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Peter Hammill & The K Group / Live At Rockpalast – Hamburg 1981 – CD/DVD-Review

Als ich die beschriebene CD inklusive DVD in meinem Briefkasten fand, packte mich sogleich ein wohliger Schauer freudiger Erregung, bin ich doch unzweifelhaft ein Jünger des Rockpalastes aus den Gründertagen, dem Protagonisten Peter Hammill und ganz besonders seiner Stamm-Band Van der Graaf Generator durchaus zugetan. Die K Group und die Tatsache, dass diese den heiligen Boden von Peter Rüchels kultureller Revolution damals im WDR betreten haben, war mir hingegen unbekannt.

Doch das Konzert hält eine weitaus größere Überraschung bereit. Peter Hammill gilt eigentlich als der düstere Seelendoktor aus dem wohl vertraktesten Prog Rock seiner Zeit mit seinen von Verzweiflung und Ängsten geprägten, fast Freud’schen Texten aus der Unterwelt der Albträume, garniert mit musikalischen Breaks am Rande des Nervenzusammenbruchs. Doch hier präsentiert er sich wie ein progressiver Bruder eines John Cale oder Lou Reed voller aggressiver Hingabe und Leidenschaft. Nie war mir klar, wie tief die Seelenverwandtschaft Peters zu diesen Leuten gewesen sein muss.

VdGG haben mich stets gefesselt zwischen Gänsehaut erzeugenden Momenten völliger Poesie und verstörender Verzweiflung – Verzweiflung auch darüber, den roten Faden der Musik nicht aus den Augen zu verlieren. Damals, 1981 in der Hamburger Markthalle, hatte Peter längst seine ursprüngliche Band zugunsten einer Solokarriere aufgegeben. Diese Exkursionen waren aber wahre Alleingänge und so fand er in der K Group, deren Musiker eh aus dem Dunstkreis von VdGG stammten, endlich wieder eine Plattform, sich live zu präsentieren. So wurde das Arrangement der Songs bühnentauglich modifiziert und entstanden ist ein grandioses Zeugnis zwischen mysteriös verzwickten Kompositionen und praktisch angewandtem Zeitgeist, ganz abgesehen davon, dass wir hier eines der wenigen Live-Dokumente dieses einzigartigen Künstlers vorfinden. So, wie ich mir immer die frühen Genesis mal auf Bild- und Tonträger gewünscht hätte.

Peter Hammill lebt seine Songs aus wie sonst kaum ein Zweiter. Diese neurotisch anmutenden Bewegungen eines so hageren Zwei-Meter-Mannes, seine charismatische Intensität und die Geschichten aus den finsteren Abgründen der menschlichen Seele erwecken permanent den Eindruck, als kämpfe er gegen die dunklen Dämonen, die er selbst ersonnen hat. Dabei bekennt er offen, im normalen Leben ein ziemlich glücklicher Mensch zu sein.

Für Bands wie The Police muss die K Group teilweise wie eine schallende Ohrfeige gewirkt haben – wenn sie es denn mitbekommen haben. Peter Hammill zeigt, was man aus solcher Musik alles machen konnte, wenn man die Dinge einfach ein Stück weiter zu denken und zu spielen vermochte. Zu Beginn des Konzerts eher noch in den Van der Graaf’schen Strukturen mit Peter am Keyboard und seinem tragendem Gesang, der in fast selbst zerstörerischer Leidenschaft mitunter so tief berühren kann, wechselt der Leader nach drei Stücken zur Gitarre und die K Group spätestens in dem mitreißenden "Sign" zu eben jenem beschriebenen, damals fast schon aktuell anmutenden Ansatz in Richtung New Wave. Natürlich im Rahmen des Gesamtkonzepts, und das bleibt mächtig progressiv.

Mit "Modern" findet einer der neueren VdGG-Titel Eingang in das Set und die anfangs andächtig da hockenden Zuschauer, die zunächst eher wirken wie eine Horde Psychologiestudenten auf einer Vernissage tauen allmählich auf. In "Sitting Targets" meine ich sogar ein wenig Parallelität zu Robert Fripp’s King Crimson heraus zu hören, die Anfang der Achtziger Jahre durchaus auch den Rhythmen der damaligen Zeit ihren Tribut zollten. Mehr aber noch spielt in diesen Songs der Geist eben eines John Cale mit, der drei Jahre später in der Essener Grugahalle einen großartigen Auftritt hinlegte, dem Peter Hammill schon in Hamburg einiges voraus genommen hat.

Aber dann ist Zeit für den Flug. "The Flight" ist ein sehr komplexes, eigentlich nicht für eine Live-Performance geschriebenes Meisterwerk aus Peters Solokarriere, aber in einem neuen Gewand und mit der Virtuosität der begleitenden Protagonisten entwickelt sich dieses epische Werk zum ultimativen Mittelpunkt des gesamten Konzerts. Erstaunlich, dass die zwischenzeitlich eingestreuten, vereinzelt recht gängigen Harmonien des Stücks aus meiner Sicht Vergleiche zu den NEO-Proggern von IQ zulassen, wenngleich deren Strukturen insgesamt sehr viel glatt geschliffener daher kommen. Eine Parallele, die mir vorher nie in den Sinn gekommen wäre.

Einziges kleines Manko sind für mich die ziemlich redundanten Schnipsel aus dem Synthesizer, die Schlagzeuger Guy Evans teilweise eher deplatziert wirkend wie farblose Luftblasen in die Songs streut. Hab ich damals schon beim legendären Rockpalast Konzert von Spirit nicht verstanden, die das auch praktizierten.

Nach der treibend, fast schon gängigen Zugabe mit drei kürzeren Nummern gibt Peter mit dem VdGG-Song "My Room" noch einmal einen leisen, zutiefst bewegenden Soloausklang, so wie wir ihn von früher kennen. Hier werden ein letztes Mal Erinnerungen an John Cale wach, als er in seinem Rockpalast-Konzert "Heartbreak Hotel" vortrug, in einer von Schmerz verzerrten, zerrissenen Solo-Einlage, teilweise zuckend über das Piano kriechend. Intensität total. Und ganz leise verabschiedet sich Peter aus dem Konzert, das an dieser Stelle sehr mitfühlend ausgeblendet wird und die Stille des Songs damit dramatisch unterstreich. Ein stilvolles Ende eines historischen Auftritts.

Nur gut, dass der Rockpalast, die tiefste Quelle meiner jugendlichen Inspiration, diese etwa 105 Minuten für uns festgehalten hat. Mit Feingefühl und Gespür für das Besondere. Dass die Kameras damals sehr statisch operierten und die Einstellungen im Vergleich mit den hektischen Kamerafahrten unserer Tage fast ein wenig wie in einem Bootleg wirken (das gilt übrigens auch für das schlichte DVD-Menü), schadet dem künstlerischen Gesamteindruck überhaupt nicht. Im Gegenteil, das erhöht nur den nostalgischen Charakter. Klar, die K Group ist Sperrgut und passt nicht in die für den Rockpalast so typische »Oh-hoho-ho-ho«-Stimmung. Für Fans aber sicher ein Fest und für Freunde kompliziert anspruchsvoller Rockmusik eine großartige Gelegenheit, mit einem der charismatischsten Musiker Europas auf Tuchfühlung zu gehen.


Line-up Peter Hammill & K Group:

Peter Hammill (lead vocals, keyboards, guitar)
John Ellis (guitar, vocals)
Nic Potter (bass)
Guy Evans (drums, synthesizer)

Tracklist "Live At Rockpalast – Hamburg 1981":

CD 1

  1. The Future Now
  2. Losing Faith In Words
  3. Stranger Still
  4. Sign
  5. My Experience
  6. Modern
  7. The Second Hand
  8. Sitting Targets
  9. The Sphinx In The Face

CD 2

  1. Flight
  2. Central Hotel
  3. The Spirit
  4. Door
  5. My Room

DVD

Complete Set Of CD 1 and 2

Gesamtspielzeit: 50:55 (CD 1), 42:18 (CD 2), 105:00 (DVD), Erscheinungsjahr: 2016 (1981)

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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