Da ist sie wieder, die finnische Slide-Meisterin.
"Another World" soll nach "Stolen Heart" wieder für Wellen in der europäischen Blues-/Blues Rock-Gemeinde sorgen.
Dabei ist es wahrscheinlich von Interesse, sich zu fragen, welchen Hintergrund der Albumtitel hat.
Bewegt sich Erja Lyytinen auf anderen musikalischen Wegen?
Schaut sie eventuell weiter über den Tellerrand?
Wurde möglicherweise Jennifer Batten als Gastmusikerin ausgewählt, um eine härtere Gangart in den Erja Lyytinen-Blues zu injizieren?
Beim Mitwirken des Slide-Spezialisten Sonny Landreth dürfte die Richtung wohl vorgegeben sein.
Für die komponierte Musik trägt die Protagonistin jedenfalls die Verantwortung.
Die knapp neununddreißig Minuten "Another World" gehen mit "Snake In The Grass" los.
Hier greift Jennifer Batten gemeinsam mit Erja Lyytinen in die Saiten und vor dieser Schlange im Gras muss man sich schon in Acht nehmen. Es wird über die gesamte Song-Distanz gerockt, was das Zeug hält. Hart auftrumpfende Dynamik schallt einem entgegen und die ist richtig griffig, bohrt sich förmlich einen Weg durch die Trommelfelle ins Gehirn. Die Riffs sitzen perfekt wie eine Nieten-Kluft und man kann dazu auch noch ordentlich seinen Kopf bangen. Gesanglich gibt es nichts zu meckern und die Gitarren-Sounds fliegen einem nur so um die Ohren. Hier und da ein tolles Break zum Luftholen zwischen den heftigen Sechssaiter-Exkursen macht diese Nummer nur noch interessanter.
Gehen wir doch gleich über zur Kooperation mit Sonny Landreth.
"Wedding Day" ist da das erste Objekt der Begierde. Klar, hier stehen die Bottlenecks der beiden im Vordergrund. Wow, welch ein Hochzeitstag. Der gefällt einem so richtig gut, wenn sich Erja Lyytinen sowie Sonny Landreth in der infizierenden Boogie-Auslage des Blues die Slide-Kante geben. Es rockt der Zwölftakter. Der produziert gute Laune bis mindestens unter die Decke der vier Wände. Hammer, dieses Stück geht runter wie Öl. Echt gelungen, dieser "Wedding Day". So feiert man in diesem Lied täglich die Hochzeit der Slide-Extase.
Mit Sonny Landreth geht es in "Break My Heart Gently" weiter. Der Songtitel lässt es fast schon erahnen … es ist Balladen-Zeit. Bei diesem Track zeigt man ein anderes musikalisches Gesicht. Zeitlos schön schwebt das Stück ziemlich weit über den Boden und so verliert man aus meiner Sicht den Kontakt zum Blues. Aber dieser Herzensbrecher ist so zart, phasenweise schon filigran, zerbrechlich und zum Niederknien schön. Dieses Highlight ist doch schon eine andere Erja Lyytinen-Welt.
Der Titeltrack des Albums sortiert sich ebenfalls im balladesken Bereich ein. Etwas mehr Energie – besonders durch Ipe Laitinens Schlagzeug erzeugt – legt man schon an den Tag. Mit dem furiosen Gitarrensolo kratzt das Stück an den Wolken und was sich danach abspielt ist so etwas wie bluesig-proggiger Rock als Intermezzo. Dann findet man zurück in die vorherige Songstruktur. Dieses Lied ist sozusagen zweigeteilt. Klasse!
Spätestens bei "Miracle" unter der tollen Federführung von Percussion-Mann Abdissa Asseva und den herrlichen Keyboard-Läufen eines Harri Taittonen schmilzt das gefrorene Wasser dahin. Erja Lyytinens Solo schäumt dieses Stück noch so richtig auf.
Die Violine in "Torn" passt perfekt und auch hier muss man den Blues mit der Lupe suchen.
Erja Lyytinen rockt in "Cherry Overdrive" hingebungsvoll und mit Power.
Erja Lyytinen begibt sich mit "Another World" auf eine Art Teststrecke mit einem doch anderen Belag. Dieses Album ist nicht nur Blues oder Blues Rock. Dieses Album ist viel mehr, ist eine andere Erja Lyytinen-Welt. Sie lässt den 12-Takter aber nicht am Hörer vorbei gehen, er wird nicht ad acta gelegt. "Another World" ist so interessant wie schön und eine höchst gelungene Einladung, sich dieser Welt zu widmen.
Line-up Erja Lyytinen:
Erja Lyytinen (vocals, guitars, violin)
Tatu Back (bass)
Ipe Laitinen (drums)
Harri Taittonen (keyboards)
Abdissa Assefa (percussion)
Dante (laughing – #6)
Massimo (laughing – #6)
Jennifer Batten (guitar – #1)
Sonny Landreth (slide guitar – 5,8)
Tracklist "Another World":
- Snake In The Grass (3:41)
- Cherry Overdrive (5:53)
- Another World (5:31)
- Hard As Stone (4:44)
- Wedding Day (3:47)
- Miracle (5:59)
- Torn (4:21)
- Break My Heart Gently (5:02)
Gesamtspielzeit: 38:57, Erscheinungsjahr: 2019
3 Kommentare
Steffen Nitzsche
28. Mai 2019 um 0:39 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Die Scheibe ist wirklich nicht die Schlechteste…Stimmt. Ich bin ja auch Fan. Ich habe nur kritisiert das der Blues (bei immer mehr Bluesmusikern) etwas auf der Strecke bleibt. Nische halt. Sie wird ihren Weg gehen und freue mich drauf.
Live….hm, man spürt schon das die kleinen Künstler Live improvisieren müssen und es einen Unterschied zum eingespielten Album gibt. Das ist halt so….aber natürlich sind diese Konzerte dann intensiver.
Olli
20. Mai 2019 um 13:43 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Also … dass Lyytinen live nicht ganz so gut rüber kommen soll, kann ich persönlich nun gar nicht nachvollziehen und schon gar nicht bestätigen. Ganz im Gegenteil, live ist die Titulierung "Slidekönigin" keineswegs unangebracht. Und … in der Tat … mit der aktuellen Scheibe setzt sie das fort, was sich schon beim letzten Studioalbum andeutete … Erja Lyytinen stellt sich musikalisch abwechslungsreicher auf. Das Blues-Korsett hat auch etwas einengendes … will sich ein Künstler/eine Künstlerin größere Freiheiten nehmen – sich weiter entwickeln – sind andere und neue Horizonte nie verkehrt … solange es nicht in Beliebigkeit mündet. Und genau diese ist Lyytinen bei dieser Scheibe nicht zu attestieren, denn dafür ist das Album in sich viel zu stimmig. Darüber hinaus offeriert es einige grandiose Songs … für mich ganz klar ihr bisher interessantestes und bestes Werk!
Steffen Nitzsche
17. Mai 2019 um 23:12 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Danke für den Bericht. Ich lese eher selten CD-Review, aber die Ein oder Andere CD kaufe ich mir schon bei Konzerten und dann lese ich auch.
Erja Lyytinen verfolge ich nun über 13Jahre.
Die neue CD ist solide, aber mit der "Slidekönigin" hat die Scheibe nicht mehr viel zu tun.
Ihr Stil auf der neuen "Another World" ist eher rockig, teilweise sogar mit Popeinflüssen. Der Blues bleibt etwas auf der Strecke. Trotzdem finde ich CD gelungen, auch wenn der traditionelle Blues eigentlich ganz verloren geht. Ich glaube hier ist bissl nach Mainstream geschielt wurden.
Klangtechnisch ganz saubere CD, Live kommt sie nicht ganz so gut rüber.
Wie du schon schreibst….Erja Lyytinen hat sich etwas gewandelt. Die Bluesszene ist auch keine Einfache um Bestehen zu können. Das war eine Nische und das wird sie bleiben. Eigentlich schade. Ich kann aber verstehen, das da einige Musiker versuchen sich etwas mehr Luft zu verschaffen.