Nach leichter Kost sah das nicht aus, als vorliegendes Album auf meinem Tisch landete. Zum einen steht der Name des Protagonisten nicht gerade für rockige Tunes zum Bier, zum anderen lassen Album- und Tracknamen bereits die Thematik der Platte erahnen.
Rudolf Hermann ist nicht das erste Mal Besprechungsgrundlage in RockTimes und ein Blick auf das Review zu Touch The Sky von Kollege Wolfgang bestätigt meine Ahnung in Richtung Elektronik, die mir bereits beim Lesen des Labels (Spheric Music) in den Sinn kam.
Da Heimann gerne auf die Berliner Schule zurückgreift, denke ich also an elektronische Musik der Art, die man gerne zum Entspannen und Meditieren hört. Zumindest ab und an. Dass der Musiker allerdings sehr viel tiefer geht, wäre mir bewusst geworden, wenn mir die deutsche Literatur – und da speziell die alte – geläufiger wäre. Von daher brauchte es die Zeilen des Labels um zu erfahren, dass das finale und halbstündige Monsterstück "Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei" ein Unterkapitel des Romans "Der Siebenkäs" von Jean Paul (Johann Paul Friedrich Richter – 1763-1825) ist. Bewertet ist der Text als »literarisches Meisterwerk und theoriegeschichtliches Dokument«.
Man sollte unbedingt im Netz nach Kommentaren zu diesem Text suchen, denn ansonsten läuft man Gefahr "Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei" als musikalisch umrahmtes Hörspiel zu sehen. Ich empfehle da die Dokumentation des Theologen und Philosophen Joachim Kahl. Derart vorgebildet, kann man sich unter den Kopfhörer begeben und dem Text Jean Pauls hingeben. Ein Text, der im heutigen Chaos unserer Zeit genauso trefflich passt wie weiland, als die Zeilen das Licht der Welt erblickten. Zu den Worten, die von Roland Paroth, einem wie Heimann ebenfalls aus Iserlohn kommenden Musiker vorgetragen werden, steuert Heimann äußerst passend musikalische Spannungsbögen bei, die die jeweiligen Szenerien verstärken und vertiefen. Man sollte sich Zeit und Muse gönnen, um dieses Werk in voller Gänze zu genießen und zu verstehen.
Der Kopfhörer ist auch abseits des Dreißigminüters das probate Hilfsmittel um vorliegendes Album zu erforschen. Ja, erforschen. Rudolf Heimann gibt die Tracknamen vor und steuert die passenden Tunes bei. Alle weiteren Interpretationen, bzw. Kopfreisen sind dem Hörer überlassen. Diesen erwartet – bei aller Entspannung, die er erfahren kann – mitnichten das gewollte Abdriften klassischer meditativer Musik. Dafür sorgt der Künstler, indem er zum einen die Elektronik äußerst gekonnt einsetzt und zum anderen für Abwechslung sorgt. Zum Beispiel mit Kirchenglockengeläüt, echten Instrumenten wie Gitarre, Cello und mächtiger Kirchenorgel.
Ob Rudolf diese Instrumente selbst spielt, geht aus dem Booklet nicht hervor, da kein Line-up aufgeführt ist. Ich gehe aber davon aus, denn bevor er die Tasten für sich entdeckte, spielte er Bass und Gitarre in diversen Bands. Dass er von progressiver Musik à la Pink Floyd, Alan Parsons oder Mike Oldfield beflügelt ist, hört man besonders auf "Monolith". Man darf dieses Stück durchaus eine sphärische Prognummer nennen. Interessant ist, und da schließt sich der Kreis zur erwähnten großen Literatur, dass er als Musiker und Produzent neben vielen anderen Bands auch mit Leichenwetter gearbeitet hat. Und dass die Klassiker der Literatur vertonen können, haben wir bereits geschrieben.
Mit "Die Unendlichkeit des Augenblicks" hat Rudolf Heimann ein Meisterstück elektronischer Musik – mit durchaus progressiven und orchestral-cineastischen Momenten – geschaffen, das jedem, der sich darauf einlässt, eine schöne Zeit sowie einen Text zum Nachdenken beschert. Ganz vortrefflich zum Gehörten passt das gelungene Covermotiv.
Tracklist "Die Unendlichkeit des Augenblicks"
- Wem die Stunde schlägt (6:48)
- Ad Infinitum (3:34)
- Monolith (3:54)
- Vanitas (7:45)
- Niemand kennt Zeit noch Stunde (4:50)
- Ewigkeit (9:26)
- Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei (32:02)
Gesamtspielzeit: 68:45, Erscheinungsjahr: 2019
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