In diesen Tagen wird sich der Traum eines wunderlichen Altrockers verwirklichen. Nämlich meiner! Einmal im Leben die volle Elektrizität am eigenen Leib erfahren, wenn The Who ihr legendäres "Won’t Get Fooled Again" in die Sphären jagen. Roger Daltreys finaler Schrei nach dem letzten Keyboard-Kreisel, entfesselt in einer Orgie aus Licht und einem Riff-Gewitter mitten aus dem Auge des Hurricanes – so wie einst 1981 auf der Bühne der Grugahalle. Damals, als Peter Rüchel mit seiner Zusammenstellung aus der puren, anarchischen Energie der Who und der lässig relaxten Flower Power der unvergleichlichen Grateful Dead wohl die gewagteste Bühnen-Kombi in der deutschen Rock-Geschichte auf die Menschheit losgelassen hat. Es verlief für die Beteiligten äußerst erfolgreich und für mich war’s eine der großartigsten Nächte meines Lebens, ein kultureller Adrenalin-Stoß, den ich bis in die heutigen Tage nicht abgebaut habe.
Und das ist ein großes Glück…
Pete Townshend und Roger Daltrey kommen, und Keith Moon und John Entwistle werden auf einer astralen 'Wolke Sieben' ganz sicher nicht fern sein – The Who spielen live in Deutschland. So wie damals.
Erschreckt musste ich feststellen, dass mein absoluter Favorit aus den Federn der genannten Helden bislang keine Erwähnung in den tiefen Kellergewölben des RockTimes-Archivs gefunden hat, darum möchte ich mit tiefstem Respekt und voller Begeisterung das Wunderwerk der Britischen Rock-Pioniere allgemein ans Herz legen – Willkommen bei "Who’s Next". Egal, ob damit nun schlicht die nächste Platte der Band gemeint ist oder die Frage, wer auf dem dazu gehörigen Cover als nächstes vor den Felsen pinkelt, es muss uns nicht wirklich interessieren.
Vielmehr werden wir konfrontiert mit der für mich einzigartigen Transformation brutal aggressiver Sixties-Klänge in die Moderne der aufbrechenden Siebziger. Keine Platte aus meinen Beständen hat mir jemals so sehr dieses Gefühl gegeben. The Who haben die Sechziger aus meiner ausgesprochen subjektiven Sicht viel mehr beeinflusst, als die allseits herangezogenen Stones oder die Beatles. Mit Interesse hab ich dazu auch die kürzlich aufbrandende Diskussion über die vermeintlichen Plagiate von Led Zeppelin gelesen. Aber auch mit großer Gelassenheit, hatte doch mein alter Kumpel Volker schon vor vielen Jahren darauf hingewiesen. Recht hat er sicher und ein Musiker wie Robert Johnson hat wohl eben mehr Einfluss auf den Lauf der Musik ausgeübt, als den meisten Mitmenschen bewusst ist. Die Stones? Irgendwie nichts neues, eine Art moderner R&B und die Beatles haben eben geschickt die neue Welle der Pop-Musik genutzt. Aber die wirklich Innovativen, die, die den harten Rock mehr nach vorn gebracht haben als alle anderen, das waren für mich The Who. Sie spielten damals eine Art Sixties-Rock, der so klang, als wäre er von einer Art frühem Geist des Punk vergewaltigt worden. Punk Rock, zehn Jahre, bevor er erfunden wurde. The Kinks konnten das ansatzweise auch und vor allem The Velvet Underground, aber erst die Sex Pistols wurden damit berühmt. Sei’s drum.
Hab ich mich gerade erst an anderer Stelle über deplatzierte Synthesizer oder Keyboard-Einlagen beschwert, auf "Who’s Next" sind sie der absolute Höhepunkt. Das Intro zu "Baba O’Riley" als Opener und in einer epischen Klammer der grandiose Epilog zum finalen Highlight in "Won’t Get Fooled Again" haben ein unverkennbares musikalisches Denkmal gesetzt, später mit einer einzigartigen Lasershow unfassbar fühlbar gemacht. Auch da waren sie bei den ersten, die sich mit diesen medialen Möglichkeiten auseinandersetzten. Stets aber mit der destruktiven Energie und Power, die ihrer Musik schon immer zu Eigen war, auf der Bühne ekstatisch ausgelebt durch die irren Instrumente-Zerlegungen der Herren Moon und Townshend. Pete soll übrigens dabei stets seine Gitarre kurz zuvor gegen eine Art Dummy ausgetauscht haben. So völlig verrückt war der Junge nie, ich würde nicht so weit gehen, von Keith Moon das gleiche zu behaupten.
Genau deshalb ist "Who’s Next" für mich so ein Ur-Klassiker. Es enthält eine Sammlung bis heute einzigartiger Rock-Nummern wie die erwähnten "Baba O’Riley", "Won’t Get Fooled Again" und das herrliche, ungezählt oft gecoverte "Behind Blue Eyes" einerseits, stellt dem aber auch klassische Sixties-Hymnen in völlig neuem Gewand und mit schönen Einlagen auf Geige, Piano oder eben Synthesizer entgegen, geradezu mitreißend emotional in "Song Is Over", wo man fast in progressive Gesangs- und Gitarren-Passagen verfällt. Vor allem aber mit einem Roger Daltrey zwischen Rauschgoldengel, wie ich es, glaube ich, hier auf der Webseite mal bei einem Kollegen gelesen habe, und einer Art Belzebub. Jesus und Teufel, Yin und Yang. Dazu die brutal offensiven Riffs und Akkorde, die Pete so gern in reichlich gewaltsam einschlagende Rotationen auf seine geschundenen Saiten einprügelte. Alles zusammen aufgemischt von der wohl ausgeflipptesten Rhythmus-Sektion der Rock-Geschichte. Was sonst als ein alles überstrahlendes Meisterwerk soll bitteschön dabei heraus kommen?
Und nun kommen sie zu uns. Oder besser, wir zu ihnen. Ich werde an jenem Abend in Oberhausen mit meiner Fassung kämpfen müssen. Dann, wenn ich an die Rocknacht zurückdenke. Und vor allem dann, wenn wir alle den Refrain »We Don’t Get Fooled Again« hinaus in die KöPi-Arena und den Rest der Welt grölen werden. Dann gilt der all den Lügnern, Leugnern, Hass-Predigern und Kriegstreibern dieses Planeten, den perversen Eliten der Aufrüster und Banker und all ihren Polit-Vasallen; auf dass wir uns nie wieder von diesen üblen Hetzern und Volksfeinden veräppeln lassen mögen. Aber ich bin zum Glück mit guten Freunden dort, solche Momente mag man nicht gern allein erleben. Pete und Roger sind in die Jahre gekommen, aber ich bin sicher, sie werden die Halle rocken. So wie sie es immer getan haben. Und wenn der Vorhang fällt, dann weiß ich, dass ich eine Legende noch einmal erleben durfte. Menschen, die meinen Kulturkreis viel mehr beeinflusst haben als manche, die sich für groß halten. Sehr viel mehr kannst du von einem eigentlich simplen Rock-Konzert nicht erwarten.
Line-up The Who:
Roger Daltrey (vocals)
Keith Moon (drums)
John Entwistle (bass, vocals, piano on 'My Wife')
Pete Townshend (guitars, organ, synthesizer, piano, vocals)
Tracklist "Who´s Next":
- Baba O’Riley
- Bargain
- Love Ain’t For Keeping
- My Wife
- Song Is Over
- Getting In Tune
- Going Mobile
- Behind Blue Eyes
- Won’t Get Fooled Again
Gesamtspielzeit: 43:11, Erscheinungsjahr: 1971
2 Kommentare
Ulli
8. September 2016 um 13:28 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
The Who und Grateful Dead – ja, das war in der Tat eine äußerst gewagte Kombination. Baba O’Riley muss GD aber gefallen haben 🙂
Michael Breuer
8. September 2016 um 20:16 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Ganz bestimmt!!! Und dann ist Pete später bei "Not Fade Away" zu den Dead auf die Bühne gekommen, da sind bei mir sämtliche Gäule durchgegangen. Alte Woodstock-Veteranen, total verschieden, aber doch eins 'on stage'. Was für eine Nacht.