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The Machine / Faceshift – CD-Review

The Machine / Faceshift

"Faceshift" wird als ein wörtlich zu nehmendes Vermächtnis in der nun mehr als zehnjährigen Bandgeschichte stehen, denn es ist das letzte Werk mit Hans van Heemst, jenem großartigen Bassmann, der im normalen Leben wie der nette Junge von nebenan wirkt und auf der Bühne oder im Studio mal eben die härtesten Saiten anschlägt, die man sich nur vorstellen kann. Es war eben dieses Triumvirat dreier Charaktere, das The Machine immer ausgemacht hat, ganz gleich ob in ihrer frühen Jam-Phase oder den späteren Entwicklungsstufen. Ekstatisch ausufernde Gitarren eines entspannt genialen David Eering, wild köchelnde, aber auch filigran virtuose Drums vom stimmungsmäßigen Herz der Truppe, Davy Boogaard und eben ein knallharter, knochentrockener Bass von Hans, der den Songs erst jenen verwegen, aggressiv düsteren Duktus gegeben hat, für den ich die Band so sehr liebe.

The Machine gehen mit "Faceshift" den nächsten Schritt, sie 'verlagern das Gesicht' der Band, übrigens sehr schön adaptiert im Titelcover. Angefangen als wilde, bluesrock-trunkene, psychedelische Jammer mit dem Höhepunkt auf ihrem Album "Drie" gab es erst im vierten Album "Calmer Than You Are" eine Bewegung hin zu strukturierteren Songs mit mehr Raum für psychedelisch stimmungsvolle Klangbilder, während auf der "Split" mit Sungrazer eher ein doomig, punkiger Geist Einzug hielt. "Offblast", das Album von 2015 wie eine Art Klammer zwischen den musikalischen Phasen, nach familiären Veränderungen irgendwie auch ein Synonym auf Alt Bewährtes und neue Einflüsse. Und nun wenden sie das Gesicht immer mehr dem Noise-Rock zu.

Ganz überraschend kommt das für den Beobachter nicht. Schon auf der Split-Tour mit Sungrazer hatten sie eine erste punkige Nummer im Gepäck und die mitreißende MC5-Zugabe damals in München zeigte auch schon, wo es hingehen könnte. Kurz und knapp und auf die Fresse.

Ach ja, und ganz nebenbei wurde das Album von Awe-Records produziert, einer Art Haus-Label, denn hinter dem wohl gewählten Namen verbirgt sich niemand anderes als David Eering selbst. Gut gewählt deshalb, weil auch der gleichnamige Song, "Awe" vom "Split"-Album eine Art Wegweiser für die Zukunft angesehen werden kann. Davon gibt es in der Geschichte der Band mehrere, aber davon später.

Nun kommen sie eben erstmals mit einem größeren Sammelsurium von kurzen Songs daher, acht Nummern auf gut vierzig Minuten. Nur mal zur Erinnerung: Die letzten beiden Jams auf "Drie" laufen allein über die gleiche Zeit. Man hat sich endgültig der Kompression verschrieben, opfert lang ausufernde Improvisationen für harte, konzentrierte Akzente.

"Crack You" ist einfach der perfekte Opener, denn er bildet sozusagen das Bindeglied zum letzten Album. Ja, "Crack You" hätte auf "Offblast" auch perfekt gepasst und Davys Eingangsrhythmik erinnert eben nicht nur an das letzte Album, sondern sogar an die erste Nummer der Band überhaupt, "Shadow Of The Machine". Ein Auftakt wie aus den eigenen Geschichtsbüchern, coole Hooks und ein für Machine-Verhältnisse fast schon eingängiger Rhythmus bis hin zu den so vertraut klingenden Licks. Ein bisschen psychedelischer Klangteppich und dann ein schönes, absolut eingängiges Solo von David. So entsteht ein Song mit unerhört hohem Wiedererkennungswert für den Fan und auch der neugierige Neuling wird auf diese Nummer voll einsteigen.

Aber dann feuern sie Salven puren Rocks auf den zutraulich gewordenen Hörer und liefern ein Statement nach dem anderen, wie die Maschine in diesen Tagen läuft. Einem krawallig, punkigen Überfall gleich donnern die drei Herren, versehen mit Davids düster schrägem, leicht atonalen Gesang, der eben nicht nur zu den Vertretern des Punk eine Beziehung knüpft, sondern ganz stark auch zu einer Ära davor. Diese Art des Gesangs hat einst Lou Reed hoffähig gemacht. "Agitate" ist ein Musterbeispiel des neuen Aggregatzustands. Riff konzentrierte, brutal komprimierte Musik ohne Schnörkel mit kurzen, aber immer spektakulären Soloausbrüchen. Und abrupt bricht der Song ab und der durchgerüttelte Konsument bekommt in "Heads Up", Machine-klassisch von Hans eingegroovt, einen kurzen Moment der Besinnung. Der Song rollt wie eine Dampfwalze mit gut geölter Maschine. Doch der nächste Gang wird ein höherer, denn die Rhythmusexplosion in "The Norm" überlagert alles, sogar den Gesang, der kaum noch wahrnehmbar im Hintergrund mit den Riff-Salven verschmilzt.

"Kick It" befeuert Kaskaden rhythmischer Ausbrüche und aus einem brodelnden Dampfkessel wilder Drums köchelt David ein geiles Solo heraus, während die Rhythmusformation permanent Feuer nachlegt. "Kick It" can kick your ass.

Ein eher szenetypischer Start mit eingängigen Riffs führt dann in den mehr als elf Minuten dauernden Titelsong. Aha, also doch wenigstens eine Jam? Nicht so ganz. Nach dem beschaulichen Beginn taucht "Faceshift" in ein psychedelisches Loch mit spärlichen Soundeffekten und archaischen Gitarrenklängen, ein luftleerer Raum wie einst bei Monkey 3s legendärem "Icarus", ein Moment des Innehaltens und der Veränderung. Hier wird mir die Metapher des Album-Titels am Deutlichsten bewusst. Die Musik schwebt wie ein gläserner Schädel frei und zurückgenommen in einem unendlich schwarzen Universum, der sich langsam aber zielgerichtet in eine andere Richtung wendet, die ersten Blitze spektralen Lichtes absorbiert und plötzlich mit dem ersten Augenaufschlag eine Supernova auslöst. Denn dann gibt’s Gummi auf die Piste. Eingeleitet durch Hans' bassistischen Herzschrittmacher steigen die Protagonisten ein in einen Ausbruch voller ekstatischer Leidenschaft. Knochentrocken grollende, hypnotisch harte Bässe und Davy, der wie ein wütender Schamane über den Fellen tobt, zementieren einen kanalisierten Lava-Fluß, auf dem David die Feuersbrunst mit seinen faszinierenden Licks vorwärtstreibt und kompromisslos zum kulminierten Hitzegrad führt. In diesem Moment könnten womöglich wilde Eruptionen auf der Sonnenoberfläche die Folge sein, schaut vielleicht besser einmal nach. Ein neuerliches, spannungsgeladenes Break führt sanft hinaus aus dem Inferno. Eine wahrhaft wilde Fahrt, aber all das folgt einem klaren Plan, einem genialen Songkonzept – und ein bisschen Jam ist dann irgendwie auch dabei. Diesen überwältigenden Song, den ich im letzten November beim zehnjährigen Jubiläum in Sliedrecht schon auf der Bühne erleben durfte, sehe ich im Erbe von "Kneiter" ("Calmer Than You Are"), der wiederum als eine Art Weiterentwicklung aus meiner liebsten Jam "First Unique Prime" von "Drie" gesehen werden könnte. Ausgedehnte Exkursionen als Meilensteine, diese wundervollen Nummern stehen für die Geschichte der Band und das anfangs zitierte "Awe" gehört vielleicht auch noch dazu. Ich hab eben trotz allem ein Faible für lange Songs und "Faceshift" ist eine Inspiration.

"Zeroten" zerlegt nach einem ersten Überfallkommando noch einmal mit axtschlagartigen Riffs den psychedelischen Drift, in den uns der Titelsong geführt hatte und das furiose Finale in "Kamikaze" scheint irgendwie Riff-Verwandschaftsgrade mit "Kashmir" von Led Zeppelin zu pflegen. Der Song nimmt in puristisch reduzierten Steigerungsformen Fahrt auf und entlädt sich in Davids klassischem Freakout, diesmal wieder über zwei Tonspuren wie einst bei den großen Jams. Teuflisch gut und ein Ausklang aus dem Album, der Lust macht auf noch mehr. Was mir live übrigens in diesem Jahr nicht beschieden war, persönliche Dinge machten es nicht möglich. Ausdrückliches Dankeschön dennoch gilt an dieser Stelle Jule und den Jungs vom Würzburger Immerhin, die mir so nett zur Seite standen, als ich noch hoffen durfte, das Machine-Konzert dort am 03.08. besuchen zu können. Ich wäre gern zu Euch gekommen.

The Machine sind längst nicht mehr allein auf wilde Improvisationen festzulegen, sie schreiben einfach gute Songs und können ihre musikalischen Ideen, wenn es denn sein muss, auf drei oder vier Minuten komprimieren. Dem Spirit ihrer Musik wirkt das nicht entgegen, es erweitert ihn sogar.

Wie wird es mit der Band weitergehen?

Zunächst einmal, eine Bewertung der neuen Scheibe ist schwierig für mich. Ich bin verrückt nach den Jams, vor allem auf "Drie", und "Offblast" war eine wunderbare Zusammenfassung ihrer künstlerischen Entwicklung. "Faceshift" geht einen Weg, von dem ich noch nicht weiß, wie sehr er mich von meinen geliebten Jam-Monstern fortführen wird. Aber ich liebe die musikalischen Sprache der Band mit ihren wild köchelnden Rhythmen, den unglaublich aggressiv, düsteren Bässen und fantastischen Gitarren zwischen Hendrix und zeitgemäßen Exkursen in das weite Feld harter Rockmusik. Der Zauber von The Machine springt auch in den kurzen Nummern über, das ist ihr größtes Verdienst. Darum kann ich am Ende voller Überzeugung vermitteln: "Faceshift" ist ein großartiges und würdiges Machine-Album. Anders, aber irgendwie auch wieder vertraut. Diese drei Jungs aus dem Großraum von Rotterdam haben eben den richtigen Touch für gute, harte Rockmusik.

Aber woher kommt ein neuer Basser, der auf Dauer die riesige Lücke schließen kann, die Hans van Heemst unzweifelhaft gerissen hat? Sander Hagmans war eine perfekte Lösung für die kurze Tour, denn er kennt die alten Songs und war bei Sungrazer auf recht ähnlichen Wegen unterwegs. Aber er lebt in Maastricht und hat ein anderes, eigenes Konzept am Start. Zum Proberaum in Sliedrecht brauchen selbst die Nederlandse Spoorwegen gute drei Stunden, auf Dauer kann das nicht funktionieren.

Mein Herz vibriert jeden Tag, an dem ich nicht wissen kann, ob meine Jungs weitermachen wie bisher, denn ich bin ihr Fan – ich gehöre ja fast schon zur Familie.
Aber der eine oder andere Machine-Fan wird sich vielleicht doch zu weiteren Fragen im Bezug auf "Faceshift" hinreißen lassen: Wie entwicklungsfreudig darf eine Band sein, ohne den Ursprung zu verlieren?

Da ich sowohl Warren Haynes als auch Neal Morse und eben The Machine als so etwas wie meine größten Inspirationen betrachte, darf ich mich ganz sicher nicht über stilistische Variationen meiner Maschinisten auslassen, ich verbinde selbst jede Menge Gegensätze in mir und lebe sehr gut damit (meine Vorlieben für den einzigartigen Jazz-Gitarristen Terje Rypdal oder viele Kompositionen eines gewissen Johann Sebastian Bach lasse ich da noch außen vor). Nichts ist aufregender, als sich immer wieder neu zu entdecken und den Blick nach vorn zu werfen. Neues zu erforschen, zu versuchen und seine Bestimmung in der Zukunft zu finden, ohne selbst zu ahnen, wohin der Weg führen wird. Kultur ist Fortschritt, man muss sich entwickeln. Und The Machine tun das. Find ich geil!

Doch wo bleiben die Wurzeln?

Unzweifelhaft sollte eine Band sich ihrer Herkunft – damit ist die musikalische Ausrichtung gemeint und selbstverständlich nicht die geografische!!! – immer bewusst sein. Klingt simpel, klappt aber bei weitem nicht immer. Genesis sind dafür ein krasses Beispiel aus meiner Sicht. The Machine waren DIE Jam-Band in der Stoner-Szene, keine hatte solch verrückt improvisierte Nummern drauf wie meine drei Freunde aus der Gegend von Rotterdam, wenn sie aus Jimis "Machine Gun" mal eben Boney M.’s "Daddy Cool" einflochten. Davon sind sie heute erst einmal weit entfernt. Aber das Leben hat sich inzwischen sehr intensiv weiter entwickelt, ihres und unseres, völlig neue Aufgaben und eben auch komplett neue Ideen haben sich entwickelt. Und dass die Jungs von The Machine schon immer auf fetzige Musik standen, die direkt auf den Punkt kommt, haben sie mir schon so oft erzählt. Kommen da die komprimiert krachenden Heavy-Nummern wirklich überraschend daher?

Sicher nicht. Und wenn man von den strukturellen Veränderungen hin zum klassischen Song mal absieht, ist das Rüstzeug der Band stets das Gleiche geblieben. Nein, "Faceshift" steht ausdrücklich in der Tradition seiner Vorgänger. Es ist die nächste Entwicklungsstufe.

Also, wohin führt der Weg?

Genau das ist das Schöne – niemand weiß das. Am wenigsten die Band selbst! Alles, was David zuletzt in den sozialen Medien dazu verlauten ließ, war eben genau das. Das nächste Album wird irgend etwas anderes.

Wenn man auf den Vibes der Band liegt und diese Art von Musik wirklich liebt, dann kann es eigentlich keine schönere Ansage geben. Egal, ob alter Jam Rocker oder Freund knallharten Heavy Rocks. Wer die Musik der Jungs wirklich fühlt, der wird ihren Weg mitgehen, ganz gleich wohin der führt. Denn eins ist klar, The Machine haben immer geliefert. Herzergreifend ehrliche, harte und wunderbare Rockmusik voller Enthusiasmus, Obsession und Hingabe – die können gar nicht anders. Möge das ewig so bleiben. Denn ich bin Machine-Fan. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Auch wenn ich weiß, wie sehr die Jungs liebenden lobenden Worten gerne aus dem Weg gehen: »Ik hou van The Machine, de beste band in de underground!«


Line-up The Machine:

David Eering (guitars, vocals)
Hans van Heemst (bass)
Davy Boogaard (drums)

Tracklist "Faceshift":

  1. Crack You
  2. Agitate
  3. Heads Up
  4. The Norm
  5. Kick It
  6. Face Shift
  7. Zeroten
  8. Kamikaze

Erscheinungsjahr: 2017, Spielzeit: 40:29

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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