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Focus / Focus 11 – CD-Review

Focus - "Focus 11" - CD-Review

Nach einigen sehr produktiven Jahren mit teilweise heute noch legendären Alben zu Anfang der Siebziger, schien die niederländische Band Focus ca. ab der Mitte jenen Jahrzehnts doch etwas zu bröckeln. 1975 erschien zwar noch "Mother Focus", drei Jahre später jedoch bereits der (vorläufige) Schwanengesang "Focus Con Proby". Bei letzgenanntem Album war der Gitarrist Jan Akkerman (nach bereits länger andauernden Reibereien mit Thijs van Leer) bereits nicht mehr dabei und die Band hatte sich durch den amerikanischen Sänger P.J. Proby verstärkt. Zwischen 1985 und 1999 gab es zwar immer wieder mal Reunionen (mit der einzigen Studioplatte "Focus", auf der van Leer und Akkerman für kurze Zeit wieder zusammengefunden hatten), doch anschließend dauerte es erneut stramme dreiundzwanzig Jahre, bis die nächste Studioscheibe "Focus 8" das Licht der Welt erblickte. Von den Gründungsmitgliedern war hier zwar nur noch Thijs van Leer dabei, aber anschließend kam der Schlagzeuger Pierre van der Linden wieder fest sowie weitere ehemalige Bandmitglieder im stetigen Wechsel dazu.

Für "Focus 11" sind neben van Leer und van der Linden noch der Gitarrist Menno Gootjes sowie der Bassist Udo Pannekeet am Start. Erfreulicherweise stellt man direkt bei dem sehr rockigen Opener "Who’s Calling" fest, dass bei den Niederländern noch jede Menge Dampf unter dem Kessel ist. Die Gitarre rifft ganz fröhlich-frei durch die Landschaft und wird dabei von einer 'fetten' Orgel sowie der Rhythmus-Mannschaft unterstützt. Bereits hier zeigt Menno Gootjens, dass er auch ein ganz feines Händchen für eingängige und wohlklingende Soli hat. Apropos Soli: Die spielen sich auf diesen ersten Minuten die Gitarre und Keyboards gegenseitig zu, wobei die Sechssaitige eindeutig dominiert. Bei "Heaven" tauchen dann erstmals auch die Klassik-Einflüsse der Band auf, was einen deutlichen Kontrastpunkt zum ersten Stück setzt.

Die meisten Tracks sind instrumental, lediglich auf den Nummern "Heaven" (wortlos) sowie "How Many Miles" sind Gesangsspuren vertreten. Die Vocals von Thijs van Leer gehören zwar nicht zu den größten Stärken der Nordeuropäer, worüber aber getrost hinweg gesehen werden kann, wenn eine Band solch starke Songs in der Hinterhand hat. Ein echtes Highlight ist das verträumt-nachdenkliche und leicht jazzige "Theodora Na Na Na", das leider nach knapp viereinhalb Minuten schon wieder vorbei ist. Was immer wieder beeindruckt ist die Verspieltheit und die Leichtigkeit, mit der die einzelnen Songs vorgetragen werden. Was im Gegenzug natürlich bedeutet, dass wir es bei "Focus 11" nicht mit einem vertrackten und schwer verdaulichen Werk zu tun haben. Sprich, die Scheibe ist nicht unbedingt für Hardcore-Progger geeignet, deren größtes Vergnügen hochkomplizierte Arrangements und eine höchstmögliche Anzahl von gespielten Noten sind. Insgesamt gesehen geht es hier etwas gemütlicher zur Sache, was der Qualität der Stücke aber nichts nimmt.

Eine Sonderstellung auf dieser Scheibe nimmt das bereits erwähnte "How Many Miles?" ein und zwar nicht nur, weil es der einzige Track mit einem gesungenen Text ist, sondern vor allem auch wegen seiner kompositorischen Stärke. Ein toll nach vorne treibender Rhythmus, Spannung aufbauende Gitarren-Riffs, eine sehr atmosphärische Flöte und eine super Auflösung des Grundthemas bestimmen die ersten siebzig Sekunden, bevor van Leer seinen Gesang ins Spiel bringt. Rockiger kommt dann wieder "Palindrome" mit dominanter Gitarrenarbeit, während Pierre van der Linden ebenfalls jede Menge Raum für kürzere Soloeinlagen bekommt. Das sehr gute "Mare Nostrum" gesellt sich stilistisch zu "Theodora Na Na Na" und der abschließende Titeltrack ist ebenfalls ein Traum für sich, relaxt und mit wunderschönen Melodien versehen.

"Focus 11" ist ein starkes Prog Rock-Album mit Einflüssen aus dem Jazz und der Klassik geworden. Vergleiche zu den drei Vorgänger-Alben kann ich nicht und zu den Werken der frühen Siebziger will ich nicht ziehen, aber die Scheibe hat es definitiv verdient, gehört zu werden.


Line-up Focus:

Thijs van Leer (piano, organ, flute, synthesizers, vocals)
Menno Gootjes (guitars)
Udo Pannekeet (bass)
Pierre van der Linden (drums)

Tracklist "Focus 11":

  1. Who’s Calling?
  2. Heaven
  3. Theodora Na Na Na
  4. How Many Miles?
  5. Mazzel
  6. Winnie
  7. Palindrome
  8. Clair-Obscur
  9. Mare Nostrum
  10. Final Analysis
  11. Focus 11

Gesamtspielzeit: 52:51, Erscheinungsjahr: 2018

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
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Mail: markus(at)rocktimes.de

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