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Dave Kerzner / Static – CD-Review

Dave Kerzner wird wohl mal so einer werden, bei dem man den Überblick verliert. Aber noch geht es …
… denn "Static" ist (nach "New World") erst das zweite Soloalbum des Herrn aus Miami. Kerzner hat allerdings auch die Band Sound Of Contact am Laufen, die er zusammen mit Phil-Sohnemann Simon Collins gegründet hat. Und mit In Continuum hat er gerade erst eine brandneue Band gegründet, unter anderem mit Randy McStine (Lo-Fi Resistance), Gabriel Agudo (Ex-Bad Dreams) und Marco Minnemann (u. a. Aristocrats). Sein Geld verdient Kerzner aber wohl hauptsächlich ohnehin anders; denn seit Mitte der 90er beglückt er andere Musiker über die eigene Firma mit einer selbstgemachten Sound-Sampling-Software – saubere Sache, soweit.

(Nicht nur) Auf seiner eigenen Solo-Spielwiese zeigt Dave Kerzner, der selbst Gesang und Tasteninstrumente beisteuert, welche Musik sein Herz höher schlagen lässt: "Static" ist etwas für Menschen, die ebenso wie er Prog Rock im Stile von Pink Floyd, Genesis, ELP und artverwandten Künstlern lieben (Gastmusiker bei "Dirty Soap Box" ist übrigens Steve Hackett) – und natürlich vieles Neo- und Retro-Proggige der vergangenen Jahre und Jahrzehnte, von Spock’s Beard bis RPWL und von Riverside bis (neue) Marillion. Als erfrischende Kombination aus Neo und Retro erweist sich dann auch der Klang der Platte. Das ist unheimlich urig-organisch, klingt aber gar nicht so, als müsste man mit dem Staubwedel drüber.

"Hypocrites" verpasst dem Album (nach dem Intro "Prelude") einen rockigen, ungeschliffen-breitverzerrten Start mit viel Energie und hoher Dichte. Mit dieser gewissen Art von hypnotischer 'Lautheit' erinnert das stellenweise beinahe an Magellan (mögen sich hoffentlich viele an die verrückte Band des inzwischen verstorbenen Trent Gardner erinnern). Natürlich dürfen hier wie auf nahezu allen Stücken des Albums getragene, psychedelische Parts nicht fehlen. Durchweg ruhiger fallen die Stücke "Static" und "Trust" aus. Das eine verneigt sich mit seinen enlosen Piano-Figuren ein wenig vor den "Carpet Crawlers"; und das andere könnte mit seiner tranigen Eleganz (durchaus positiv gemeint) ein Solostück David Gilmours sein.

Apropos Gilmour – ein wenig 'floydish' wirkt auch Kerzners Gesang. Er ist kein Vokalvirtuose, sondern der Typ Musiker, der seine eigenen Sachen halt 'auch singt', mit einigen Effekten und auch schon mal als ein paar Kerzners gleichzeitig. Das passt prima zu Songs und Atmosphären, sei es defensiv oder auch drängend und intensiv. In letzterem Fall wird der Gesang dann durchaus gewinnbringend stärker verzerrt, wenn im Vergleich zu ebenfalls rockenden, aber stimmungstechnisch neutraleren Nummern wie "Reckless" und "Chain Reaction" bei "Dirty Soap Box" die Stimmung kippt. Hier ist sicherlich ein Höhepunkt des Albums erreicht . Es wird – von düsteren Gitarrenriffs angetrieben – bedrohlich und dramatisch. Mit dem folgenden "The Truth Behind" bleiben diese Emotionen erhalten und werden quasi 'psychedelisiert' – nicht weniger dramatisch aber langsamer … eine großartige Sequenz des Albums!

… die mit dem kurzen "Right Back To The Start" wieder beendet wird – hier darf sich die Spannung lösen. Der Rest ist aber alles andere als Geplätscher. Mit "Millennium Man" kommt noch ein starkes Stück mit coolem, launigem Groove (was gemeinsam mit den Lyrics durchaus ironisch wirken soll), und mit "The Carnival Of Modern Life" noch ein dicker Mehr-als-Viertelstünder, der recht experimentell gehalten ist, weniger direkt zugänglich als der Rest des Albums ist und Freude beim mehrstufigen akutistischen Kennenlernen verursacht.

Mit dem sehr hörenswerten Instrumentalstück "Statistic" lässt uns Dave Kerzner noch etwas auffälliger als über viele andere Strecken hören, dass er der Mann für die Tasteninstrumente ist und elektronische solche älteren Datums sammelt. 'Retro-futuristisch' klingt das. Und so sieht es auch aus – im Artwork des Albums. Auf dem Cover und im Booklet laufen in einer düster-dystopisch verwunschenen Welt Leute mit Fernsehköpfen rum. Das dürfte als Kritik an einer modernen Welt gelten, in der jeder ’sein eigenes Programm' guckt – oder auch ferngesteuert wird. Nicht mehr unterscheiden können zwischen Fake und Wirklichkeit, Heuchelei und Orientierungslosigkeit in der modernen Gesellschaft, organisiertes Wegschauen durch gezielte Desorientierung, scheinbare Freiheit durch grenzenlose Vernetzung, moderne Koruption und Egoismus – das sind die Themen auf "Static"

»The crowd around you / Of no concern at all
Lost in a haze of confusion / On another call
Addicted to distraction / The curse of discontent
You struggle on the path of least resistance / To suffer and lament
One last chance for saving face / There’s no net when we fall from grace
We can’t get through the static / That reigns inside your head
The pulse of life is beating / But someone’s playing dead
We can’t get through the static / Cause chaos fills your mind instead
In an ocean of your fortune / You swim against the tide
People try to reach you / But you’re drowning deep inside«

("Static")

 


Line-up Dave Kerzner:

Dave Kerzner (lead and backing vocals, keyboards, acousic guitar)
Fernando Perdomo (guitar, bass, drums)
Randy McStine (guitar and FX)
Derek Cintron (drums)
Durga McBroom (backing vocals)
Lorelei McBroom (backing vocals)

Guest musicians:
Matt Dorsey (backing vocals – #2,4,5,9)
Colin Edwin (bass -#3)
Ewa Karolina Lewowska (backing vocals – #3)
Ruti Celli (Cello – #6,7,10,13)
Nick D’Virgilio (drums – 8)
Chris Johnson (guitar – #5)
Stuart Fletcher (bass – #5)
Alex Cromarty (drums- #5)
Steve Hackett (guitar – #8)

Tracklist "Static":

  1. Prelude (0:39)
  2. Hypocrites (8:29)
  3. Static (5:19)
  4. Reckless (5:39)
  5. Chain Reaction (4:43)
  6. Trust (4:46)
  7. Quiet Storm (2:08)
  8. Dirty Soap Box (5:43)
  9. The Truth Behind (7:11)
  10. Right Back To The Start (1:50)
  11. Statistic (2:53)
  12. Millennium Man (3:31)
  13. State Of Innocence (4:48)
  14. The Carnival Of Modern Life (16:52)

 

Gesamtspielzeit: 74:33, Erscheinungsjahr: 2017

Über den Autor

Boris Theobald

Prog Metal, Melodic Rock, Klingonische Oper
Meine Beiträge im RockTimes-Archiv

Mail: boris(at)rocktimes.de

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