Den Sängerkrieg auf der bekannten Wartburg bei Eisenach um 1206 erlebten der Sage nach sechs tugendhafte Männer mit ihrem Gesang. Deren Dichterwettstreit ging als "Krieg zu der Wartburg" bis heute in die Geschichtsbücher ein. Davon singen auch die Musiker von In Extremo in ihrem gleichnamigem Lied und verpacken darin die kultige Textzeile – »Ein In Extremo, der wird niemals knien« – die die Fans bei diesem Stück lauthals mitsingen lässt.
Der 'Sängerkrieg' hat jedoch im thüringischen Ranis seit dem 09.08.2019 eine andere Bedeutung. Der Opener ihres Konzertes im Rahmen der Burgentour leitete jenes Ereignis ein, das in der Kleinstadt zum vergangen Jahreswechsel einen enormen Andrang auf 2000 Eintrittskarten auslöste. Nachdem im November bekannt wurde, dass In Extremo hier erstmals im Rahmen der Burgentour gastieren würden, hieß es schon im Februar: Ausverkauft!
Die Vorfreude war also riesengroß und organisatorisch war am Veranstaltungstag alles im grünen Bereich, sieht man von nicht enden wollenden Schlangen am Ausschank ab, doch sollte deren 'Sängerkrieg' nach etwa zwei Dritteln des Stücks von einem Stromausfall begleitet werden. »Wir spielen noch einmal von vorn« verkündete Sänger Michael Robert Rhein alias Das letzte Einhorn, um gemeinsam mit den Fans feststellen zu müssen, dass beim zweiten Versuch das gleiche Missgeschick haargenau an der gleichen Stelle passieren würde. Was tun? Im dritten Anlauf sollte es klappen und die Show setzte sich bis zum Schluss ohne Probleme fort.
Wie professionell Publikum und Akteure das Malheur wegsteckten und daraufhin gemeinsam feierten, spricht für den unverkrampften Umgang mit der Situation und zeigt zugleich, was sich wie ein roter Faden durch das Konzert zog: Da standen sieben bodenständige und sympathische Musiker auf der Bühne, die nur eines im Sinn hatten – ihr Publikum bestens unterhalten zu wollen.
Das bestand naturgemäß aus vielen Fans, die an jenem Freitag erwartungsfroh aus den umliegenden Landkreisen nach Ranis gekommen waren. Doch es gab auch ein Großteil von Besuchern, die einfach nur den Heimvorteil nutzen wollten, um eine Band kennenzulernen, die 1995 angetreten war, die Menschheit mit einer besonderen Musik zu beglücken. Wobei genau genommen 1995 erst einmal zwei Projekte parallel ins Leben gerufen worden waren: Eine dreiköpfige Gruppe, bestehend aus mittelalterlichen Instrumenten und eine Rockband mit vier Musikern.
Erst 1998 wurden die beiden Formationen verschmolzen und begründeten das, was wir heute als In Extremo kennen. "Weckt die Toten!" (1998) war damit das erste offizielle Album der Mittelalter-Rocker. Daraus waren in Ranis mit "Ai vis lo lop" und "Rotes Haar" zwei Stücke zu hören. Der zweistündige Reigen hielt, einschließlich der vier Zugaben, 22 Titel aus zehn Alben bereit. Ein illustres Best of-Konzert mit einer repräsentativen Mischung an Liedern. Soll es doch bei der Burgentour vor allem darum gehen, länger nicht mehr gespieltes Material aufleben zu lassen. Wer indes glaubt, dass es sich bei den speziellen Auftritten um abgespeckte Konzerte mit verkürzter Dauer oder gar Akustik-Versionen handelt, der liegt völlig falsch. Denn es geht hierbei richtig zur Sache!
In Extremo überzeugten mit einer Spielfreude und kraftvollen Songs, die aus dem Mittelalter-Rock beinahe mehr Mittelalter-Metal werden ließen. Wobei der satte Sound überraschte, wenn man bedenkt, dass mit Sebastian Lange alias Van Lange tatsächlich nur ein Gitarrist auf der Bühne steht. Die Mischung aus Rockband und mittelalterlichen Instrumenten sorgte für einen Groove, der einem als Zuhörer einfach nicht kalt lassen konnte. Die Fans der Band, sofern sie nicht in den vorderen Reihen standen, sorgten mit Tanzeinlagen für Glücksmomente. Besucher, die die Berliner zum ersten Mal live erlebten, kamen aus dem Staunen nicht heraus. Auffallend war die jederzeit ausgelassene, friedliche Stimmung der Zuhörer, die das Konzert zu einem Vergnügen werden ließ, von dem die Raniser in der Vergangenheit nicht einmal zu träumen wagten.
Schon kurz nach ihrer Gründung starteten In Extremo mit zahlreichen nationalen und internationalen Auftritten durch und katapultierten sich somit von Null auf 100 in der Szene. Die breite Fanbasis, die sie sich mit verständlichen deutschen Texten, aber auch mit fremdsprachigen Weisen erspielten, ist die Grundlage dieser enormen Popularität.
Authentizität, Spielfreude und Glaubwürdigkeit machen das Erfolgsrezept der Formation um Sänger und Gründer Michael Robert Rhein aus, der im thüringischen Dingelstädt (Landkreis Eichsfeld) geboren wurde und auf der mittelalterlichen Burganlage sozusagen ein Heimspiel genießen durfte. Doch ist die breite Fanbasis der Wacken-Festival-Stammgäste durchaus ein Phänomen, denn es zieht sich die breite Anhängerschar zugleich durch alle sozialen Schichten und Altersgruppen und erreicht Frauen wie Männer gleichermaßen.
Ein herausragendes Merkmal sind Titel mit Hymnencharakter, die im Konzert besondere Höhepunkte ausmachen ("Frei zu sein", "Sängerkrieg", "Küss mich", "Spielmannsfluch" u.a.).
Zwar lehnte sich bisher niemand aus dem Fenster, um zu sagen, dass Ranis auch in einer folgenden Spielzeit Station in der seit zwölf Jahren laufenden Burgentour sein könnte, allerdings verlangt das rundum gelungene Konzert schon nach einer Neuauflage.
Wenn man sich als Einwohner eben dieser Kleinstadt monatelang der Vorfreude bedient, um schließlich zu erleben, dass alle Beteiligten auf ihre Kosten gekommen sind, dann ist da nicht nur Platz für ein Gänsehauterlebnis. Nein, da darf man sich auch einmal eine Freudenträne verkneifen, nachdem ich die Band das erste Mal seit einer längeren Pause wieder live erleben durfte.
In Extremo? Immer wieder gern! Wie sagte Michael Robert Rhein zum Schluss: »Bis zum nächsten Mal«, so verabschiedete sich der Sänger vom Publikum, ohne dabei konkret zu sagen, ob es sich um Ranis handeln könnte.
Für die Mischung aus Rockmusik und mittelalterlichen Klängen ist die Burg als Kulisse natürlich die ideale Zutat. Wenn dann noch die Vorband musikalisch bestens ins Konzept passt, dann ist es eine runde Sache.
Für diesen Auftritt verpflichtete In Extremo zum dritten Mal seit 2017 das kroatische Quintett Manntra, die am 26.07.2019 mit "Oyka!" ihr erstes Album in englischer Sprache veröffentlichten, nachdem deren drei erste Platten in Landessprache erschienen waren. Die Band mit einer Co-Sängerin am Bass überzeugte das Publikum während ihrer 40-minütigen Show. Die Musiker, die In Extremo freundschaftlich eng verbunden sind, waren mit ihrem Mittelalter-Rock der passende Anheizer und fühlten sich auf der Bühne ebenso wohl wie der anschließend gebührend gefeierte Hauptact.
Unser Dank geht an Olaf Müller von der Erfurter Konzertagentur Appel & Rompf für die Akkreditierung.
Line-up In Extremo:
Michael Robert Rhein alias Das letzte Einhorn (Cyster, Gesang)
Marco Zorzytzky alias Flex Der Biegsame (Dudelsack, Drehleier)
Kay Lutter alias Die Lutter (Bass)
André Strugala alias Dr. Pymonte (Harfe, Pommer)
Boris Pfeiffer alias Yellow Pfeiffer (Dudelsack, Blasinstrumente, Nyckelharpa)
Sebastian Lange alias Van Lange (Gitarre, Gesang, Cyster)
Florian Speckardt alias Specki T.D. (Trommel, Schlagzeug)
Setlist Burgentour In Extremo:
- Sängerkrieg
- Ai vis lo lop
- Vollmond
- Störtebeker
- Gaukler
- Unsichtbar
- Quid pro Quo
- Merseburger Zaubersprüche II
- Lieb Vaterland, magst ruhig sein
- Rasend Herz
- Rotes Haar
- Frei zu sein
- Herr Mannelig
- Feuertaufe
- Zigeunerskat
- Spielmannsfluch
- Himmel und Hölle
- Moonshiner
Zugaben:
- Küss mich
- Liam
- Sternhagelvoll
- Pikse Palve
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