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Railroad / Narration – Digital-Review

Railroad / Narration

In den Siebzigern erlebte ich meine Jugendzeit. Wir hingen viel auf der Straße oder am Baggersee herum, beackerten die Bolzplätze und fieberten am Samstag im Stadion mit unserem Verein. Golden Earrings "Radar Love" war eine Hymne und die Songs von Status Quo begleiteten uns auf dem Weg zum Erwachsenwerden. All das ist lange her und viele Erzählungen ranken sich um diese Zeit.

Erzählungen bieten uns auch die drei Jungs von Railroad, so haben sie schließlich ihr fünftes Album getauft: "Narration". Und die erwecken viele Erinnerungen an die geschilderte gute, alte Zeit, denn Railroad zelebrieren eine bodenständige, auf die große Zeit des Rock’n’Roll abzielende Musik und weniger die Suche nach neuen Wegen. Vielmehr hört man eher so etwas wie eine enthusiastische Liebeserklärung an die Wurzeln unserer Kultur heraus. Wenn der Railroad-Boogie ins Rollen kommt, dann dampft die gut geölte Maschine und der Eisenbahn-erprobte Rezensent steigt gerne ein.

Von der ersten Sekunde an bestimmt stampfend treibender Rhythmus die Szenerie. Wilde, repetitive und erdig griffige Riffs wecken selbstredend Assoziationen an die im Vorfeld zitierten Status Quo, das werden auch andere schon so ähnlich empfunden haben. Doch keine Sorge, die Musik klingt nicht angestaubt und zitierend, sondern bringt mit ihrem positiven Duktus sowie der frischen und im Studio live ausgelebten Spielfreude aller Protagonisten neben einem wohlig nostalgischen Grundgefühl eben auch einen coolen und energetischen Drive, der sogleich unsere motorischen Ausdrucksmöglichkeiten inspiriert. Wir folgen dem Boogie auf den Spuren des Schienenstrangs, variierend im Tempo, aber meist bei voller Fahrt, die 'heilige Muttergottes von der gesegneten Beschleunigung' ist mit uns.

In den ersten Nummern köchelt das Trio ein besonders teamorientiertes, dichtes Gebräu mit einem eindeutigen Schwerpunkt auf Kompaktheit und ausgeprägter Rhythmusarbeit. Je weiter wir uns auf "Narration" fortbewegen, desto mehr kristallisieren sich die Soli des Sechsaiters immer prägnanter heraus, erstmals sehr schön melodiös im Thema bleibend und mit angenehmer Zurückhaltung in "Perfect Day".

Einen spannenden und überraschenden Auftakt vermittelt das Eingangsriff in "Walking Arround", zitiert es doch irgendwie die eröffnende Sequenz von U2s "I Will Follow" aus ihrer punkigsten Phase, wird aber sogleich wieder vom Boogie überrollt. Der Song überrascht auch mit einer effektvollen Temporeduzierung und bietet der Gitarre einen schönen Teppich für eine stimmige Einlage. Es folgt mit "This Time" eine intensive Nummer voller elektrisierender Energie, die von der Spannung zwischen einem hier recht schrillen Gesang, den düster schweren Riffs und einer effektvoll verzerrten Gitarre lebt. Jetzt löst sich die Musik immer ausdrücklicher von den eher konzepttreuen ersten Songs, den klassischen Einheizern. Ein Spannungsbogen, der ganz massiv an ein Live-Konzert erinnert. "No Second Chance" mit einem ausdrücklichen Break und einem herrlich verspielten Jam mit viel Spielraum, bei dem sogar vereinzelte Orgeltöne im Hintergrund hochkochen (der Erzeuger derselben ist auf dem Plattencover nicht auszumachen), kulminiert zu einem wahren Höhepunkt, vielleicht mein Lieblingssong auf dem Album? Eine feine Nummer für die Bühne allemal, da kann man das Ganze noch ein wenig weiter ausreizen.

Das stark basslastige "Narration Of Separation" lebt von seiner düsteren Intensität und leitet in das coole "Punked Up Barbie" über. Irgendwie erinnert mich diese Nummer an den legendären Siebzigerjahre-Hit "Ca Plane Pour Moi" von Plastic Bertrand, der damals in 45 Umdrehungen pro Minute ausgesprochen häufig meinen Plattenteller bewegte. Der Übergang von Boogie zu Punk kann sich recht organisch entwickeln – ist mir bislang noch nie so bewusst geworden.
Aber die Spur der Schiene führt zurück zu klassischem R’n’R und präsentiert uns die aggressiv abrockende "Rock’n’Roll Queen" mit fast schon heavy klingenden Riffs und einem sehr in sich selbst verharrenden Solo. Auf jeden Fall auch ein heißer Anspieltipp, der mächtig Dampf macht.

»We gonna have some fun« ist der Hauptrefrain im stilprägenden Rausschmeißer "Railroad Boogie"; eine These, die man 44:12 Minuten lang spürt, denn Railroad vermitteln uns mit ihrer leidenschaftlichen Darbietung ein Zeugnis ihres Enthusiasmus und ein wenig von der überschäumenden Lebensfreude, die uns schon George Thorogood so viele Jahre um die Ohren haut. Good vibrations und auf die Fresse, das passt und reißt mit. Ach ja, wie ich hörte war die Band zuletzt mit Dan Baird auf Tour, eine nachvollziehbare und genetisch passende Symbiose. Der Railroad-Boogie ist geschaffen für die Bühnen unseres Vertrauens, diese Musik dürstet danach, live gespielt und konsumiert zu werden. Aber wem ein Konzert der drei Hamburger, die nicht mehr alle in Hamburg wohnen, aktuell verwehrt bleiben sollte, darf sich dennoch freuen. "Narration" klingt fast wie ein Live-Konzert, versprüht jede Menge Energie und nimmt uns gerne mit auf die Schiene, der Spur des Boogie zu folgen. Da freut sich nicht nur der Eisenbahner.


Line-up Railroad:

Arne Dieckmann (guitar, vocals)
Steffen Grund (bass)
Chris Hanson (drums)

Tracklist "Narration":

  1. The Night After It’s Been Said
  2. Perfect Day
  3. Rock With Me
  4. Walking Around
  5. This Time
  6. No Second Chance
  7. Narration Of Separation
  8. Punked Up Barbie
  9. Rock’n’Roll Queen
  10. Railroad Boogie

Gesamtspielzeit: 44:12, Erscheinungsjahr: 2019

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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