«

»

Achim Reichel – A.R & Machines live – Retrospektiver Konzertbericht vom 15.09.2017, Elbphilharmonie Hamburg

Achim Reichel – A.R & Machines live in Hamburg

Haben die bei RockTimes die Uhren falsch gestellt? Steht da wirklich: »Konzertbericht von 2017«? Ja, so ist es. Es gibt genau zwei Gründe dafür: Den Bericht habe ich wenige Tage nach dem Konzert verfasst, mithin vor mehr als einem Jahr. Aber ich habe ihn nicht an die Redaktion weitergeleitet. Warum? Aus Respekt vor einem Kollegen, der mir diesen großartigen Tipp gegeben hat und der natürlich selbst ausführlich über das Ereignis berichten wollte. Nicht bei uns, sondern auf seiner eigenen Seite. So sehr ich mich als Prog- und Krautrock-Interessierter auch immer versucht habe am heimischen Markt auf dem Laufenden zu bleiben, hatte ich Achim Reichels Projekt bis zum letzten Jahr verpennt. Die grüne Reise hab ausgerechnet ich, der sein Leben so oft im Grünen und Felsigen und Eisigen verbracht hat, schlichtweg nicht mitbekommen. Damals zu berichten wäre mir wie ein Akt der Klugscheißerei vorgekommen und wohl wissend um unsere deutlich umfangreichere Leserschaft hätte ich meinem alten Kumpel einen fiesen Dienst für seinen tollen Tipp erwiesen, wenn ich parallel mit meinem Text ins Rennen gegangen wäre. Darum wanderte das Teil in die Ablage 'Entwürfe'.

Aber warum jetzt? Ganz einfach, weil bei diesem Ereignis die Gesetze von Zeit und Raum irgendwie außer Kraft gesetzt wurden und es eine Sünde wäre, wenn Achims unglaublich geniales Projekt in den Annalen unseres Magazins fehlen würde.
Darum hoffe ich inständig, dass Ihr mit mir auch nach einem Jahr noch auf die grüne Reise gehen möchtet. Es war ein Trip wie in die Geschichte der progressiven Rockmusik im Herzen der Walhalla moderner musikalischer Ausdrucksmöglichkeiten. Und das hab ich damals geschrieben:

An diesem Abend standen für 90 Minuten die Uhren still im Zentrum des deutschen Nordens. Lang vergessene Urklänge heimischer Psychedelik dockten an mit tief vergrabenen Erinnerungsfetzen an einstige, wilde und experimentelle Tage und Klänge, eine Reise tief ins Unterbewusstsein und gleichzeitig mitten hinein in einen der wertvollsten Schätze vergangener Sounderlebnisse. Inmitten des berühmtesten Soundtempels unserer Tage, der Elbphilharmonie, verschmolzen die Träume unserer Väter mit den akustischen Architekten unserer Tage zu einem einzigartigen Ereignis zwischen Zeit und Raum. Eine perfekte Metapher auf das, was Achim Reichel damals mit dieser Musik zum Ausdruck bringen wollte.

Doch der Reihe nach…

Achim Reichel, der Rattles-Mann, der einst mit den Beatles auf Tour ging. "Der Spieler". Der Vertoner von Lyrik und sonstigen alten Texten. Ja, 1971 war er ein Pionier extrem psychedelischer Klänge, ausufernder als bei Amon Düül II und am ehesten verwandt mit den Berlinern von Tangerine Dream oder den Kölschen Can.

Im Grunde begann alles mit einem historischen Zufall. Als Achim auf seinem ollen Tonband ein Gitarrenriff aufgezeichnet hatte, erscholl beim späteren Abhören ein zig-faches Echo seiner eingespielten Klänge, ein Loop ohne Absicht. Achim erkannte den akustischen und gestalterischen Reiz dieses Soundelements sogleich und steigerte seinen Enthusiasmus hinein in die Komposition eines völlig neuartigen Stücks Musik. "Die Grüne Reise" war geboren. Insgesamt sechs Alben produzierte er unter dem Namen A.R. & Machines, die leider lange Zeit den Status gut gehüteter Geheimnisse nicht ablegen wollten. Obwohl der eigentliche Held und Komponist dieser aufregenden Soundexperimente stets im Rampenlicht verblieb. Aber die Menschen mochten halt lieber die griffigen Extrakte eines deutschen Rockers aus den Gründertagen. Von "The Witch" bis "Kuddel Daddel Du", das war auf dem Punkt und für jeden verständlich, die wilde Phase des lyrischen Hamburgers schien immer mehr im Wind der Gezeiten zu verwehen.

Aber Achim kann auch ganz anders…

Sonnenuntergang in Hamburg

Sonnenuntergang in Hamburg

Hamburg empfing uns an diesem Abend mit einem phantastischen Sonnenuntergang, ganz besonders geil von der Besucherterrasse der 'Elphi' zu beobachten. Wäre noch toller gewesen, wenn ich nicht irrtümlich die Datumsanzeige für meinen Mini-Foto aktiviert hätte. Nun muss ich mir für alle Zeit die blöde Einblende in den sonst so schönen Bildern antun, oder schneide geschickt an dem unnützen Mist einen Bildausschnitt vorbei. Wieder mal ein Beweis, dass ich mit digitalen Medien eher zum Neandertaler tauge.

Während des Konzerts fühle ich die Geister von Tangerine Dream heraufbeschwören, und allen voran erscheint Manuel Göttsching mit seinem sensationellen Soloprojekt "Interventions For An Electric Guitar" vor meinen geistigen Ohren. Die herrliche Perkussion erinnert ein wenig an Sigi Schwabs "Percussion Academia". Repetitive Riffs und Loops kreiseln durch den schon heute legendären Großen Saal und eine überwältigende Rhythmusabteilung trägt den Meister in weite Welten empor, hinauf in den Orbit losgelöster Klänge, die 1970 nicht modern waren und es heute auch nicht werden. Nein, hier lösen sich Begriffe wie Zeit und Raum sprichwörtlich auf. Auch für mich. An dieser Stelle muss ich zugeben, dass mir Achim Reichels Experimente erst durch den Tipp meines alten Kollegen Volker wirklich bewusst wurden, als er mich auf dieses Konzert hinwies. Als "Die Grüne Reise" startete, war ich gerade mal neun Jahre alt und habe in den Folgejahren irgendwie diesen Turn verpasst. Erst jetzt, als das große Ereignis sich anbahnte, konnte ich mit den aufregenden Experimenten der Hamburger Legende hinreichend auseinandersetzen. Es war eine Reise in die Vergangenheit und in ferne Welten zugleich, ein Trip, den ich nur zu gerne aufgenommen habe.

Wer moderne Verwandte dieser Musik sucht, dem sei die "Psychedelic Monster Jam" ganz besonders ans Herz gelegt, eingespielt von drei Musikern, die mir sehr am Herzen Liegen – Mani Neumeier am Schlagzeug, Dave Schmidt am Bass und der große Ax Genrich an der Gitarre. Sind sie die Kinder der Grünen Reise? Im Fall von Mani und Ax wohl eher die großen Brüder. Die haben seinerzeit bei Guru Guru ganz ähnlich verwobene Pfade wilden Krauts beschritten – damals, als der Elektrolurch noch in der Lüssterklemme neben dem Nebenzähler wohnte.

So oder so, diesem Werk werde ich demnächst gerne auch noch ein paar Zeilen widmen.

Achim und seine genialen Begleiter performten sich an diesem Abend die Seele aus dem Leib. Wie sagte der Chef so schön zum Auftakt? »Leute, ich bin heute Abend ganz schön nervös und lese daher den folgenden Text vor… .« Na hallo, ein alter Haudegen wie Achim Reichel wird in diesen Tagen noch einmal nervös, was für ein großartiger Beweis für die Einzigartigkeit des Moments. Heute Abend, hier in der Elphi, ausverkauft obendrein, begegnen sich Soundexperimente von damals mit den ausgeklügelten akustischen Ingenieurkünsten moderner Tage. Und die Musik ist zeitlos, heute noch visionär und aufregend. Psychedelische Beleuchtung ohne übertriebenen Schnickschnack bildet den würdigen Rahmen. Gitarrenriffs scheinen aus dem Nichts zu entwachsen, steigen auf, kreiseln und hypnotisieren. Zarte elektronische Spielereien unterstützen hier und da, aber im Vordergrund wüten und toben die beiden rhythmischen Magier Olaf und Yogi, befeuert von allen möglichen stabilen Saiten ihres Kumpels Achim – nein, nicht Reichel, der Bassmann heißt Rafain! Sie treiben, sie bremsen, sie ufern aus und kehren in sich. Die Musik wogt mit ihren Schlägen und Akzenten. Und neben ihnen ackert Nils Hoffmann mit Gitarre und Computer-gesteuerten Keys, vor allem aber als überdimensionaler Dirigent, der eher wie ein Dompteur auf seine Rhythmus-Combo einwirkt.
Achim Reichel im weißen Dress hingegen, der entzieht sich allen, der zieht sein Ding auf der Gitarre durch – völlig in sich versunken und mit immer wieder ausbrechenden, wilden Emotionen. Der Mann genießt, was er gerade tut, und das tut er mit Hingabe und Inbrunst.

Achim Reichel

Achim Reichel

Ach ja, und dann ist da noch die Elphi. Sie bringt uns die Töne nahe wie ich es noch nie in einem Live-Event erlebt habe. Selbst ein verträumtes Berühren des Windspiels hallt nach bis zum letzten, zarten Klingen. Und zwar bis in die Höhen des Saals. Mein alter Freund Robert von Been Obscene hat solch zarte Klänge einst für Colour Haze bei "She Said" anklingen lassen. Hier hörst Du sie bis in die letzte Reihe, unverstärkt. Was für eine Akustik, hier haben die Techniker eine unglaubliche Leistung abgeliefert – geht hin und hört es Euch an, es lohnt sich!

Allerdings muss ich einen kleinen verträumten Wermutstropfen aufnehmen, den ich schon in den sozialen Medien unterschwellig vernommen habe. Da hat sich nämlich ein bekennender Achim-Fan ein wenig darüber beklagt, dass die Sound-Ausrichtung ganz offensichtlich nicht im Plan hatte, dass in der Philharmonie auch hinter der Bühne gesessen wird. So ähnlich ging es auch mir, wie die schrägen Winkel der Fotos andeuten. Tatsächlich war in unserer Position die Klangfarbe der Harmonien ein Stück weit zu blass, die Riffs der Gitarre ein wenig zu leise und zu dumpf, während Bässe und Percussion das tonale Feld dominierten. Es war zum Glück viel zu wenig ausgeprägt, um ehrlichen Unmut zu provozieren, wahrgenommen hab ich es indes auch. Also schließe ich mich dem unbekannten Rezensenten an und sage:»Lass es uns noch einmal tun, ich komme gerne wieder mit dem Zug aus Duisburg angeheizt.« Der war übrigens vorzüglich pünktlich, sowohl auf der Hin-, als auch auf der Rückfahrt. Danke Arbeitgeber!

Wenige Wochen nach dem Konzert erschien eine umfassende Werkschau zu dem Projekt mit dem Titel "The Art of German Psychedelic 1970-74" als zehnfache CD auf dem Markt und vermittelt einen faszinierenden Einblick in die Anfänge deutscher psychedelischer Musik von A.R. & Machines. Der Preis ist dreistellig, ja, aber mit jedem Cent gerechtfertigt. Der historische Wert der Aufnahmen ist so oder so nicht mit schnödem Mammon einzuschätzen – Geschichte halt und in seiner Einzigartigkeit ohnehin unschlagbar.


A.R. & Machines Line-up:

Achim Reichel (guitar)
Nils Hoffmann (keyboard, guitar)
Achim Rafain (bass guitar)
Olaf Casalich (percussion)
Yogi Jockusch (percussion)

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

Beiträge im RockTimes-Archiv

Über mich

News

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>