«

»

Stern-Combo Meissen / Weißes Gold – Doppel-CD-Review

Stern Combo Meissen / Weißes Gold- CD-Review

In gegenwärtigen Zeiten von immer rasanteren und sich erschöpfenden Selbstoptimierungen des Menschseins flüchten sich diese vorzugsweise in den wärmenden Schoß ihrer einst gefälligeren Jugend samt den heutzutage barocken Liedern.
Sichtbares und minutiös Hörbares blieben Dinge, die das Fühlen einer Generation auch hierzulande prägten, insbesondere jene selbsternannten 'Zonenkinder' in ihrer Stasi-beaufsichtigten Behaglichkeitsoase und die subversiven Wirkstoffe rockistischer Zeitgenossen.
So finden heutzutage abermals, wo überwiegend formatiertes dazu nach Schnellverkäufen gierendes Musikgut die Medien bestimmen, die lyrisch-verklausulierten Zwischenbotschaften einstiger Mauerstaat-Rocker verstärkten Zugang in die heimischen Bühnenlandschaften und Musikzimmer einer Wende-Generation. Die blumigen Lieddichtungen zahlreicher Eliten des nun Ostrock-etikettierten Oeuvres erzeugen bei 89er Revoluzzern wohl kurzweiligen Trost zu scheinbar Verlorenes.

Als zehn Jahre zuvor überwiegend westliches Radio-und Kraftfutter wie Dire Straits'  Debüt, Supertramps "Amerikanisches Frühstück" oder Pink Floyds Mauer-Opus anstatt der üblichen Verdächtigen hinterm 'Eisernen Vorhang' die Freie Deutsche Jugend begeisterte, hatten Letztere ein wettbewerbliches Nachsehen.
Trotz allem sorgten einige Genre-Lieferanten der ex-DDR samt ihren musikalischen Perlen, so beispielsweise Karats "freiheitssuchender Vogel" wie auch Lifts "Meeresfahrt" nebst Stern-Combo Meissens artifiziellen Ohrenspitzern bei den Heranwachsenden für eine gewisse Nachhaltigkeit und jenem Wir-Gefühl. Letztgenannte vermochten 1979 mit ihren Amiga-Produktionen gewissermaßen endgültig den künstlerischen Gipfel zu erklimmen, respektive nach urheberrechtlichen Querelen das konzeptionell angelegte Hörwerk "Weißes Gold" auf die Plattenteller zu bringen.
Angelehnt an musikalisch wegbereitende Prinzipale des Vereinigten Königreiches, die einst ihre prätentiös und enigmatisch bestenfalls Klassik-adaptierten, übers Medien-Maß hinausgehende Kompositionen vorgaben, erschufen die sächsischen Kunstrocker diesen wahrhaft großkopferten Gegenentwurf zu üblichen Radioformaten.
Die als Auftrag der Freien Deutschen Jugend-Eliten sowie nach Combo-Vorstand Martin Schreiers Eingebungen verfasste Rockoper über Johann Friedrich Böttgers langwieriges Alchemisten-Martyrium und sein bedeutungsvolles Resultat – dem edlen, heutzutage begehrten Meißener Porzellan – kam erstmals 1978 im Rundfunk zur Aufführung.
Nach urheberrechtlichen Streitereien um die primär aus der Feder von Ostberlins produktivsten Zwischenzeilen-Dichter, Kurt Demmler, stammenden Textfassung und Norbert Jägers singbare Korrekturen kam es letztendlich zum greifbaren Ergebnis.
So galt es bisher als ungewohnt für DDR Rock-Afficinatos Hörgewohnheiten, neben allem Westlichen, heimatliche Konzept-Monolithe – alles in Allem lyrisch Sinnierendes gleichwohl Geschichtliches mit orchestralen Tiefgang – zu favorisieren.

Vier Jahrzehnte später bietet nun eine randvolle, überdies digitalen Studio-Laboren geschuldete Jubiläumsausgabe aller je produzierten Metamorphosen dieses Werkes, strenggenommen eine Lauschreise vom analogen Gestern zu heutigen Höransprüchen, manch melancholisch erwärmenden Blick in den Spiegel vergangenheitsbewältigender Musikkonsumenten.
Bis heute hat dieses musikalisch-schwülstige und vom textlich übergroßen Pathos getragene Zeitdokument aus den bildungsbürgerlichen Lager des Ostrocks nichts vom Glanz  und seiner Ebenbürtigkeit zu westlichen Konkurrenten verwirkt. Seinerzeit dominierten, dem Zeitgeist entsprechend, die hochschulgefussten Tastenmajoritäten, Chor und Sinfonieorchester, dazu barocken Fingerfertigkeiten eines unvergessenen Thomas Kurzhals, Werther Lohses sowie Reinhard Fisslers (Gott hab ihn selig) beschwörender Sanges-Feingeist das musikalische Credo der Sterne, jene mitreißend moderierende Diktion der Historie indessen, waren neu.
Voller Zuversicht rangen infolgedessen ein dramaturgisches Maximum an klassikverdingten Garanten samt finalen Pauken-Dröhnen, rocksinfonische Betriebsamkeit, Bachscher Glamour und mahnende Sprecheinheiten um die Gunst ihrer qualitätsbewussten Hörerschaft. In demselben Maße transportieren auf der jetzigen Neuproduktion nun Opernsänger Gunther Emmerlichs salbungsvoller Sprechsingsang nebst dem technischen Lifting von Stern-Meissens personell schöpferischer Bereicherung, Manuel Schmid, auf die hörgenüssliche Habenseite.
Beinahe wie unwiederbringliche Schätze (Neueinspielung ausgenommen) wurden die Masterbänder aus den wohlbehüteten Asservatenkammern des einst volkseigenen Rundfunks sowie Martin Schreiers Archiv geborgen und nichtsdestoweniger beherzt durch Manuel Schmids sowie Joachim Eroc Ehrigs Zauberhände von jeglicher klanglichen Patina, zugunsten digitaler Soundklarheit, befreit. So wurden unter anderen sehr pietätvoll die Original-Klaviaturen des viel zu früh von uns gegangenen 'Keith Emerson des Ostens', Thomas Kurzhals, in die Jetztproduktion integriert und dessen reichhaltig analoges Tasten-Arsenal in eine audiophilenfreundliche Dimension erhoben.

Die Jubiläums-Edition "Weißes Gold" mit ihren vier substantiell alterslosen, obgleich ebenso viel Jahrzehnte überspannenden Einspielungen, behalten jenen unangefochtenen Status als rockhistorisches Lehrstück des vormals eingemauerten Biotops samt seiner künstlerisch hochmotivierten Fachmusiker.
Das 1979 entgültig auf die Ladentheken ostdeutscher Einzelhändler gebrachte Schallplattenformat des rocksinfonischen Werkes mit konzeptionellen Hintergrund, als künstlerisches Echo zu genügend westlichen Vorbildern, beansprucht heute wie damals, aufgrund seiner lyrisch in systemgesellschaftliche Wunden legende Fingerzeige, ein Augenmerk auf seine Bedeutsamkeit.
Demnach verdienen die, mithilfe tontechnischer Endfertigungen forcierten Überarbeitungen des einstigen Auftragswerkes und mittlerweile als das Kabinettstück der Sterne kanonisiert, ein aufrichtiges Chapeau.
Demnach werden unumstritten nicht wenige im musikalischen Osten herangereifte Nostalgiker und notorische Komplettisten (diese eigens an der robusten 78er Live-Urfassung) ihren Spaß an der Genese der markigen Chor-Synthies-Arrangements haben, ihre Rock-Klone sozialisierten Abkömmlinge gegebenenfalls nachhaltige Geschichtsstunden.


Line-up Stern-Combo Meissen 1978/79:

Martin Schreier (dr, ld)
Thomas Kurzhals (keyb)
Norbert Jäger (perc, voc)
Reinhard Fißler (solo-voc)
Lothar Kramer (keyb, voc)
Bernd Fiedler (bg)
Werther Lohse (dr, solo-voc #1979)
Reinhard Fißler (Sprecher #1978)
Ernst Kahler (Sprecher #1979)

Line-up Stern-Combo Meissen 2001:

Martin Schreier (ld)
Thomas Kurzhals (keyb)
Norbert Jäger (perc, voc)
Reinhard Fißler (voc)
Eghard Schumann (keyb)
Michael Behm (dr, voc)
Alexander Procop (b)
Joachim Kaps (Sprecher)

Line-up Stern-Combo Meissen 2018:

Martin Schreier (perc, ld)
Thomas Kurzhals (keyb)
Manuel Schmid (voc, keyb)
Sebastian Düwelt (keyb)
Frank Schirmer (dr, perc)
Axel Schäfer (b)
Gunther Emmerlich (Sprecher)

Tracklist "Weißes Gold":

CD 1: Rundfunk-Produktion 1978 (Tracks 1-8)
Amiga-Produktion 1979 (Tracks 9-15)

  1. Ouvertüre
  2. Traum
  3. Gold
  4. Largo (nach einer Ciacona von Johann Kuhnau, 1660-1722)
  5. Flucht
  6. Zweifel und Hoffnung
  7. Böttgers Lied
  8. Finale (Porzellan)
  9. Ouvertüre
  10. Der Traum
  11. Des Goldes Bann
  12. Der Goldmacher (nach einer Ciacona von Johann Kuhnau)
  13. Die Flucht
  14. Zweifel.Die Erkenntnis
  15. Weißes Gold

CD 2: Studio-Produktion 2001 (Tracks 1-8)
Studio-Produktion 2018 (Tracks 9-16)

  1. Ouvertüre
  2. Der Traum
  3. Des Goldes Bann
  4. Der Goldmacher (nach einer Ciacona von Johann Kuhnau)
  5. Die Flucht
  6. Zweifel
  7. Die Erkenntnis
  8. Weißes Gold
  9. Ouvertüre
  10. Der Traum
  11. Des Goldes Bann
  12. Der Goldmacher (nach einer Ciacona von Johann Kuhnau)
  13. Die Flucht
  14. Zweifel
  15. Die Erkenntnis
  16. Weißes Gold

Gesamtspielzeit CD 1: 68:06 , CD 2: 71:16 Erscheinungsjahr 2018

Über den Autor

Ingolf Schmock

Als gebürtiges Mauerkind zudem frühzeitig mit westlichen Rock'n Roll-Ultrakurzwellen-
Oddyseen und Beatclub-Aufklärungen sozialisiert, galt mein musikalisches Verständnis
deren meist langmähnigen Aussenseitern. The Who, Small Faces, The Move...,später dann
Hartglötzer wie Black Sabbath, Deep Purple&Co., zu guter Letzt Schwurbel-Pioniere
ala Yes, Genesis, ELP...waren (sind) meine Helden sowie Seelenklempner.
Heute liegt mein Hauptaugenmerk (auch Hierzulande) auf sowohl handgemacht Rockistischem
mit Engagement und Seele, als auch Prog-gebrandmarkten virtuos-Verspieltem.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>