Üblicherweise lass ich mich gerne unvorbereitet von der Chefin bemustern und freue mich auf das, was sie für mich angesichts meines ihr bekannten Geschmacks aussucht. Wishbone Ash sind da eine Ausnahme, ich hab mich frühzeitig und hoffentlich nicht zum Argwohn anderer Redakteure für diese angekündigte Platte angemeldet. Die wollte ich unbedingt besprechen, obwohl ich im Gegensatz zu den meisten Rockpalast-Veröffentlichungen dieses Konzert noch nie gesehen hatte.
Aber ich liebe Wishbone Ash, zumindest das, was sie in den seligen Siebzigern fabriziert haben. Fast hätte ich vor ein paar Wochen die aktuell immer noch auf Tour befindliche Truppe live bei uns am Stadion auf der so genannten Beach Party gesehen, das Ticket schlummert noch in meinem Schreibtisch. Die Beach Party hat in Duisburg Wedau, meiner Wiege, eine lange Tradition. Schon in den späten Siebzigern spielten Earth Wind And Fire bei uns am Baggersee, jawohl, Ruhrpott kann auch Strandfeeling vermitteln!
Ich kann nicht beurteilen, wie weit man die heutige Bandbesetzung mit der Musik von damals überein bringen kann, denn außer Andy Powell ist keiner übrig geblieben und das Ergebnis blieb mir wegen zwielichtiger Wetterprognose und einem familiären Zwischenfall verwehrt. Im Netz klang das richtig gut, aber völlig anders als damals, als der Rockpalast 1976 zu einem seiner ersten Fernsehkonzerte einlud. Die Rocknächte waren noch nicht erfunden und ein neues Projekt versuchte erst einmal, auf dem Markt Fuß zu fassen.
Dass man Wishbone Ash einerseits als eine progressive Band bezeichnen kann, zeigt nicht allein unsere Vorschau auf diese Platte, es ist ein Standard in der Einschätzung ihrer Musik. Dass da aber auch etwas anderes sein muss, zeigt auch das frühe Interesse des Rockpalasts, der abgesehen von Peter Gabriel kaum Interesse an dieser Sparte der Rockmusik entwickelte. Und so kann man Wishbone Ash wohl als die grandioseste Verbindung zwischen progressivem Rock und Jam Rock sehen – stark und sehr erfolgreich befeuert von einem herrlichen Gefühl für geilen Blues Rock. In jungen Jahren hab ich mich nie gefragt, warum ich was gut fand. Es war, wie es war. Heute verstehe ich meine Vorliebe von Vorgestern. Wenn leicht westcoastartige Gitarren flirren und schwirren und aus durchaus künstlerischen Songstrukturen ausgeprägte Ströme und Improvisationen entwickeln, dann hat mich das schon als Junge verrückt gemacht. So gesehen könnte man Wishbone Ash in ihrer wichtigsten Schaffensphase sehr wohl als eine stilprägende Ikone einschätzen. Den vermeintlichen Ruhm einer solchen Einschätzung haben sie leider aber niemals eingenommen, erfolgreiche Charts-Platzierungen in den Siebzigern sind ihr Aushängeschild. Vielleicht hätte den Jungs, die (fast) von Beginn an in Englands Metropole London ihr kreatives Zentrum ansiedelten, mit aller Berechtigung einen höheren Rang in der Geschichte der Rockmusik einnehmen müssen, denn ihr Stil war authentisch und einzig, ihre musikalische Qualität über alle Zweifel erhaben.
Was habe ich kürzlich gelesen, ein äußerst erfolgreiches Printmedium hat sie 1995 als Softrocker charakterisiert. Wenn es eins in der Geschichte der Rockmusik nicht gibt, dann ist es Gerechtigkeit.
Viele Worte zur Einstimmung in eine Musik, die mich eben sehr berührt. Als Wishbone Ash 1976 in Köln für das Rockpalast-Konzert anrückten, hatten sie seit zwei Jahren einen neuen, zweiten Gitarristen an Bord, nämlich Laurie Wisefield, der erstmals auf dem zurückliegenden Album "There’s A Rub" in Erscheinung trat.
Wer das prägnanteste Merkmal von Wishbone Ash kennt, der weiß, dass darin ein Problempotential stecken konnte. Wishbone Ash gelten als Erfinder der Dual Lead Guitar oder dem Twin Guitar-Sound, einst entstanden aus dem Fakt, dass mit Ted Turner und Andy Powell zwei derart geeignete Gitarristen sich bewarben, dass man schlichtweg keine Wahl treffen mochte. Man nahm sie alle beide. Als nun Ted Turner nicht mehr dabei war, fand man in Laurie einen perfekten Ersatz, denn er war aus seiner Hausband ebenfalls gewohnt, mit zwei gleichberechtigten Gitarristen zu agieren und er traf den Nerv der Wishbone Ash auf den Punkt. Zwischen dem gefeierten Argus und "There’s The Rub" gibt es keinerlei Qualitätsbruch.
Vorweg zwei Fakten zum Konzert im Rockpalast. Das große Plus: "Persephone" steht in der Setlist. Damals, auf dem überragenden und in der Hitliste der besten Live-Alben aller Zeiten sehr weit oben rangierten "Live Dates", war der Song noch nicht ersonnen, hier kriegen wir ihn mit aller Macht der zwei ’singenden' Gitarren. Langsam entwachsen aus romantischen Grundthemen, dann immer mehr eskalierend, gespeist aus den Wurzeln des Blues und der alles überragenden Improvisation. Andy Powell macht ein Liebeslied am Ende zu einem mitreißenden Jam. Genau das war die Qualität der Band. Die Kehrseite: Es fehlt "Phoenix", der legendäre Longplayer, der mich einst auf die Spur der Band gebracht hat.
Im Vergleich zu eben jener legendären Liveplatte kommen die Songs im Rockpalast, vielleicht dem Veranstalter geschuldet, ein bisschen kompakter und aggressiver rüber. Die epischen "The King Will Come" und "Warrior" entbehren nicht ihrer thematischen Dramatik. Sie werden so dargeboten, wie es in der frühen Phase der Stücke um Mythen, Dramen und religiöse Themen entspricht. Gerade "Warrior" reißt mich in seiner Interpretation brutal mit.
Das heißt aber nicht, dass die Lieder in irgendeiner Weise dessen entbehren, wofür Wishbone Ash immer berühmt war: Eine geniale Melodik und ein geiles Gefühl für musikalisch stimmige Kompositionen. Egal, ob gradlinig bluesig orientiert oder mäandernd progressiv umher schweifend, sie waren immer im Plan und haben ihre Visionen für uns alle offen und einfach zugänglich gemacht. Progressiv muss nicht kompliziert bedeuten. Und es braucht nicht zwingend epische Keyboardtöne.
Für den Gesang steht in erster Linie Bassist und Gründungsmitglied Martin Turner, der übrigens mit dem früheren Gitarristen Ted Turner nicht verwandt ist. Andy und Laurie leisten aber als Co-Vocalists erstklassige Arbeit und die Abstimmung in der Band ist absolut perfekt. Steve Upton treibt vom Schlagzeug eine kleine, aber hoch elektrisierte Combo zu einem leidenschaftlichen Konzert. Wer es auf den CDs nicht eh schon herausgehört hat, der wird mit Begeisterung feststellen, wie enthusiastisch die vier Jungs aus dem Osten Londons auf der Bühne agieren. Spaß ist das Obermotto, das lässt sich nicht verbergen. Spannend auch, wie die damals sehr scheue deutsche Kulturgemeinde extrem lange braucht und ausdrücklicher Aufforderungen bedarf, um endlich aus sich raus zu gehen.
Wir schreiben das Jahr 1976, ich erinnere mich an die skurrile Szene, als Hans Rosental in "Dalli Dalli", einer donnerstags ausgestrahlten Gameshow, einen Studiokandidaten belehrte, weil dieser im Fernsehen in die Kamera gewinkt hatte. Wie sagte Kalkofe 30 Jahre später in einer Seventies-Show: »Alter, winken geht nicht, damals hat man sich im Fernsehen noch gar nicht bewegt.« Ein bisschen trifft das auf klassisches Rockpalast-Publikum auch zu.
Am Ende hat die Band sie trotzdem bei den Eiern gehabt und dann haben sie nicht mehr aufgehört, nach Zugabe zu brüllen. Yeah, genau das ist Rock’n’Roll. Wenn Du gut bist, kriegst Du sie alle. Bei mir hatten Wishbone Ash da weniger Arbeit, ich bin ihnen seit frühen Jahren verfallen.
Oh, und wenn jemand den dezenten Blues-Charakter der Band während des Hauptkonzerts vermisst haben sollte, dann verweise ich mit großer Freude auf die Zugabe. "Bad Weather Blues" und das klassisch hinreißende "Jail Bait", da fliegt der Blues Rock mit perfekten Hooks und einem ungeheuer treffsicheren Gespür für rhythmische Verbiegungen und dennoch melodiöse Licks. Schon der letzte Song des regulären Sets, "Blowin' Free", hatte erhebliches Potential, die Blues Rock-Fraktion zu befriedigen. Wishbone Ash war immer eine Band, bei der man niemals über das Niveau sprechen musste. Da passte alles. Ach ja, und wer bei dem Begriff des Progressiven ein wenig Unbehagen empfindet, dem mag ich versichern: Den größte Anteil am Progressive Rock hat die für den Rockpalast eher untypische psychedelische Beleuchtung, die mich massiv an ganz frühe Genesis-Touren erinnert, etwa in der Zeit, als sie "Foxtrott" spielten. Die Musik selbst groovt auf einem anderen, astralen Pfad und wer die Achse des Guten verfolgt, die ich in etwa in "Warrior", "Persephone" und "Jail Bait" empfinde, der wird die charismatisch melodische, aber stets energetisch aufgeladene Power einer ausgelassen drauf los spielenden Top-Band der glorreichen Siebziger erleben. Mich hat dieses Konzert, das ich bis dahin noch nie gesehen hatte, massiv daran erinnert, warum ich diese Band damals als junger Mann so sehr geliebt habe, ich werde demnächst mal ein paar alte Platten aus meinen Beständen ausgraben.
In diesem Zusammenhang möchte ich eine These in den Raum stellen, die ich so in dieser Form noch nirgendwo vernommen habe, die ich aber nicht für übermäßig gewagt halte: Wer einst die Grateful Dead und Jerry Garcia als Inspiration für Mark Knopfler und seine Dire Straits auserkoren hat (haben einige und sicher nicht zu unrecht), der möge doch gelegentlich mal das Gitarrenspiel von Andy Powell ein wenig näher unter die Lupe nehmen. Ehrlich, für mich sind Dire Straits so etwas wie die logische Entwicklung aus dem, was Wishbone Ash in den frühen Siebzigern gemacht haben. Und auch die Dire Straits hatten diverse progressive Elemente, anfangs ebenfalls ohne Keyboards. Aber das muss man ja nicht so sehen.
"Wishbone Ash Live im Rockpalast" ist ein Statement für den Zeitgeist von damals und zeigt eine überragende Truppe, die wie viele andere nie den verdienten Lohn wirklich abgesahnt hat. Als Zeitdokument ist das Konzert unersetzlich und mir schenkt diese Scheibe den ersten visuellen Kontakt mit einer Band, die meine Jugend sehr bereichert hat.
Line-up Wishbone Ash:
Andy Powell (guitar, vocals)
Laurie Wisefield (guitar, vocals)
Martin Turner (bass, lead vocals)
Steve Upton (drums)
Tracklist "Live At Rockpalast 1976":
CD 1:
- Runaway
- The King Will Come
- The Warrior
- Lorelei
- You Rescue Me
- Persephone
- Outward Bound
CD 2:
- Mother Of Pearl
- It Started In Heaven
- Time Was
- Blowin' Free
- Bad Weather Blues
- Jail Bait
Die Tracklist der DVD ist identisch mit CD 1 & 2
Gesamtspielzeit: 43:57 (CD 1), 47:31 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2019 (1976)
9 Kommentare
Zum Kommentar-Formular springen ↓
Martin Becker
17. September 2020 um 1:27 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Ich habe Wishbone Ash am Samstag, 4.12.1976 in der Eberthalle, Ludwigshafen gesehen. Und ich kann Manni nur zustimmen !!!
Übrigens war ich ab 1974 auf mehreren WA-Konzerten in den 70ern. Alle waren klasse.
Manni
26. September 2020 um 18:38 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hallo Martin,
Das war dann zwei Tage nach dem Auftritt in Saarbrücken…
An die Eberthalle hab ich gute Erinnerungen wegen der ungewöhnlichen Konstruktion , der Patti Smith Band als Vorgruppe und vor allem wegen den "Vorkommnissen" meiner Entourage beim Blue Öyster Cult Konzert am 15. Mai 1978. 🙂
Ulli, warst du da nicht auch dabei? Am Ende landeten wir (wie so oft) im "Sunset".
Ulli Heiser
26. September 2020 um 18:54 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Bei BÖC? Jau, da war ich dabei. Aber ich erinnere mich nicht mehr, wer gefahren ist. Aber sicher möchte ich heute nicht mehr in diesem Auto sitzen. Das heißt, im Auto schon, das wäre ja mittlerweile ein Oldtimer. Aber diese DUI’s damals … 🙂
Manni
26. September 2020 um 19:12 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Ich weiß auch nicht mehr, wer gefahren ist. Wir waren ja in zwei Fahrzeugen unterwegs (Steve und Ilse waren jedenfalls in einem anderen als ich). Am Lenkrad saß ich jedenfalls nicht, aber nebendran und hab mich öfter mal panisch an den Griffen festhalten müssen. Der Alk war aber weniger das Problem bei dem ganzen Unternehmen 🙂
War zeitweise ähnlich chaotisch wie die Fahrt im Nebel zu und vom Ry Cooder Gig in der Alten Oper in FFM. DER Fahrer ist allerdings bekannt, da erinnerst du dich bestimmt auch: Bruce mit seiner viel zu PS-starken BWM-Granate.
Ulli Heiser
26. September 2020 um 19:38 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Die Fahrt mit Bruce zu fünft im BMW, Ich erinnere mich an dieses 'Abenteuer'. Wir hatten doch in einem Parkhaus am Bahnhof geparkt, war da nicht auch diese Frau mit Überdosis, die da gerade gefunden wurde?
Manni
26. September 2020 um 19:49 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Yep, leider!
Manni
17. August 2019 um 19:43 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Ich hab Wishbone Ash am 2. Dezember ’76 in der Saarlandhalle in Saarbrücken gesehen. Unvergesslicher Wahnsinn einer wahnsinnig geilen Band!
Carlo Luib-Finetti
17. August 2019 um 15:29 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
"ich werde demnächst mal ein paar alte Platten aus meinen Beständen ausgraben"! Hei Michael, da empfehle ich dir zuvörderst ein Besuch eines Konzerts der heutigen Wishbone Ash. Ich habe sie dieses Jahr (endlich!) mal in Berlin gesehen und gehört, und es hat mich und das gesamte Publikum umgehauen. Auch wenn nur noch Andy Powell von der alten Truppe übrig geblieben ist : er hat sich kongeniale Musiker um sich versammelt, die einen nie daran denken lassen, dass dies eine andere Band geworden ist. Die guten alten Stücke – "PHOENIX" inbegriffen- klingen nach wie vor, wie sie sollen. Sowohl am harmonischen Gesang als auch bei den Twin Guitar gibt es nichts, was man aus alten Zeiten vermissen würde.
Michael Breuer
17. August 2019 um 16:36 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hey Carlo, da könnte ich mich fast in den Allerwertesten beißen…
Wäre ich kein Weichei gewesen und hätte unsere Beachparty am Stadion in Duisburg besucht, dann hätte ich die volle Wishbone Ash Dröhnung bekommen. Ich hab mich von der dämlichen Wetterprognose und rheumatischem Scheiß abhalten lassen. War ein Fehler. Im Netz hatte ich eine Version von Phoenix aus 2018 gesehen – Gänsehaut ohne gleichen. Die Alten können es einfach.
Letzten Samstag war ich wegen Monkey3 in der Balver Höhle, aber PP Jane hat uns alle erschlagen. Was Klaus Walz mit seinem jungen Kollegen Niklas Turmann gespielt hat, war purste, geniale Rockmusik und einzigartige Geschichte, da sind mir alle Gäule durchgegangen. Die Version aus Windows und Spain war wie ein Feuerdrachen aus einer längst vergangenen Zeit, das Feuer brennt heute noch.
Unterschätzt die alten Helden nicht, es hat Gründe, warum sie das sind, was sie sind…