Auf der CD steht in großen Lettern: »Don’t listen while driving or operating heavy machines«
Den emsigen Bremer Dad Horse Ottn könnte man als das fünfte Tier der bekannten Stadtmusikanten – bitte ganz unabhängig davon, worum es im Märchen der Gebrüder Grimm geht – ansehen. So stellt sich nur die Frage, auf welchem Rücken ein Chamäleon Platz finden könnte?
Dad Horse Ottn trägt eine Grubenlampe, befindet sich im Förderkorb in einer rasanten Fahrt in die Teufe der Seele. In der Dunkelheit gilt seine Exkursion der Suche nach den Schätzen der Emotionen und ist in den hintersten Ecken, dort wohin bisher so ziemlich noch niemand vorgedrungen ist, fündig geworden.
Bei seinen Forschungen ist er auch auf Ablagerungen der R&B-Sängerin Barbara Lynn ("You’ll Lose A Good Thing"), dem Blues-Musiker Jimmie Rodgers ("My Rough & Rowdy Ways") beziehungsweise Bill Monroe ("Wicked Path Of Sin") gestoßen.
Deutsch gesungen streifte der Protagonist noch einen Zipfel der fast schon verkapselten NDW. Der schrullig-avantgardistische Bremer präsentiert seinen Text in "Ich steig in die Bahn" ganz bewusst lasziv-verquer. Dazu singt der Mädchenchor der Jugendforensischen Abteilung im M.A.-Littler-Fachkrankenhaus Rodgau in Kindersinggemeinschafts-Manier. Man muss schon einen aufgeschlossen Bezug zur Musik haben, wenn man den Song-Raritäten folgen möchte und sie obendrein mindestens interessant findet. "Ich steig in die Bahn" ist jedenfalls eine Nummer, die die Band Foyer Des Arts oder andere Vertreter der NDW nie zu veröffentlichten gewagt haben.
Der Banjo-Freak lässt allerdings auch andere Klangkörper zu Wort kommen. So befinden sich in der auf der anderen Seite gelegenen Waagschale die akustische oder elektrische Gitarre, gespielt von Gregg Weiss, der gemeinsam mit Dad Horse Ottn auch produziert hat, sowie Neil McCarthy. Hier und da ergänzen eine Orgel, eine Flöte oder Mandoline den Sound gewinnbringend. Mit dem geschulterten Banjo wandert The Dad Horse Experience "Down The Mississippi". Der vom rauen Wind geschliffene 12-Takter kommt gut an, und laut Information zur Platte handelt es sich hier um eine »[…] SM-Ballade. Der arme Dad Horse als hilfloses Objekt ihrer sadistischen Gelüste in den Fängen einer Lady in Lila […]«, Peitschen-Klänge inklusive.
Dad Horse Ottn singt die englischen Texte mit einem deutschen Gefälle-Akzent. Er ist ein typischer th-Sünder, was ihn im Kontext seiner Musikalität nur noch sympathischer macht.
"World-Self-Pity-Day-Blues" ist seelische Selbstbemitleidung, bei der selbst der Hörer ein Taschentuch in Griffnähe bereit liegen hat. Neil McCarthys fuzzige E-Gitarre klingt wie die Befreiung aus der Blues-Zwangsjacke.
In "My Rough & Rowdy Ways" hatte Jimmie Rodgers auch schon das Jodeln drauf. So schallte es auch hier aus dem hohen Norden in Dad Horse Ottn-Manier und das Echo wird von den Alpen reflektiert.
Wohin geht die Reise für den progessiven Künstler in "My Last Ride"? Musikalisch verpackt als Country-Schunkler postuliert der Protagonist: »[…] There’s an empty chair in heaven, there’s an empty chair in hell, both they have my name on it & both might suit me well. […]«
"Wicked Path Of Sin", ein Duett mit Gabi Swiatkowska, verlegt man kurzerhand in eine Berghütte und das dramatische Ende bestreitet der Titelsong "I Am A Stranger Here Below".
So ist es halt mit der zweimal von der Muse geküssten The Dad Horse Experience … entweder oder. Bei der vorliegenden Platte kommt man zu einem identischen Fazit, wie es Kollege Markus für Eating Meatballs On A Blood-Strained Mattress In A Huggy Bear Motel schon formulierte: »[…] Entweder man liebt den Bremer oder man hasst ihn, dazwischen wird es kaum einen Millimeter Platz geben. […]« Innerhalb von nur einunddreißig Minuten Gesamtspielzeit hat The Dad Horse Experience jedenfalls einen neuen Fan.
Line-up The Dad Horse Experience:
Dad Horse Ottn (vocals – #1-10, banjo – #1-3,7,8,10, electric banjo – #1,5, bass pedal – #3,5,7,8)
Gregg Weiss (guitar – #2,6-9,10, drums – #4, mandoline – #9, bass – #1,7,10, organ – #4,10, flute – #7)
Neil McCarthy (electric guitar – #1,4,5,8)
Thibaud Pfender (drums – #5,7,8)
Gabi Swaiakowska (bass – #4, vocals – #9)
Samuel St Samuel (guitar, backing vocals – #3)
Marco Hartz (mandoline – #6)
Mädchenchor Jungendforensische Abteilung im M.A.-Littler-Fachkrankenhaus Rodgau (backing vocals – #8)
Tracklist "I Am A Stranger Here Below":
- That’s The Day (2:50)
- I Know Your Name (2:45)
- My Last Ride (2:53)
- You’ll Loose A Good Thing (3:35)
- World-Self-Pity-Day-Blues (4:20)
- My Rough & Rowdy Days (2:13)
- Down The Mississippi (3:23)
- Ich steig in die Bahn (2:05)
- Wicked Path Of Sin (2:40)
- I Am A Stranger Here Below (4:10)
Gesamtspielzeit: 31:00, Erscheinungsjahr: 2017
2 Kommentare
Alan
22. Dezember 2017 um 0:42 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
love him…
by the way: das heißt "Sacred Flu Production" …
Sabine Feickert
22. Dezember 2017 um 0:51 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Danke für den Hinweis, haben wir gleich korrigiert.