Der Bremer Musiker, Produzent und Komponist Rolf Kirschaum findet sich in so einigen Line-ups besprochener Alben auf RockTimes. Eine kleine Übersicht findet sich im Review des 2007er Albums Hundred Ways To Kill Your Love.
Von diesem Album befinden sich übrigens fünf Stücke auf vorliegender Scheibe, die als Werkschau verstanden werden will, denn wenn Rolf auch seit Ende der Achtziger musikalischen Output liefert, so denke ich, ist sein Name beim breiten Publikum eher weniger bekannt. Sein Label Sireena scheibt korrekt, dass er »seit vielen Jahren in der deutschen Musiklandschaft eine Sonderstellung einnimmt« und er »der Zeit immer ein Stück voraus war«.
Und Ende der Achtziger musste man entweder Fachzeitschriften lesen, einen engagierten lokalen Plattenladen haben oder aber auf bestens informierte Freunde zurückgreifen können, wenn man neue und vor allem nicht massenkompatible Musik aus zum Teil Underground-Kreisen kennenlernen wollte. Da stand nämlich das Internet mit seinen Musikkanälen, Musikmagazinen, Foren und Newsgroups noch nicht zur Verfügung, um allumfassend informiert zu werden. In Anbetracht dessen, was heutzutage an Überflutung alles präsentiert wird, mag ein jeder selbst entscheiden, was Vor- oder Nachteil ist.
Auf jeden Fall braucht es aber auch heute gute Informierer, wenn es um Bands wie z. B. The Pachinko Fake geht, denn mit Musik dieser Gruppe wird man auch im Digitalzeitalter nicht an jeder Ecke zugeschüttet. Geht es um solche Musik, gerade auch aus deutschen Landen und aus Ecken, die man schwerlich kennt, wenn man nicht aus denselben kommt, so ist das Label Sireena immer eine verlässliche Quelle und legt nun die Werkschau vor, die einen guten Überblick gibt und den Kauf des kompletten Backkataloges unnötig erscheinen lässt. Oder aber zu dessen Kauf animiert.
Neben den Stücken aus bereits erwähntem "Hundred Ways To Kill Your Love", hören wir Nummern aus "Por La Vida" (1993), "Yo Kundam" (1980), "Pachinko Fake" (1989) sowie "Look! The Other Side" (1987). Interessant an der zwanzig Jahre umfassenden Zusammenstellung ist zu hören, wie weit gespannt der musikalische Bogen der Formation ist. Alleine schon die Vielfalt der ersten fünf Stücke aus dem Album "Hundred Ways To Kill Your Love" reicht von Bowie– und Stranglers-nahen Tunes bis hin zu postapokalyptischen Indie-Sternstunde "Sugarless Candy". Auch "Comfort" tendiert in diese Richtung, hat aber zudem eine Spur Velvet Underground, gepaart mit Desert-Gitarre und Achtziger-Elektronik.
"Cool" vom dreizehn Jahre jüngeren Album "Por La Vida" dagegen möchte man fast als erträglichen Hip Hop bezeichnen, wogegen die beiden anderen Nummern von dieser Platte rockig nach vorne treiben. Das funktioniert, auch wenn Rolf fast alle Instrumente alleine bedient und nicht wenig Elektronik eingebaut ist. Man muss die Stücke dieser Band mehrmals hören, um alle Nuancen und eingestreute Zutaten zu erfassen. "Push Me Before I Fall" aus dem Jahr 1990 ist ein hypnotisierender und pulsierender Beat, der Tanzjünger in Kellergewölben zur Ektase treiben kann und dies wahrscheinlich auch tat und tut. In die gleiche Kerbe schlägt "Hey DJ, Do You Realy Want To Hurt Me?".
Ganz anders dagegen "Simple Mind". Minimalistisch startet die Nummer mit akzentuiertem Schlagzeug von Mathias Bauer und Gebasse von Stefan Walkau. Die Vocals von Rolf kommen erst mal im Erzählmodus und die Tasten bedient der japanische Fusionist Haruo Togashi. "Simple Mind" empfinde ich als Appetizer, das Hauptgericht aus dem Album "Pachinko Fake" hört auf den Namn "Movin'". Gleiche Besetzung, saustarke Rhythmik, die stellenweise nur von Bass und den Fellen aber so etwas von gekonnt durch den Raum donnert, dass man wissen will, wie das wirkt, wenn man den Volume-Regler weit nach rechts dreht. Immer wieder schieben sich Tasten und Saiten mit fernöstlichem Flair in das Geschehen. Saustark, wie gesagt.
Das etwas experimentell wirkende "Eat Me Up (Before You Go Go)" muss man mehrmals hören, bis man den zappaeseken Stallgeruch in der Nase sortiert hat. Dann entfaltet die Nummer die gewünschte Wirkung. Überhaupt scheint die Platte, von der auch das folgende "Mainichi" stammt, äußerst progressiv zu sein, was sicherlich auch am Mitwirken des japanischen Fusion-Musikers liegen mag. Auf "Mainichi" ist er allerdings nicht dabei. Hier sorgt Uwe Walter für Exotik und zwar durch das Spielen der Shakuhachi, einer japanische Bambuslängsflöte. Um das Flötenspiel herum oszilliert Rolf mit Stimme und Saiten. Auch dieses Stück ist keine Allerweltsnummer.
Das wohl schrägste Stück (im positiven Sinne) ist "Jet Lag". Hier soll wohl bereits der Trackname suggerieren, dass es etwas anders zugeht. Irres Tempo, die Vocals von Uwe Walter klingen wie Grobschnitt auf Speed und jeder rote Faden den man findet, zerreißt, bevor man ihn packen kann. Ja, das ist in der Tat eine Werkschau, die viele Facetten der Band um Rolf Kirschbaum aufzeigt. Die Idee des Albums ist nicht schlecht, kann doch nun ein jeder seinen bevorzugten Stil finden und sich in die entsprechenden Platten vertiefen.
Line-up The Pachinko Fake:
Achim Färber (drums . – #1-5)
Uwe Baue (drums – #6)
Mathias Bauer (drums – #11,12,15)
Andreas Proff (keys & sax – #6,8, cello, sax, backing vocals – #6)
André Szigethy (backing vocals, synth bass – #6, keys – #8)
Bernd Schlott (clarinet – #9, sax – #10)
Stefan Walkau (bass – #11,15)
Haro Togashi (keys – #11,12)
Uwe Walter (shakuhachi – #14, vocals – 15)
Rolf Kirschbaum (guitar, vocals and all other instruments)
Tracklist "Flakes – A Collection Of Fine Songs"
- Get Out Of My Face
- Existence
- Sugarless Candy
- Comfort
- Closer To The Sky
- Cool
- He Made Love To A Six Pack
- Leben Und Sterben In Hamburg
- Push Me Before I Fall
- Hey DJ, Do You Realy Want To Hurt Me?
- Simple Mind
- Movin'
- Eat Me Up (Before You Go Go)
- Mainichi
- Jet Lag
Gesamtspielzeit: 69:55, Erscheinungsjahr 2018
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