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Cheap Wine / Dreams – CD-Review

Cheap Wine / Dreams

Interessant, wenn man den Werdegang einer Band über viele Jahre mitverfolgen kann, genauer gesagt seit der Veröffentlichung von Spirits im Jahr 2010. Das sind immerhin nun schon sieben Jahre, die Anfänge mit der Erstveröffentlichung der EP 1997 und den folgenden vier Scheiben bis 2007 blieb uns leider verwehrt. "Spirits" fand ich damals noch recht rockig und so zog ich Vergleiche von den Black Crowes über die Sand Rubies bis hin zu Rory Gallagher. Mit Based On Lies stieß Pianist, Keyboarder und Akkordeon-Spieler Alessio Raffaelli zur Band. Das hatte zur Folge, dass diese Instrumente einen breiteren Raum eingenommen haben, sich somit der Sound doch etwas mehr in Richtung Progressive entwickelt hatte, die Songs 'ruhiger' geworden sind. Ein Nachteil? Keinesfalls, wie immer wieder festgestellt wurde.

Nun liegt mir "Dreams", das für mich mittlerweile fünfte Album der Band (einschließlich der Live-Scheibe Mary And The Fairy), zur Rezension vor und ich bereite mich mental auf die 'Träume' vor.
Zufrieden stelle ich fest, sie können es immer noch, nämlich ab und zu mal rocken und auch die dazu passenden Ohrwurm-Melodien komponieren, was mit "Full Of Glow" eindrucksvoll bewiesen wird. Das Stück bewegt sich in der Dunstwolke von Mellencamp, man könnte aber ohne weiteres Vergleiche mit den Black Crowes ziehen.

Das verschleppte "Naked" gefällt mit einem tollen Gitarrensolo und man neigt unmittelbar dazu, mit den Fingern zu schnippen und mitzusummen. Das Intro zu "The Wise Man’s Finger" beginnt mit einem Keyboard-Intro und wird überwiegend von sehr zurückhaltenden Wah Wah-Gitarren unterlegt (oder wird dieser Sound doch eher vom Keyboard erzeugt?). Auch die Rhythmus-Fraktion agiert mal fordernd, mal dezent, passt sich den Song-Gegebenheiten hervorragend an.

Bei "Bad Crumbs And Pats On The Back" hat sicherlich so mancher Americana/Blue Grass-Held Pate gestanden. Michelle Diamantini entpuppt sich wieder einmal als hervorragender Gitarrist, der die Axt bei den Soli jaulen lässt, wie einen hungrigen Wolf. Und "Cradling My Mind" weckt Assoziationen sowohl an Leonard Cohen als auch an die ruhigen Songs von Chris Rea. Diese Nummer würde mal Qualität in den täglichen Radio-Quark bringen!

Auf eine sechsminütige, düstere Traumreise nimmt uns die Band nun mit "Pieces Of Disquiet" mit. Faszinierend, wie sich dieser Song mit zunehmender Spielzeit akribisch aufbaut. Beginnend mit Percussions und sanft vor sich hin wabernden Keyboards 'erzählt' Marco Diamantini seine düstere Geschichte und sorgt für passende Gänsehaut:

»I was down at the wayside
In this town of lone souls
I was high, I was chased by
awful, bad bogeymen.«

Eine spartanisch eingesetzte Akustik-Gitarre setzt punktgenaue Akzente und man wird das Gefühl einer fast unheimlichen Bedrohung einfach nicht los. Kurz bevor man vielleicht noch einen Kollaps bekommt, wird diese Traurigkeit und Düsternis von der E-Gitarre regelrecht zerschnitten, Piano-Tupfer lassen sogar wieder etwas Frohsinn aufkommen – Spannung pur also.

Hört man genau zu, kann man feststellen, dass sämtliche Stücke eine inhaltliche Bedeutung haben, die von Marco, jeweils passend zum Track perfekt in Szene gesetzt werden: Mal mit sanfter Stimme als Geschichtenerzähler, manchmal fordernd wie in der Up-Tempo-Nummer "For The Brave" oder fast gehaucht, aber niemals mit zu viel Schmalz vorgetragen.
Und bezüglich der Texte kommen mir Tom Petty, aber auch Jim Morrison von den Doors in den Sinn, die beide als geniale Songwriter in die Rockgeschichte eingingen.

Draußen schneit es ausgiebig, unser Ort liegt unter einem weißen Kleid und ich höre mir gerade den letzten Track des Albums, "Dreams", genussvoll an. Marco erzählt noch einmal von seiner Stadt, die voller Entdeckungen, aber auch voller Träume ist. Akustik-Gitarre, ein perlendes Keyboard, punktgenaue Percussion, etwas später eine sanft einfallende E-Gitarre und Marcos zurückhaltende Erzähl-Stimme, das sind die Zutaten, aus denen Träume gemacht werden. Und ja, ich träume auch…. – über sieben Minuten lang und bin einfach nur fasziniert von diesem kleinen Meisterwerk, das Fröhlichkeit und Hoffnung ausstrahlt. Cheap Wines "Stairway To Heaven"?

Hoffnung hat die Band vermutlich immer noch und auch ich frage mich, warum nach diesen vielen Jahren, in denen die Italiener ein feines Album nach dem anderen produzieren, sich sicher sowohl in Rock, Prog Rock und Americana bewegen und ein bestens aufeinander abgestimmtes Dream Team voller Spielfreude sind, bis jetzt immer noch keinen Plattenvertrag haben? Schon 2012 schrieb ich: »Ob Cheap Wine damit nun endlich den Durchbruch schaffen? Ich gebe die Hoffnung einfach nicht auf.« Nun, die Hoffnung stirbt immer zuletzt.
Promoter, Veranstalter, Label – seid ihr wirklich taub auf beiden Ohren!
Nein – das hier ist wahrlich kein schlechter Wein, ganz im Gegenteil! Ich lege jedem Musikinteressierten mit gutem Geschmack die Platte ans Herz.


Line-up Cheap Wine:

Marco Diamantini (vocals)
Michele Diamantini (electric guitar, acoustic guitar, 12 strings guitar)
Alan Giannini (drums, percussion)
Andrea Giaro (bass, cello, double bass)
Alessio Raffaelli (keyboards)

Tracklist "Dreams":

  1. Full Of Glow
  2. Naked
  3. The Wise Man’s Finger
  4. Pieces Of Disquiet
  5. Bad Crumbs And Pats On The Back
  6. Cradling My Mind
  7. For The Brave
  8. I Wish I Were The Rainbow
  9. Reflection
  10. Dreams

Gesamtspielzeit: 44:30, Erscheinungsjahr: 2017

Über den Autor

Ilka Heiser

Hauptgenres: Classic Rock, Blues Rock, Heavy Rock
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