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Ultima Radio / Dusk City – CD-Review

Ultima Radio / Dusk City

Dröhnende Bässe, brachial einschlagende Riffs und exzentrischer Gesang, zerhackt von wüst vertrackten Breaks, so nehmen uns fünf Jungs aus Graz schon in der ersten Nummer, "Your Skin", mit auf die Reise durch das neue Album, "Dusk City". Und es wird schon in den ersten Sequenzen klar: Dies wird eine düstere Fahrt in eine dunkle Stadt, stets am Rande zwischen Sonnenuntergang und Nacht, wo das Tageslicht nie erwacht. Wie heißt es später im Verlauf der Reise: »Shadows appear too dark, the air seems too cold, don’t get afraid now, the night has just begun«. Na dann hinein in die Unterwelt!

Ultima Radio brachten 2015 ihre erste EP und zwei Jahre später das Album "A Thousand Shapes" auf den Markt. Zunächst auf ihrem Debüt stärker behaftet in klassischen Stoner-Gewändern, entdeckten sie früh ihre Vorliebe für die Eroberung der Grenzbereiche, Crossover auf neudeutsch. Heute ist es fast unmöglich, der Band einen Stempel zu verpassen. Da klingen wilde Grunge-Anleihen genauso an, wie man ihnen eine durchaus progressive Attitüde unterstellen kann. Post Rock trifft Psychedelic und gelegentlich ein bisschen Funk, aber die krachenden Saitenwände mit zwei gleichberechtigten Gitarren stellen nach wie vor die Grundmetapher, an der sich die Musik aufhängt.

Und sie verfügen mit Zdravko Konrad über einen ausdrucksstarken und charismatischen Sänger, der dieses stilistische Sammelsurium mit seiner enormen Präsenz zusammenhält. Auf "Dusk City" stellt er wohl den zynisch, kämpferischen Humanoiden dar, der sich der mechanisch bösen Stadt entgegenstellt – oder den modernen Menschen in seinen immer unmenschlicheren Großstadt-Dschungeln? Wer weiß. Jedenfalls behauptet er sich, egal, ob gegen brodelnd düstere Soundexperimente, krawallige Riff-Wände oder mitunter auch in mystisch zurückgenommenen Momenten voll geheimnisvoller Bedrohung, wenn zum Beispiel vom giftigen Regen die Rede ist. Alternative Rock trifft es alles in allem vielleicht am Besten, aber wen interessiert das?

In ihrer Arbeit geht die Band seit den Gründertagen über die Musik gerne hinaus und legt großen Wert auf eine optisch adäquate Verpackung (die Tiroler Progger von Driveby haben sogar mal ein Studiumsprojekt mit CD zu diesem Thema erarbeitet). So entstammt das Cover zu "Dusk City" aus einer technischen Visualisierung der Klangdaten des Titelsongs und stellt somit nicht nur eine schöne Metapher zur Intention der Band dar, sondern liefert mit seinen mechanisch sterilen Formen eine perfekte Abbildung der düster dämmernden Stadt. Wenn man das Album um 90 Grad dreht, mag man tatsächlich die nebelgeschwängerte Skyline Manhattens – oder einer anderen Mega-Stadt erkennen. 'Severity Town' nannten Grobschnitt das in den Siebzigern, war ein völlig anderer musikalischer Ansatz, aber irgendwie schleichen sich doch Parallelen ein.

Die Songs sind in sich abgeschlossen, dienen aber alle dem Gesamtkonzept. Unterteilt ist das Album in drei Abschnitte, die jeweils durch die so betitelten "Interludes I" und "II" getrennt sind. Dabei fällt auf, dass der erste und dritte Teil für mein Empfinden deutlicher der brachialen Seite der Stadt entsprechen. Hier finden wir fast Ausbrüche in Richtung Noise oder gar Metal und daher die heftigsten Riffs. Die Bässe schlagen ein wie Meteoriten und der Schlag treibt unbarmherzig, hart und vorwärts gerichtet. Die ersten beiden Songs gehen energetisch unbremsbar ineinander über und im zweiten Song, "Limber", präsentieren die Gitarristen Akkorde, als ob Jimi sein "Purple Haze" noch einmal in die Welt bringen wollte. Sie zerlegen solche Erinnerungen in "7 Of 8" mit einer punkigen Performance. Jetzt fliegen echt die Bleche weg!

Das hypnotische "Siberian", bereits frühzeitig als Video erschienen, erdet uns ein wenig, behält aber im Refrain die apokalyptische Power bei. Die rhythmische Suppe kocht über und über, bis der erste Interlude einen stlilisierten Nachtzug als Flucht-Perspektive offeriert. Doch gibt es ein Fluchtziel?

Im zweiten Teil hingegen kommen deutliche Post Rock-Avancen zwar nicht ans Licht, um dem Flow des Albums zu folgen – aber sie kommen aus dem Dunkeln, besonders eindrucksvoll in "Icarus". Musikalisch nicht verwandt mit der gleichnamigen Monkey 3-Nummer, im Thema als Metapher sehr wohl in den Kontext passend. Aber immerhin, mit Boris & Co waren die Jungs auch schon mal auf der Bühne. Genauso wie mit den Tirolern Mother’s Cake, mit denen sie die zum Teil hoch komplexen Strukturen und die vielseitigen Auswüchse in unerwartete Richtungen in gewisser Weise teilen. Beiden Bands wurde gerade dies mitunter auch schon mal als versteckter Vorwurf untergejubelt, weil der rote Faden durch die Musik hierbei ein wenig intensiver gesucht werden muss. Sehe ich nicht so, wer sich kreativ auszutoben versteht, kann uns viel erzählen, wir müssen nur eindringlich zuhören. Und vielleicht auch die spannenden und vieldeutigen Texte lesen. Umso tiefer wirkt die Musik. Im Falle des "Icarus" könnte man den durchaus als Parabel für den Umgang des Menschen mit seiner Umwelt ansehen – und das historische Beispiel und Schicksal des Ikarus, der zu hoch fliegen wollte, sollte uns zu denken geben. Mensch, werde endlich wach! »We all signed, we all signed …«

Und dann die herrlich eingängigen Riffs in "Golden Lands", ganz sicher einer der Höhepunkte des Albums. Hypnotische Beats brechen mit leidenschaftlichen, gesangsorientierten Einwürfen und die Gitarre darf zum Höhepunkt ein wenig klassisch elaborieren. Hier reißen sie mich aus dem Sitz, es gibt kein Entkommen vor dem ultimativen Radio, welches sich sehr viel ausgeprägter an dem Begriff Ratio orientiert hat. Und der Verstand führt durch das ganze Album, ganz gleich, wie sehr coole und fetzige Passagen auch im Kleinhirn punkten mögen.
So erfahren wir in "Again And Again" eine reflektierende Besinnung auf den gesamten zweiten Part des Albums, schwelgende Post Rock-Gitarren dürfen vor einem gedrosselten Konzept noch einmal ausschwärmen.

Der zweite Interlude beginnt wieder mit Schienenstößen eines entweichenden Zuges, soll er uns eine weitere Möglichkeit des Entkommens offerieren?
"Reshape" im dritten und letzten Abschnitt gibt die Antwort. Knallhart treibend, böse greifen die Riffs, der Gesang kämpft gegen das aufbrausende Universum. Unpersönlich zurückgenommene Bässe konkurrieren mit breiten Wänden wilder Gitarrengewalt. Alter, hier geht es Dir an den Kragen, wenn Du keine Eier hast!

Aber den Titelsong haben sie noch auf der Bahn. Eskalierende Intensität in schrägen Riffs und merkwürdig defensivem Gesang schaffen ein Crescendo aus destruktiver Attacke und entladener Energie. Die Riffs komprimieren immer mehr wie in einem implodierenden Imperium – und dann ist mittendrin der Song zu Ende. Und damit eigentlich auch die Platte.

Aber Ultima Radio würden nicht ihrer eigenen Performance entsprechen, wenn denn dies das Ende wäre. Nicht auf dem Cover als Song Nummer 13 weiter erwähnt, gibt es eine abschließende Nummer, die in ihrer ausdrücklichen Destruktivität keinen Zweifel lässt: "One-Off", wie dieser Song nach ein wenig Recherche heißt, ist ein musikalisches Synonym auf die Zerstörung der 'Dusk City'. Da ich den Film "Apocalypse Now" über alles liebe, erinnert mich dies an den legendären Abspann, wenn längst die Handlung beendet ist. Wenn Bill Kreutzmann und Mickey Hart von den Grateful Dead musikalisch die Zerbombung von Col. Kurtz' Lager untermalen. Gänsehaut ist ein Stück zu wenig formuliert für einen solchen Moment.

Ein Stück weit erinnert mich die Philosophie von Ultima Radio an meine Lieblings-Holländer von The Machine, die ebenfalls dafür stehen, selbst nicht zu wissen, wohin das nächste Album führen wird. Feiern wir Musiker, die nicht kalkulieren, sondern rein aus dem Empfinden liefern – aus den Tiefen ihres Bewusstseins. Völlig egal, ob sich das verkauft, völlig egal, was die Gemeinde dazu sagt. Es sind genau diese Leute, die uns inspirieren, weil sie keine Grenzen kennen. Weil sie konsequent ihren Weg gehen.

Ultima Radio haben mich von dem Moment an fasziniert, als sie sich bei unserem Magazin vorgestellt haben – ich habe mich ganz massiv darum bemüht, die Platte besprechen zu dürfen und inzwischen ihre früheren Werke erworben. Der Begriff des Stoner ist ein weitgehend Fehlinterpretierter, denn meist wird er verwechselt mit retro-orientierter Rockmusik. Ich bin in dieser Szene viele Jahre lang unterwegs gewesen, aber selten habe ich ein Projekt erlebt, welches derart konsequent Einflüsse und Anregungen aus allen möglichen Richtungen zulässt wie bei Ultima Radio. Der Band aus Graz, der einzigen österreichischen Großstadt, der ich bis heute nie begegnet bin. Ein Fehler, ich weiß!

Intelligente Musik mit tiefen Tönen, klaren Aussagen und verrückten Experimenten, ich darf sie wämstens empfehlen.


Line-up Ultima Radio:

Zdravko Konrad (vocals)
Julian Jauk (guitar, vocals)
Benjamin Krause (guitar)
Stefan Scherer (bass)
Paul Krassnitzer (drums)

guest:
Emanuel Jauk (upright bass)

Tracklist "Dusk City":

  1. Your Skin
  2. Limber
  3. 7 Of 8
  4. Siberian
  5. Interlude I
  6. Monotyper
  7. Icarus
  8. Golden Lands
  9. Again And Again
  10. Interlude II
  11. Reshape
  12. Dusk City
  13. …One-Off

Gesamtspielzeit: 52:08, Erscheinungsjahr: 2019

Über den Autor

Michael Breuer

Hauptgenres: Gov´t Mule bzw. Jam Rock, Stoner und Psychedelic, manchmal Prog, gerne Blues oder Fusion

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