, und zwar zu einem erschwinglichen Preis, den er für seine Musik und gegen die Pläne der Plattenindustrie Anfang der Achtziger durchgefochten hatte.

Tom Petty Live 2013 (c) Rocktimes/Tom Blaha

Tom Petty Live 2013 (c) Rocktimes/Tom Blaha

'David' Petty legte sich mehrfach mit den Goliaths seiner Zunft an, und grinste meistens lässig in den Rückspiegel. Da gab es sein leidenschaftliches Statement zum Untergang der freien, kommerzresistenten Radio-Landschaft, das "The Last DJ" 2002 mit wohltuender Vorsätzlichkeit auf unerträglich durchmanipulierte Unterhaltungsmaschinerien hetzte. Doch Petty lamentierte nicht nur, sondern schaffte gleich selbst Abhilfe, und überraschte kurze Zeit später mit einer einzig denkbaren Alternative – seiner eigenen äußerst erfolgreichen SIRIUS XM Satellite Radio Show "The Buried Treasure", die sich bis heute wachsender Beliebtheit erfreut.

Tom Petty war ein unerschrockener, ungewollter Revolutionär, er, der Indianer – und nicht nur im Blut, ein Häuptling, Pionier, Visionär … stoisch, unorthodox, weltoffen, romantisch, dreist, unbeeindruckt von Konventionen, couragiert und Zeichen setzend in vielen Hinsichten.

Es gibt sie einfach nicht, die Schublade, in die man ihn stecken könnte. Wohl aber das unvergleichliche Holz, aus dem Tom Petty sein monumentales Klangreich gezimmert hat – herzrot leuchtende, seelendurchblutende Songs für die Ewigkeit. Für Millionen von Dächern, von denen sie gepfiffen werden, für Highways, die für sie gebaut sein müssen, für Daylights und Sunsets, für Süd und West, für Kalifornien, Louisiana, Indiana, für den Rest der Welt. Für Generationen. Für Cowboys, für Metaller, für Rock Chicks, für American Girls, American Heroes, für Underdogs, für Outlaws, Outsiders, für Traditionalisten, für Avantgardisten… für die Siebziger, und für Siebzehnjährige, in 2017, die ihn vielleicht heute oder morgen entdecken.

Tom Petty Live 2012 (c) Rocktimes/Tom Blaha

Tom Petty Live 2012 (c) Rocktimes/Tom Blaha

Ein einzigartiges Phänomen, wie es Warren Haynes in seiner Ehrerbietung so treffend beschreibt: »Tom Petty was a great songwriter. If he’d written only a handful of the classic songs we’ve all known and loved through the years this would still be the case. But he defied history. He did what so few can do – he kept up the pace for over 40 years and as great as the songs from the early albums were he actually continued to get better and better, composing a lot of his best works later in his career… And not just hits. The kind of hits that "everybody" likes. Casual fans, rockers, musicians, singer-songwriters, male and female – across the board. Everybody loves Tom Petty & the Heartbreakers. And for good reason. I can remember in different stages of my life, (going all the way back to 1976 when I first heard them) no matter where my head was – if I was going through a blues phase, or a jazz phase, or a folky phase, or a funk phase – anytime I would hear a new Tom Petty song on the radio it was like "damn, that’s a good song.«

Bestürzt versucht auch Neil Young die immense Strahlkraft Tom Pettys zu erfassen: »Those chords are still ringing around the world. You have been such a great force, a tremendous contribution to music and the feelings people will hold in their hearts forever when they hear you everywhere.«

Tom war tatsächlich diese fast unheimliche Ausnahme-Erscheinung… ein in sich ruhender Fels, nonchalant und fern jeder zeitgeistigen Hektik, in seiner unverkennbar erdig ausgehobenen, leicht nasalen Stimme, die sich jeglicher Eile erhaben entzog, seine Worte stets mit Bedacht formte, ob beim charmantesten Witz des Tages oder der kurzen Erläuterung der Bedeutung seiner Musik im weltumspannenden Zusammenhang. Es gibt keinen, gab keinen wie ihn. Es gibt keinen Vergleich, der mit Tom Petty funktionieren würde, und dennoch ist dieser erstaunliche 'everybody’s Darling' elementarer Bestandteil zahlloser, verschiedenartigster Plattensammlungen. Tom liebte jeder. Der Universal Soldier of Rock’n’Roll zog über alle Schlachtfelder hinweg, räumte Minen und pflanzte Wildflowers, schoss mit schneeweißen Rickenbackers und artverwandten Saitengewehren in allen Rock-gängigen Taktfrequenzen und traf punktgenau den Nerv seiner Blumenkinder. Tom Petty spaltet keine Lager. Er ist ein Kumpel, dein Kumpel, der dich auf ein Bier um die Ecke einlädt, einen unwiderstehlichen Scherz über das Ergebnis deines letzten Friseurbesuchs macht, und dich anschließend in eine nette kleine Jam-Session reißt, die du dein Leben lang nicht vergisst. Und er kommt wieder vorbei, immer! Nimmt dich mit, an jeder gottverlassenen Straße, an der man dich zurückgelassen hat.

Ein Gefühl, wie es auch Seelenverwandter Bruce Springsteen teilt: »I’ve always felt a deep kinship with his music… whenever we saw each other, it was like running into a long lost brother.«

Florida’s long lost Brother, der sich, wie er es selbst einmal bezeichnete, von Los Angeles adpotieren ließ, verfiel dem Rock’n’Roll als Elfjähriger, der Elvis bei Filmdreharbeiten kennenlernte und augenblicklich vom rhythmischsten aller Schrecken infiziert worden war. Tom ging mit Stephen Stills auf die gleiche Highschool – offensichtlich ein vollkommen verkanntes Bildungsinstitut für Hochbegabte in einem Zentrum musikalischer Spitzentalente, das auch Lead-String-Eminenz Mike Campbell und Key-Institution Benmont Tench hervorbrachte und bereits in Pettys frühen Wirkungskreis von Mudcrutch einfügte. Gainesvilles Lokalmatadore zog es schließlich nach LA. Aus Mudcrutch wurden die Heartbreakers. Und dem Chef-Herzensbrecher gelang mit seiner über alles geschätzten Band … »They are holy to me« … eine über Jahrzehnte hin andauernde erfolgreiche Karriere, märchenhaft und selten, wie man sie heute an einer Hand abzählen kann, wenn man das überhaupt kann.

Tom Petty Live 2012 (c) Rocktimes/Grit-Marina Müller

Durchstarter Tom fing gleich verdammt großspurig an, mischte den alten Kontinent auf, im New Wave-UK von 1976 mit seinem frech, laut und fast outdated vor die Füße gerockten Bandstempel "American Girl", legte mit den Album-Klassikern Damn The Torpedoes, "Long After Dark", "Hard Promises" endgültig sein eindrucksvolles Fundament in den Charts-Notierungen diesseits und jenseits des Atlantiks. Petty drehte weiter auf, tobte mit bombastischen, überdimensionalen Hymnen und in Begleitung namhaftester Hollywoodstars ins MTV-Zeitalter. "Don’t Come Around Here No More", "Free Falling", "I Won’t Back Down", "Learning To Fly", "Into The Great Wide Open", "Mary Jane’s Last Dance" … Wer kennt sie nicht, die Hit-Giganten auf dem Weg zur Jahrtausendwende. Er war einer der außerirdischen Traveling Wilburys und schuf mit der mythischen Überband zwei der schönsten, herausragendsten Alben der Popmusikgeschichte. Er schrieb für unzählige andere, komponierte Filmmusik, stand selbst vor der Kamera, tourte mit Dylan, arbeitete mit Cash, als wären es Kneipenbrüder. Das waren sie wohl … Und er erfand sich wieder… wollte weiter … glänzte noch mehr … Grandios stripped down und meisterhaft subtil schlängeln sich die Räder des "Highway Companion" über den West Coast Boulevard, dann fuhr er sie wieder hoch, die monströse Rockwand von Mojo, verbiss sich in die markigen 'back then'-Strukturen seines "Hypnotic Eye". Stillstand gab es für ihn nicht. Die Tour zum 40-jährigen Bandjubiläum der Heartbreakers war ’nur' ein weiterer Meilenstein in der Geschichte des Tom Petty, der sich nach einer kleinen Ruhepause schon bald zu neuen Großtaten inspiriert sah, wie er in seinem letzten Interview für die LA Times Ende September noch zufrieden und voller Schaffensdrang verlauten ließ. »I like to get out of bed and have a purpose …« erklärt er lächelnd die Triebfeder seiner simplen, kreativen Lebensidee.

Tom Petty Live 2012 (c) Rocktimes/Grit-Marina Müller

Tom Petty Live 2012 (c) Rocktimes/Grit-Marina Müller

Als überaus zweckdienlich für den charismatischen Überflieger erwies sich sein schier unfehlbarer Instinkt für rockmusikalische Lehrstücke, die in ihrer spektakulären Eingängigkeit und Langlebigkeit zum allgemeinen Kulturgut des 20. Jahrhunderts gezählt werden dürfen. Superlative, mit denen man gewiss vorsichtig umgehen sollte. Doch in diesem Moment trauriger, bitterer Endlichkeit würdigen gerade die Größten der Großen, die bezeichnender Weise auch zu Pettys wichtigsten Einflüssen und Weggefährten zählen, sein beispielloses Lebenswerk und unstrittiges Alleinstellungsmerkmal. Paul McCartney, Mick Jagger, Brian Wilson, Bob Dylan, Steve Winwood oder Roger McGuinn sind es, die gleichsam erschüttert einen Verlust beklagen, der nicht zu ermessen ist.

Tom Petty war ein begnadeter, echter Volksmusiker, durch und durch glaubwürdig, ein Entertainer, exzellenter Humorist, feiner Beobachter mit einem unerhörten Gespür für die Nuancen jeder menschlichen Regung … ein zauberhafter Poet, verblüffender Minimalist, der es auf einmalige Weise verstand, die Magie großartiger emotionaler Bilder in seiner so entwaffnenden Lyrik auf den knappsten, zündenden Punkt zu bringen – grotesk, bizarr, bissig schwarz, herzlich warm, sehnsüchtig, hoffnungsvoll, grundehrlich, ohnegleichen … Kein Zweiter dichtet wie Tom, befand auch George Harrison einmal, beinah sprachlos verzückt.

Verdammt. Es ist nicht zu begreifen. Und sie wird kaum zu ertragen sein, eine grauenhaft lärmende Welt, ohne die exquisiten Sounds, brillanten Songs und die erhellende Präsenz des großen Blonden mit der Aura liebgewordener Allgegenwärtigkeit.

So bleibt nur, sich einmal mehr auf die Weisheit und Sachkenntnis des Boss zu stützen:
»Good songs stay written. Good records stay made. They are always filled with the promise and hope and life essence of their creator. Tom made a lot of great music … enough to carry people forward.«"

Vorwärts geht’s … in diesem Sinne…

Happy Birthday today, Refugee!

Rock on in heaven …

Über den Autor

Grit-Marina Müller

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