Das Jahr 2017 verlief für Miller Anderson und seine Band ziemlich ereignisreich. Im März und April tourten sie gemeinsam mit Spencer Davis und Schlagzeuglegende Pete York als Spencer Davis Group kreuz und quer durch Deutschland. Die beiden Gründungsmitglieder der legendären Sixties-Band hatten also gleich die komplette Gruppe des schottischen Gitarristen für ihr Line-up 2017 eingemeindet. So etwas kommt auch nicht alle Tage vor, ist aber meiner Meinung nach ein genialer Schachzug gewesen, so eine eingespielte Mannschaft von klasse Musikern zu engagieren. So konnten die frei gewordenen Plätze von Eddie Hardin († 22.07.2015) und dem zu Ten Years After abgewanderten Colin Hodgkinson optimal neu besetzt werden.
Doch für den inzwischen 73-jährigen Sänger/Gitarristen Miller Anderson war das noch lange nicht genug. Kaum war die Tour mit Spencer und Pete beendet, stand die Miller Anderson Band am 25. April 2017 auf dem Vienna Blues Spring Festival wieder unter eigenem Namen auf der Bühne. Der Gig wurde von Radio Östereich mitgeschnitten, die Rechte übernahm Fank Tischer und veröffentlichte ihn jetzt als neue CD "Live In Vienna". Wer die Band schon einmal live erlebt hat oder wenigstens die außergewöhnlichen Live-Alben From Lizard Rock (2009) bzw. Live At Rockpalast (2011), das als CD und DVD herausgekommen ist, kennt, der weiß, dass die Gruppe auf der Bühne immer am stärksten ist.
Und so ist es auch bei diesem Longplayer. Guter klarer Sound und lediglich zwei Songüberschneidungen zu den anderen beiden Livemitschnitten machen den Erwerb der CD durchaus lohnenswert. Dazu wirkt die Gruppe extrem gut eingespielt und aufeinander abgestimmt, was sich schon bei ihrem Gig in der Kniestedter Kirche im Jahr 2016 andeutete. Bassmann Janni Schmidt, der den Ex-Edgar Broughton Band-Mann Kris Gray ersetzte, ist voll integriert und passt hervorragend ins Bandgefüge, während Frank Tischer (keyboards), Tommy Fischer (drums) und Miller selbst schon seit etlichen Jahren eine perfekte Einheit bilden.
Die CD beginnt mit "Through The Mill" und leicht funkigem Einschlag. Dazu gibt es das erste gefühlvolle Solo am Sechssaiter, dem gleich der erste beeindruckende Alleingang an der Orgel folgt. Außerdem setzt Miller Anderson zum ersten Mal die Mundharmonika ein. Ein perfekter Einstieg!
Weiter geht es mit "Overdog", einem Song, der vom Rhythmus her an indianische Taktgebung erinnert und sich langsam zu einem starken Rocker entwickelt. Schwere Orgelsounds bestimmen die Szenerie und im Mittelteil reißt Miller ein fast psychedelisches Solo runter, bevor Janni Schmidt zu seinem ersten Alleingang ansetzt. Klasse gemacht!
Dann folgt mein persönlicher Überflieger "When A Blind Man Cries". Der Deep Purple-Song, den ich von Miller Anderson schon unzählige Male und in den verschiedensten Formationen gehört habe und der immer wieder für Gänsehaut sorgt. Endlich ist er mal auf einem Live-Album der Miller Anderson Band vertreten. Im Gegensatz zum "City Blues", der als einziger Titel auf allen drei Livemitschnitten zu hören ist. Und das vollkommen zu Recht, handelt es sich doch um eine der eingängigsten Nummern der Band überhaupt.
Über die Daseinsberechtigung von "Route 66" kann man durchaus geteilter Meinung sein. Ich hätte den Titel aus den vierziger Jahren nicht unbedingt gebraucht. Da gibt es stärkere Songs. Aber natürlich ist auch diese Nummer perfekt gespielt. Genau wie die unglaublich gefühlvolle Ballade "Across The Borderline", die auch schon auf "From Lizard Rock" enthalten ist. Die tolle Stimme Miller Andersons steht hier im Vordergrund und wird durch ein klasse Pianospiel von Frank Tischer ganz stark untermalt, der außerdem auch für die Backing Vocals zuständig ist.
Bei den beiden nächsten Songs "Where Is Your Heart" und "Born To Die" ist der Blues die treibende Kraft. Bei Ersterem ergänzen sich Gitarre und Piano perfekt, aber Millers Stimme steht über allem. Außerdem enthält das Stück das wohl stärkste Gitarrensolo des Albums. Zusammen mit dem Piano entwickelt sich der Titel dann zu einem tollen Jam. Großes Kino!
Und noch eine Spur stärker taucht die Band bei "Born To Die" in den 12-Takter ein. Ein Slow Blues mit herrlichen Zwiegesprächen von Orgel und Gitarre. Für mich fast das stärkste Stück auf "Live In Vienna" und mit über zehn Minuten auch das längste. Zudem lässt Miller Anderson hier auch nochmal die Bluesharp ertönen.
Das Album endet mit dem Spencer Davis-Klassiker "I’m A Man", zu dem man wohl nicht mehr allzu viel sagen muss. Frank Tischer und Tommy Fischer können sich nochmal so richtig an ihren Instrumenten austoben und zeigen, was sie für tolle Musiker sind.
"Live In Vienna" setzt die Reihe der hervorragenden Livemitschnitte der Miller Anderson Band nahtlos fort, und man sollte auf keinen Fall versäumen, sich die Gruppe live anzusehen. Es lohnt sich, wie man hier auch hören kann!
Line-up Miller Anderson Band:
Miller Anderson (guitar, vocals, harp)
Frank Tischer (organ, piano, backing vocals)
Tommy Fischer (drums)
Janni Schmidt (bass)
Tracklist "Live In Vienna":
- Through The Mill
- Overdog
- When A Blind Man Cries
- City Blues
- Route 66
- Across The Borderline
- Where Is Your Heart
- Born To Die
- I’m A Man
Gesamtspielzeit: 65:31, Erscheinungsjahr: 2017
3 Kommentare
RT-Jürgen
30. März 2020 um 8:29 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hallo Tanja, versuch es mit der CD mal auf der Homepage von Frank Tischer. Da müsstest du Erfolg haben, denn er macht den Vertrieb. Ob es einen Mitschnitt von dem Festival gibt, weiß ich nicht.
LG Jürgen
Ulli Heiser
30. März 2020 um 8:28 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hallo Tanja,
schau mal auf der Seite von Frank Tischer (https://www.frank-tischer.de/millerandersonband/). Die Platte ist momentan zwar ausverkauft, es soll aber eine zweite Auflage in Planung sein..
Grüße
Ulli
Kronheim Tanja
30. März 2020 um 1:14 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Wie kann man diese CD bestellen? und kommt eine raus vom Vienna Spring festival 2019? Der Ö1 Beitrag kürzlich gat mir erstmals die Augen und das Herz für Blues geöffnet