
50 Jahre Woodstock beschäftigen uns in diesen Tagen an allen Ecken und Enden, auch hier bei RockTimes wurde das Thema mehrfach aufgegriffen. Wen wundert es, wenn da legendäre Teilnehmer der damaligen Originalveranstaltung auch gerne daran erinnern. Leo Lyons ist einer von ihnen. Er bearbeitete den Bass neben dem einzigartigen Alvin Lee, mit dem er schon 1960 aus seiner Heimat einst aufbrach, »um im großen London Glück und Ruhm zu finden« (O-Ton Leo auf dem Album). Spätestens mit dem Woodstock-Auftritt wurde diese Mission erfüllt, Ten Years After waren in aller Munde und Alvin galt zu der Zeit als der wohl schnellste Gitarrist der Welt. Dabei verdankte es die Band den mitlaufenden Kameras bei "I’m Going Home", dass es die Newcomer mit in den Film schafften.
Obwohl der Gig allerlei Fallen bereit hielt. Durch die veränderte Luftfeuchtigkeit brach die Combo ihr "Good Morning Little Schoolgirl" nach einer Minute ab, um die Gitarren neu zu stimmen. Und das Schlagzeugsolo "Hobbit" soll ebenfalls wegen technischer Probleme kurzfristig eingestreut worden sein, so kann man es nachlesen. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass eine der drei Kameras während der Aufzeichnung den Geist aufgab. Manchmal erwachsen gerade aus Pleiten, Pech und Pannen die wahren Legenden.
Das alles liegt wie gesagt 50 Jahre zurück und bildet doch den Motor für das hier vorliegende neue Album von Hundred Seventy Split. Leo Lyons und Joe Gooch, die schon in den Jahren nach dem Ausstieg von Alvin Lee bei Ten Years After gemeinsam gespielt hatten, gründeten den 10070Split in 2010, um zum einen eigene Ziele zu verfolgen, vor allem aber auch nach dem Tod von Alvin Lee dessen Erbe weiter zu tragen in die moderne Zeit der Rockmusik. Was könnte da näher liegen als ein Album aufzunehmen, auf dem das Material von damals neu eingespielt wird. Ja, und abgesehen vom bereits erwähnten "Hobbit" werden alle Songs geboten, die Ten Years After damals gespielt haben und die natürlich nicht alle ihrer eigenen Feder entstammten, wie zum Beispiel die Willie Dixon-Nummern "Spoonful" und "Help Me". Drei weitere TYA-Songs ergänzen das Konzert, das in diesem Jahr im Verlauf der März-Tour mitgeschnitten wurde und auf der CD-Version finden sich zum Schluss zwei Bonus-Nummern von Hundred Seventy Split, die Leo seinen Anfängen widmet – damals, als er mit Alvin die Welt eroberte, aus den Wäldern von Nottinghamshire bis in den Schlamm von Woodstock.
Über die Songs muss man wahrlich nicht viele Worte verlieren, wir sprechen hier beim Original über eines der legendärsten Konzerte in der Geschichte unserer Kultur. Umso mehr lohnt der Blick auf die Umsetzung einer neuen Generation, denn Joe Gooch und Damon Sawyer waren zurzeit des Woodstock-Festivals noch gar nicht geboren. Beide aber haben tiefe musikalische Wurzeln bis in die frühe Kindheit zurück, wo beide stark von Blues und Jazz und im Fall von Joe wohl auch durch seine Eltern beeinflusst wurden. Während Damon später eine Schlagzeugschule gründete und mit vielen Bluesmusikern unterwegs war, entdeckte Joe in seiner Jugend schon die Klassiker um Jimi Hendrix, seine klassische Gitarrenausbildung sollte ihm künftig bei den technisch höchst anspruchsvollen Visionen zunutze kommen. Und das hört man raus.
Leo hatte eine gute Hand bei der Besetzung seiner Band, ganz ohne Zweifel. Doch Moment, es sollte vielleicht mal erwähnt werden, dass der Mann selbst bereits 75 Jahre alt ist. Faszinierend, welche Bühnenpräsenz und Kernigkeit er noch immer an den Tag legt, er lässt es krachen wie in alten Tagen. Und beflügelt von ihrem berühmten Bandleader, liefern Damon und Joe eine grandiose Performance ab, die den historischen Vorbildern mehr als gerecht wird. Die Versionen der Klassiker haben dabei ihren eigenen Duktus. Joe phrasiert ganz anders als Alvin, dessen Licks auf mich wie ein leicht anarchischer Wirbelsturm wirkten und der mit dieser überschäumend wüsten Fahrt die Fans um ihren Verstand brachte. Alvin war eben völlig außergewöhnlich – aber Joe ist dies auch. Er legt sein Spiel ein wenig geordneter und präziser an, aber auch er ist verteufelt schnell mit den Fingern. Das hat in den ekstatischen Momenten durchaus einen leichten Jazz-Einschlag, wenn Joe sein Solo gezielt und stets unter Kontrolle zum Höhepunkt führt. Sehr schön lässt sich diese stimmungsvolle Achterbahnfahrt in "I Can’t Keep From Crying, Sometimes" feststellen, dem Song, den auch Gov’t Mule bei deren Woodstock-Konzert im Rahmen des diesjährigen Mountain Jam-Festivals gespielt haben, wo aus der relaxt fließenden Grundstimmung des Stückes ein Solo voller Wucht und Eleganz herauswächst. Etwas, das sich natürlich im Ober-Song "I’m Going Home" noch einmal wiederholt, selbstverständlich auch hier wieder mit Elvis-Einspielungen von "Blue Suede Shoes". Später in den Zugaben erklingt zwischenzeitlich auch ein Zitat auf Jimi Hendrix, nämlich das Intro zu "Purple Haze".
Ganz besonders in den beiden genannten langen Nummern schlägt Leo die vier Saiten seines Lebens mit ungeheurer Energie und einer mitreißenden Dynamik. Damon treibt hinter der Schießbude angenehm und ohne in den Vordergrund zu streben seine Frontleute an und das kraftvoll saubere Gitarrenspiel reißt ein ums andere mal aus dem Sessel. Wie muss das erst live abgegangen sein.
Beobachten kann man das, die Band wird noch häufiger in diesem Jahr auf deutschen Bühnen ihre Visitenkarte abgeben, zum Glück auch in erreichbarer Nähe zu meiner Behausung.
Hundred Seventy Split schaffen mit ihrem neuen Live-Album einen großartigen Spagat zwischen Historischem und höchst aktueller Musik. Das liegt eben nicht nur an den berühmten Vorlagen und der Legende Leo Lyons, sondern vor allem an der herausragenden Qualität aller Beteiligten, die sich wirklich die Seele aus dem Leib spielen. Wer im Spannungsfeld zwischen Blues Rock und Hard Rock zuhause ist, der sollte sich die Gelegenheit dieses 'Woodstock-Konzertes' wirklich nicht entgehen lassen. In diesem musikalischen Segment dürften Leo und seine Jungs momentan ziemlich beste Akteure sein.
Und "I’m Going Home" noch einmal live auf der Bühne erleben zu dürfen, ist wahrlich Anreiz genug, sich eine CD und am besten gleich auch noch Ticket zu sichern.
Line-up Hundred Seventy Split:
Leo Lyons (bass)
Joe Gooch (guitar, vocals)
Damon Sawyer (drums)
Tracklist "Live Woodstock 69":
- Love Like A Man
- Spoonful
- Fifty Thousand Miles Beneath My Brain
- I’d Love To Change The World
- Help Me Baby
- Good Morning Little Schoolgirl
- I Can’t Keep From Crying, Sometimes
- I’m Going Home
- The Smoke
- Do You Wish You Where At Woodstock
Gesamtspielzeit: 68:08, Erscheinungsjahr: 2019
1 Kommentar
luky
20. August 2019 um 18:21 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hundred Seventy Split liefert mit Live Woodstock 69 ein ultracooles Album ab. Leo Lyons und Friends spielen einfach unglaublich. Dies ist eine Wletklasseband in Sachen 1 A mal Milliarden Bluesrock. Wow! L.S.