Über zwei Jahre sollte es dauern, bis Michy Reincke wieder einmal im Pumpwerk vorstellig wurde. Im Gepäck hatte er sein aktuelles Album, "?!". Und so stellte er auch vorwiegend Songs aus dieser Platte vor, gepaart mit diversen, wie Michy sie nannte, »alten Krachern, die noch immer ziehen.«
Doch auch wie sonst zuvor, gab es einen Support: 2013 war es Katharina Vogel, 2014 die Künstlerin Buket, 2016 dann Emma Longard. Dieses Mal hatte Reincke Sarajane (McMinn) aus Hamburg mitgebracht. Begleitet wurde sie von Robin mit Cajon und Perkussion. Sie stellte ihr am 17. Mai erscheinendes neues Album vor und sang und spielte davon auch die Single "Bullets Out Of Love". Ihr Auftritt war äußerst überschwänglich und enthusiastisch und wirkte mitunter recht hektisch. Dabei verfügt sie grundsätzlich über eine ausdrucksstarke und gute Stimme, was die Künstlerin dann auch besonders bei einem am Piano vorgetragenen, ruhigen Song bewies. Weniger ungestüm und mehr konzentriert wäre die Musik sicher angenehmer zu konsumieren. Aber wenn man dann, gemäß Aussagen von Sarajane, auf das Erreichen der Charts fixiert ist, bleibt diese hyperaktiv wirkende Show wohl unverzichtbar.
Nun, nach fünf Liedern betraten Michy Reincke und seine Band dann die Bühne, mit seinem langjährigem Begleiter Martin Meyer am Piano und dem jungen Gitarristen Florian Schneider, der mir ansonsten eher aus Jazz-Kreisen bekannt ist. Als Begleiter, sowohl an der akustischen und auch der elektrischen Gitarre, erwies er sich als Glücksgriff, agierte der Gitarrist doch äußerst einfühlsam und mit perlenden Single-Notes, und füllte Lücken in den Arrangements durch durchdachte und sensible Ausschmückungen perfekt aus, da hörte man den Könner! Schade nur, dass ihm nicht ein wenig mehr Spielraum gelassen wurde. Vor allem bei der nun wieder anders vorgestellten Version von "Nächte übers Eis" konnte Schneider sein Können beweisen, mit dem Slideröhrchen zauberte er eine Atmosphäre, die mitunter an den Sound von David Gilmour erinnerte. Und dazu waberten die Nebelschwaden über die Bühne, ein faszinierender Höhepunkt.
Und Michy Reincke selbst? Nicht nur als Musiker mit stark harmonischer und melodischer Ausrichtung, sondern erneut als philosophisch ausgeprägter Geschichtenerzähler und Verbreiter von Weisheiten zog er die Aufmerksamkeit des zahlreich erschienenen Publikums auf sich. Mit einem ganz neuen Song startete die Show, "Verwandte der Sonne", und unter diesem Motto steht ebenso die derzeitige Tournee. Und mit sonnigem Gemüt erfolgte so manche Ansage vor dem nächsten Stück, nach eigenen Angaben sei er immer ruhiger geworden, »auch wenn das Porzellan in Kopfhöhe durch den Raum fliegt.«
"Woher hast Du diese Frau eigentlich genau", das folgte diesen Hinweisen und weil er einen Song ausnahmsweise einmal nicht selbst schrieb, verwies er freundlicherweise auf die Ko-Operation mit einem alten Bekannten – Wolfgang Amadeus Mozart, dessen Thema er aus dem Andantino des Konzertes für Flöte und Harfe (C-Dur, K.299:II) für "U-Boot-Mädchen" variierte.
Eine weitere Variation erklärte uns Michy in Bezug auf "Glücklich glücklich", und welch unterschiedliche Varianten es doch gäbe (glücklich unglücklich, unglücklich-glücklich etc.). Bevor man dann schließlich im Modus "Glücklich glücklich" auf die Menschheit losgelassen wird, sollte man es zuvor vielleicht erst einmal mit einem Haustier versuchen. Sicher, unverzichtbar und zum Stammrepertoire zählend, das ist der alte Hit "Für immer blond", und klar – dass aus dem Publikum jemand herangezogen werden musste – Zielgruppe: blonde Frau zwischen einundzwanzig und einundzwanzigeinhalb. Angesichts des mit dem Protagonisten gemeinsam alternden Publikums war es so gar kein leichtes Unterfangen und Heidi, die mit auf die Bühne kam, und eine durchaus professionell anmutende Mundharmonika-Begleitung ablieferte, war wahrscheinlich bereits etwas älter als einundzwanzig.
Die neuen Tracks der neuen Platte standen in einer stimmungsmäßigen Reihe mit den alten und untermauern des Künstlers Ruf als ernstzunehmender Poet tiefgehender Texte. Texte, die teilweise aufmüpfig ausgestattet, Alltagssituationen treffend beschreiben. Egal, ob Liebeslieder, Lieder über Liebeskummer, Enttäuschungen, Songs mit hohem Kritikfaktor, stets entstehen sie aus dem Alltag, aus präzisen Beobachtungen, vielleicht auch oft autobiografischen Inhalts. Gut, dass sie vom Künstler mittels Ansagen noch vorgestellt werden, so dass man sich den einzelnen Stücken und ihren Inhalten näher fühlen kann.
Vom letzten Konzert, über das ich berichtete, ist mir noch in Erinnerung, dass Reincke »eine mysteriöse Maschine aus dunklen Zeiten der deutschen Geschichte« vorstellte, die sich gar nicht als sooo alt herausstellte, sondern vielmehr handelte es sich um eine mit einem Wiedergabegerät bestückte Apparatur, mittels derer vorgefertigte Musik eingespielt wurde. Gerade bei den Nummern der neuen Platte, die Michy ganz allein auf sich gestellt eingespielt hatte, dienten diese Zuspielungen dafür, diese Titel entsprechend authentisch vorzutragen. Mir selbst hätte der Vortrag im Trio-Format gereicht, um den Charakter der jeweiligen Stücke besser in den Vordergrund zu bringen, ebenso den Gesang.
Auch im zweiten Set gab es drei neue Songs, wobei "Toben" von Shakespeare’s "Macbeth" inspiriert worden sein soll, (»nicht gerade eines der lustigsten Stücke des Dichters«), ja, und dann das Finale – die Zugabe – Sarajane und Robin mit auf der Bühne, das Publikum wurde zum Aufstehen aufgefordert, und nun wurde noch einmal richtig abgefeiert. In Folge erschallten "Valérie Valérie", "Move’t Eure Körper für mich", "Taxi nach Paris" (wobei Michy dieses Mal gar nicht erwähnte, dass er genau das eigentlich gar nicht mehr spielen wollte) und zum Schluss dann der Wunsch nach einem Wiederkommen, "Es wär so schön". Und darauf hoffe sicher nicht nur ich und ich verspreche gleichzeitig dafür Sorge zu tragen, dass der 'Herr in der zweiten Reihe' nicht mehr mit seinem Fotoapparat blitzen wird!
Fazit: Was im Übrigen geblieben ist, das ist die Strahlkraft der Lieder von Reincke, eine Kraft, die unvermindert anhält und hell leuchtet und stets dazu beiträgt, dass ein solches Konzert ein rundum zufriedenstellendes Gesamterlebnis darstellt.
Des Weiteren geht noch ein Dank an Reent Fröhlich vom Pumpwerk-Team für die problemlose Akkreditierung.
Line-up Michy Reincke:
Michy Reincke (vocals, acoustic guitars, drum/sample-computer)
Florian Fleischer (acoustic & electric guitar, background vocals)
Martin Meyer (piano, accordion, background vocals)
Special guest:
Heidi (harmonica)
Line-up Sarajane:
Sarajane (vocals, keyboards, piano)
Robin (McMinn) (cajon, background vocals)
Setlist:
- Verwandte der Sonne
- Woher hast Du diese Frau eigentlich genau
- Mach Dein Herz laut
- U-Boot-Mädchen
- Erzähl mir nicht, dass Du nur tust was man Dir sagt
- Glücklich glücklich
- Für immer blond
- Lola meint
- Niemand kommt so selten vor wie Du
- Toben
- Frei von all dem
- Nächte übers Eis
- Wir fliegen vorbei
- Valérie Valérie
- Move’t Eure Körper für mich
- Taxi nach Paris
- Es wär so schön
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