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Phonoskope / Egonaut – CD-Review

Phonoskope / Egonaut

Neuentdeckungen sind das Salz in der Suppe, auch und gerade in der Musik. Die Vielfältigkeit des Marktes scheint unerschöpflich und die Prominenz der Protagonisten ist beileibe kein Maßstab für Qualität. Im Underground brodelt es und sprießt. Der Weg führt dieses Mal nach Frankfurt und Offenbach, wo ich schon früher sehr erfreuliche Beute gemacht habe. Nimmt man Aschaffenburg und Darmstadt hinzu, erschließt sich ein Spektrum zwischen Alternative Rock, Post Rock, Stoner, Prog Rock und in hiesigem Fall auch ein wenig Grunge zu einer veritablen Szene.

Phonoskope haben im Beipackzettel ihre musikalische Ausrichtung beschrieben, und sie tun das mit viel Gefühl und Sachverstand, ohne reißerisches Werbegetrommel. Da werde ich mich vorsehen müssen, nicht der Gefahr zu erliegen, am Ende nur die Thesen der Band wiederzugeben. So oder so, im alten Psycho-Spiel der Selbsterkennung – Fremderkennung  liegen die Jungs von Phonoskope bei mir weit vorn, ich finde da erstaunlich viele Übereinstimmungen.
Mal sehen, ob ich also noch ein paar neue Aspekte herausfinden kann.

Die Band gibt es seit 2012, "Egonaut" ist ihre zweite EP und sie haben mächtig zugelegt in Sachen Songwriting und Durchgängigkeit des Gesamtkonzepts, da gibt es eine Eins Plus in der B-Note für den künstlerischen Ausdruck.
Basierend auf einer stimmigen Mischung aus Post Rock und neunziger Jahre befruchteten Tönen, um den strapazierten Begriff des Grunge erst einmal zu vermeiden, findet die Band eine oft wunderschön mäandernde, mit feinen Gitarren und einer immer leicht melancholischen Grundstimmung angereicherte Mixtur, die in charismatisch sehnsüchtigem Gesang ganz besonders ausdrücklich zur Geltung kommt. Dabei gelingt es immer wieder, sehr eingängige und doch raffinierte Melodien zu kreieren, gelegentlich aber auch befeuert von krachenden, wenngleich stilistisch trefflich integrierten Riffs. Ein bisschen Stoner sprechen sie sich ja auch selbst zu.

Die EP ist übrigens per Crowdfunding finanziert worden und ich bin sehr froh, dass den Fans der Band die Qualität des Produktes eine Investition wert war. Hätte ich davon gewusst, ich hätte auch mitgemacht.
"Dead Giveaway" schwenkt zu Beginn ein in schöne Hooklines, die ein wenig an die New Wave-Zeit in den Achtzigern andockt und die Melancholie im Zusammenspiel mit dem Gesang lässt eine prägnante Eigenschaft des Albums herauswachsen. Das alles erfolgt aber nicht ohne teils heftige Breaks mit emotionalen Ausbrüchen, die ein vertrauliches Dahindriften verhindern. Denn tiefe Emotionen bilden das thematische Konzept des gesamten Albums, dazu komme ich noch.

Das wuchtige "Egonaut’s Wake" mit leicht punkiger Eröffnung gipfelt im herrlich hymnischen Refrain, den die Fans in ganz großen Hallen euphorisch mitgegrölt hätten – wenn einst im Madison Square Garden  die 'richtige' Band mit diesem Song zur dritten Zugabe gebeten hätte. Diese Nummer ist wahrlich eine Referenz an die Zeit, als die Rockwelt irgendwie nur noch aus Seattle zu stammen schien und hier geht wirklich die Post ab – absolut mitreißend!

"Adamant", kompakt und felsenfest, wie es der Titel vermuten lässt, beängstigt geradezu mit seiner zerstörerischen Vision vor einem düster treibenden, reflektiert zurückgenommenen Saitenspiel, die Intensität ist jetzt extrem hoch. Toller Alternative Rock, der mir schmerzlich und wiederholt die kunstvolle Melodik von Been Obscene nahebringt.

Mit der "Lonesome Road", welch Wunder bei dem Titel, bekommen wir sozusagen die balladenhafte Version des seelischen Zwists unseres Protagonisten geboten, die wirklich herausragende Lyrik bietet auch hier tiefe Einblicke in das Seelenleben eines Menschen, der innerlich zerrissen mit sich selbst kämpft. Ein Gänsehauterlebnis zwischen sanften, postrockigen Drifts und tollen Texten. Geil und wunderschön traurig.

Dann schlagen Phonoskope das letzte Kapitel der 'Reise Ins Ich' auf und kommen mit dem Titel "Succumber" zu Beginn des Songs daher, als sollten wir uns an U2s "40" erinnern, aber schon bald ziehen uns klare Breaks heraus aus diesem Flow, kulminieren kurz und schmerzlos und führen plötzlich ins Nichts, so als wollte man das Ende offen lassen. Wie in einem guten Film. Der Egotrip, bei dem man zum Schluss sich selbst ergibt, um vielleicht Erleuchtung zu finden. Oder den Abgrund.
Zu "Succumber" musste ich erst einmal den Translator bemühen, eine inhaltlich treffende Übersetzung würde passend zum Kontext wohl in etwa bedeuten, sich einer stärkeren (und vielleicht tödlichen) Kraft auszuliefern und hinzugeben.

Manchmal lohnt es sich wirklich, in der Rockmusik die Texte aufmerksam zu lesen, die sind bei Phonoskope außergewöhnlich lyrisch, tief und verstörend. Der 'Egonaut' ist dem Namen nach ein Reisender, der nicht in die Sterne aufbricht wie sein Astro-Kollege, sondern in die Tiefen seiner selbst. Das passt zum düsteren Grunge und vor allem passt es in das durchaus progressive und durchgängige Konzept dieses Albums. Über einen Zyklus von fünf Songs gewinnen wir Einblick in ein zutiefst verletztes Inneres – ich denke es geht um eine schwierige Beziehung, oder man nimmt dies als Metapher auf eine andere Lebenserfahrung. Alles ist denkbar.
Zu Beginn artikuliert sich Wut und Verzweiflung und der Ruf in "Dead Giveaway" lautet denn auch »away«, weg, nur noch weg. Angst und der Zustand verloren zu sein, wer hat das noch nicht erlebt?

Wir folgen einem Geist, der in seinen Vorwürfen vor sich selbst nicht Halt macht, die melancholischen Gefühlsschilderungen tun weh, sind oftmals schwer zu ertragen. Doch dann erinnere ich mich spontan und auf dem Höhepunkt der dargestellten Verzweiflung in "Lonesome Road", wie Eddie Vedder mit Pearl Jam einst symbolisch in seinem Song "In My Tree" aus diesem schwer lastigen, emotionalen Sumpf herausgestiegen ist. Damit er nicht endet wie Kurt.

Unser Album nimmt allerdings eine andere Wendung, der 'Ergonaut' nimmt das Risiko der Beziehung: »Ich weiß, Du bringst Schmerz, ich weiß, Du bringst Bitterkeit, doch ich bin Dir verfallen. Liebe und Hass.«
So endet das Album.
Bewegende Seelenzustände, die die emotionale Musik noch einmal in eine höhere Sphäre heben. Erstaunlich, dass eine solche Band nicht längst auch jenseits des Rhein-Main-Raums entdeckt worden ist.

Das Album hält auf großartige Weise den eingeschlagenen Stimmungspegel, ein Konzept, dass von Anfang bis Ende passt. In jeder Note, in jeder Zeile. Die Musik gönnt sich Zitate aus verschiedenen Epochen, verbleibt jedoch immer bei sich selbst. Und der Gesang allein ist eine Offenbarung. Bewegend, intensiv und perfekt für die Grundstimmung von "Egonaut". Diese Musik dringt tiefer ins Bewusstsein, als man zunächst glauben mag.
Ob ich sie empfehlen kann? Zwei fette Daumen hoch, mehr habe ich ja nicht!


Line-up Phonoskope:

Dennis Günther (guitar, backing vocals)
Patrick Bellinetti (drums)
Daniel Wohlgemut (vocals, guitar)
Marcus Egi (bass)
Florian Gebhardt (guitar)

Tracklist "Egonaut":

  1. Dead Giveaway
  2. Egonaut’s Wake
  3. Adamant
  4. Lonesome Road
  5. Succumber

Gesamtspielzeit: 23:42, Erscheinungsjahr: 2019

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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