Prolog
Vor knapp 14 Jahren reiste der Rezensent in die Welt der Patchouli-Düfte, Räucherstäbchen, Dusch-Muffel, Hanf-Freunde, Love & Peace und Freie Liebe–Nostalgiker und fand selbige ausgerechnet im hessischen Breitenbach am Herzberg … auf dem europäischen Hippie-Convent schlechthin … dem Burg Herzberg Festival.
Unter anderem trat dort eine sehr junge, optisch und musikalisch sehr passende, sehr unbekannte Band aus Schweden auf. Der Rezensent war schlicht begeistert und ab diesem Zeitpunkt wurde diese Band von RockTimes nicht mehr aus den Augen gelassen.
Es ist natürlich ein nicht zulässiges Stilmittel, aber zum besseren Verständnis seien einige Selbst-Zitate erlaubt:
»Siena Root sind ob ihrer musikalischen Klasse in der Lage, einen famosen, leichtfüßigen, rifflastigen, mitreißenden, kompromisslosen Zeitreisen-Sound ohne jede pseudomodernistische Punkfärbung zu kreieren, der im Verbund mit hervorragenden Songgebilden und einem hohen Wiedererkennungswert einen überraschend großen Eigenständigkeitscharakter aufweist!«
»Siena Root sind nicht von Hier und Jetzt, sie sind aber auch nicht von damals, sie sind eigentlich überhaupt nicht von dieser Welt, sondern schweben auf einem dichtgeknüpften, rhythmisch groovenden Teppich dahin, so dass das Geschehen fast schon surreal wirkt.«
»(…) hier nützt das ganze Sezieren musikalischer Einflüsse aus der Vergangenheit gar nichts. Es greift einfach nicht, denn im Prinzip spielen Siena Root einen kosmologischen Transzendenz – Bluesrock, langsam fließend wie Lava, manchmal eruptiv wie ein feuerspeiender Vulkan (…) und manchmal irdisch rockend.«
Siena Root gründeten sich Ende der 1990er Jahre, brachten 2004 ihr offizielles Debütalbum raus und kommen bis heute auf sechs Studioalben und eine Live-Kollektion, zuzüglich einer Live-DVD. Und ja … diese Band existiert tatsächlich bereits zwanzig Jahre lang, ohne Unterbrechung, aber dafür durchaus mit Personalwechseln.
Es ist ein Markenzeichen der Band, dass auf keiner der sechs Studioplatten der gleiche Sänger/die gleiche Sängerin zu hören ist und auch auf ihren Konzerten ist nie gewiss, wer gerade das Mikro schwingt. Der Kern und Nukleus sind die Gründungsmitglieder Sam Riffer (Bass) und Love Hansson Forsberg (Drums & Percussion), welche auch bis heute dabei sind.
Vor gut fünf Jahren gab es einen großen Einschnitt bei den Vorreitern der inzwischen grassierenden Vintage- oder Retrorockwelle, als ihr bisheriger Gitarrist und gleichzeitiger Tastenmann KG West sich endgültig in die Welt der Sitarklänge (und Space-Electronic) verabschiedete und gleich durch zwei neue Leute ersetzt wurde.
Damit ging gleichzeitig eine gewisse Änderung im Sound einher, der kompakter wurde, aber leider stark an Eigenständigkeit/individueller Signatur verlor. Trotzdem scheint es sich auszuzahlen, denn das Live-Publikum wird zahlenmäßig größer und konsequenterweise landeten sie vor zwei Jahren gar im Vorprogramm von Deep Purple, nach denen sie heutzutage mehr denn je klingen.
The Root Book – Volume I
Für alle Interessierten dieser immer noch nicht allzu bekannten Band – neu Hinzugekommene, aber auch Alteingesessene – gibt es jetzt als Merchandise-Artikel-Variation das sogenannte 'Root Book', welches sich in allererster Linie an alle richtet, die auch Noten lesen können … denn es ist im Grunde ein Notenbuch/Liederbuch, welches mit Anekdoten zu den einzelnen Songs und Fotos der Band angereichert wird.
Sam Riffer hat diese Anmerkungen höchstpersönlich verfasst und gewährt einen kleinen Einblick in die Arbeitsweise der Band in den jeweiligen Evolutionsstufen. Damit werden der kompositorische Prozess, die Entstehung und Entwicklung der Songs und das Songwriting sehr schön veranschaulicht und der gewiefte Saitenartist, Tieftöner, Tastenderwisch oder Sangeskünstler kann sich dank der Notenblätter und skizzierten Anmerkungen sogleich an einer Vertonung versuchen.
Insgesamt sind drei Songs von "A New Day Dawning" (2004), jeweils zwei Songs von Kaleidoscope (2006) und Far From The Sun (2008), ein Song von Different Realities (2009) und schließlich jeweils drei Songs vom Neustart "Pioneers" (2014) und dem letzten Album A Dream Of Lasting Peace (2017) vertreten.
Ergänzt wird das Ganze mit schönen, weil atmosphärischen und einen gewissen (freien/freigeistigen) Spirit verströmenden Bandfotos, welche die jeweiligen Songs in ihrer Zeit begleiten. Dabei wird auch optisch wunderbar gewahr, wie konsequent diese Enthusiasten in ihrer Zeitkapsel bis heute unterwegs sind … gekrönt durch ein triumphales Bild in der Mercedes Benz Arena Berlin (13.06.2017), wo an anderer Stelle nachzulesen ist, dass Deep Purple von ihren schwedischen Anheizern sehr angetan waren.
Epilog
Das wundert den Rezensenten wenig, denn Siena Root haben sich jederzeit als sehr spielstarke Einheit erwiesen, mit einem untrüglichen Gespür für den Geist des bluesigen Heavy Rocks in seiner Entstehungsphase, angereichert mit leicht progressiven und psychedelischen Elementen, gerne als ausgiebige Jams von der Leine gelassen und mittels orientalischer Exkursionen auf eine geradezu transzendentale Ebene gehoben.
Heutzutage sind sie allerdings deutlich geerdeter, damit aber auch leider austauschbarer geworden.
Dieses feine 55seitige Heft im DIN A4 Format darf dagegen sehr gerne gegen einen gewissen Obolus eingetauscht werden, ist es doch ein liebevolles Zeitdokument einer fleischgewordenen musikalischen Zeitmaschine mit eigener Duftmarke, die hoffentlich in Zukunft wieder an Intensität gewinnt.
Seitenzahl: 55
Fotos: 17 (2 Sepie, 4 schwarzweiß, 11 farbig)
Transkriptionen: 14
Erscheinungsjahr: 2019
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