Orso kommen aus Lausanne und übersetzt aus dem Italienischen bedeutet der Bandname Bär. Damit gesellen sie sich in illustre Gesellschaft, denn auch Monkey 3, deren Pfaden ich schon so viele Jahre folge, stammen aus der Stadt am Genfer See. Bären und Affen, dort scheint es tierisch zuzugehen, doch das nächste Projekt aus Lausanne, welches schon auf meine Schreibtisch liegt, hat nichts mit vierbeinigen Freunden zu tun. Versprochen.
Nimmt man erst einmal über das Plattencover und die Songtitel Kontakt zur Musik des Bären auf, so stolpert man in einen ganz anderen Themenkreis. Das Album ziert in Großaufnahme eine Scheibe Graubrot, heißt "Paninoteca" (also so viel wie Sandwich-Bude) und die Songs sind nach internationalen Sandwiches benannt.
Aha, die Platte zur Stulle.
Doch Vorsicht, wer so denkt, geht der Band sogleich in die Falle, die Bärenfalle sozusagen. Die Musik ist mitnichten leicht und locker flockig, wie die spaßige Titulierung vielleicht vermuten lassen möchte. Vielmehr bewegen wir uns in eine Art Post Metal hinein, ein rein instrumentales, mächtig hartes Brett mit drei Gitarren. Das knallt und gibt Kante, klare Linien und eine reine, fast kristallene Grundstruktur. Ja wirklich, wenn ich auf meine Assoziationen höre, die sich beim ersten Hördurchgang entwickelte, dann kommen Bilder aus einem futuristischen Spiegelkabinett in mir auf, in dem geheimnisvoll das Licht gebrochen, reflektiert und dreidimensional verteilt wird. Ein Ort, in dem man jederzeit verloren gehen kann.
Auf etwas Organisches wie unser aller Butterbrot wäre ich wahrlich nicht gekommen.
Schon der verstörend bedrohliche Auftakt in "Sloppy Joe" mit glasklar mäandernden Hooklines wird immer wieder mit gebrochenen Rhythmen und wild eingestreuten, hypnotischen Riffs zersägt. Das alles geschieht aber ohne ein undifferenziertes Gebrate, die Gitarrenklänge sezieren glasklar und fast chirurgisch die Soundlandschaften und kreieren damit eben jenen bereits zitierten, kristallenen Nachhall in mir. Auf dieser Basis gestalten sich die einzelnen Nummern für mein Empfinden weniger als einzeln zu sehende Songs, sondern sie wirken wie scharfkantige Scherben, die bewusst überlappend und nicht korrekt der Bruchstelle folgend wieder zusammengesetzt werden. So lebt das gesamte Album vom Spiel mit der kraftvollen Dynamik und der intensiven Soundmalerei und weniger vom Abwechslungsreichtum oder prägnanten einzelnen Nummern.
Wie ein roter Faden zieht sich ein seltsam verzögerter Rhythmus in einem durchgängig behäbigen Tempo durch das Album und nimmt hypnotisch in seinem Bann gefangen, schön zu beobachten in "Horseshoe", wo wir verstärkt in diesen verschleppten Drift geraten; weiter, fast sludgeartig entschleunigt in "Mitraillette", wo scheinbar endlose repetitive und minimalistische Schleifen mäandern, ohne an ein Ziel zu gelangen. Nein, diese Musik fängt einen ein wie die Spinne ihr Opfer in ihrem Netz. Wir sind Gefangen in diesem glänzend metallenen Inferno aus Licht und Raum und werden ganz langsam verdaut. Liegt da vielleicht die Grundmetapher für das degustative Plattenthema? Sicher nicht.
"Monte Cristo" wartet plötzlich mit einem fast sehnsüchtig klingenden, psychedelischen Intro auf, welches mich an The Egocentrics "Center Of The Cyclone" kurz erinnert. Hier und da hatten die tatsächlich einige kurze Wegstrecken in ihrem Schaffen, wo auch Orso, der Bär zu streunen scheint. Doch meist bewegt sich der Gevatter Petz in deutlich metallischeren Gefilden als die alten Freunde aus Timisoara. "Smörgastarta" als Ausklang schließt dennoch noch einmal an diesen Psych-Trip an und beweist, dass eine coole Hookline ruhig bis ins Nirwana wiederholt werden kann, ohne an Spannung zu verlieren. Solche Phrasen wirken im Unterbewussten und können einen vorübergehend ein Stück weit die Orientierung verlieren lassen. Geil.
Dass einer der Gitarristen des Bären ausgerechnet Bruno heißt, lässt furchterregende Erinnerungen an Herrn 'StoiBärs' Problembär wach werden und plötzlich fällt mir auf, dass der in seinen obskuren Ansprachen etwa den gleichen verschleppten Rhythmus praktizierte wie die Band auf dieser Scheibe. Edmund, der Rocker, wer hätte das gedacht. Daher, Bruno, nimm Dich in Acht vor alten Bayrischen Politikern, die machen mit geltenden rhetorischen Regeln und ’sich nicht normal verhaltenden' Bären kurzen Prozess (zur Erklärung insbesondere für diejenigen, die den Hype um Bruno damals womöglich nicht verfolgt haben: Bruno war ein Braunbär, der aus Südtirol ins Bayrische eingewandert war und einige Nutztiere gerissen haben soll. Sein Abschuss und die aberwitzigen Erklär-Versuche des zitierten Politikers gingen damals mit großem Tamtam durch die Presse und wurden bis zur Realsatire ausgereizt).
Oder schlägt auch hier die Bärenfalle wieder zu? Im Waschzettel des Labels ist ausdrücklich vom Gitarristen Bruno die Rede, auf der CD selbst (wie auch auf der Facebook-Seite) von Margo. Es würde mich nicht wundern, wenn beide Namen einer Person zuzuordnen sind und der Bruno in Kenntnis der irren Geschichte aus Bayern als eine Art bäriger Spitzname übernommen wurde. Wäre jedenfalls cool.
Vielleicht möchten die Jungs mit ihrer Hommage ans Backwerk sowieso ein humoristisches Gegengewicht zur durchaus schweren, mächtigen Musik setzen. Um zu zeigen, dass man damit jede Menge Spaß haben kann und man die Ernsthaftigkeit der oft düster melancholischen Sounds nicht zu arg strapazieren möchte. In der Beilage wird metaphorisch philosophiert, »dass man die "Paninoteca" als geschmackvolle Mixtur qualitativer Zutaten … zubereitet, welches das Album zu einem reichhaltigen, aber niemals unverdaulichen Festmahl macht.« Aha!
Nun denn, wenn man im Bild bleiben will, dann schaut das abgelichtete Cover-Brot so aus wie das, welches ich immer in die Soße zum Schweinebraten nehme. Das bindet sie und gibt einen schönen Geschmacksaspekt.
So, damit habe auch ich meinen kulinarischen Beitrag eingebracht und bevor wir am Ende bei Chefkoch.de landen, sollten wir das Thema an dieser Stelle beenden. Ich bin eh ganz sicher, dass die Jungs einfach nur eine Gaudi machen und uns sagen wollten: »Hey Leute, nehmt das alles nicht so bierernst.« Eigentlich genau die Botschaft, die uns vor ein paar Wochen auch der Stef von The Universe By Ear vermittelt hat – und der stammt bekanntermaßen ja auch aus der Schweiz. Komisch, dabei gelten die Schweizer hierzulande gar nicht als allzu humoristisch. Herrlich, ich liebe es, herrschende Meinungen zu schrotten und als das zu outen, was sie sind: Tumbe Vorurteile.
Diesen Zweck erfüllt "Paninoteca" trefflich, sowohl als gallig witzige Anspielung, vor allem aber mit eindrucksvoll intensiver und in den Bann ziehender Rockmusik, die oft mit dunklen Emotionen spielt und doch nicht runter zieht. Ich hatte jedenfalls eine Menge Spaß mit der Platte und Hunger bekommen, auch wenn Zehn-Gänge ordentlich satt machen. Nachdem die erste EP ja "Primi Piatti", erster Hauptgang hieß, warten wir gespannt auf die "Secundi". Zwei Hauptgänge, so wie es die Italiener lieben – was kann daran falsch sein? Guten Appetit.
Line-up Orso:
Raul (guitar)
Bruno (guitar)
Blaise (guitar)
Etienne (bass)
Thomas (drums)
Tracklist "Paninoteca":
- Sloppy Joe
- Jambon-Beurre
- Choripàn
- Horseshoe
- Mitraillette
- Fluffernutter
- Jucy Lucy
- Monte Cristo
- Dagobert
- Smörgastarta
Gesamtspielzeit: 73:12, Erscheinungsjahr: 2019
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