Kein Hit, keine Stones, aber viel Roll & Humor
Der Rezensent hat in seiner inzwischen ziemlich unübersichtlichen wie umfangreichen Sammlung kaum deutschsprachige Musik zu bieten. Okay, die Sammlung ist sowieso gnadenlos lückenhaft, schließt viele Genres generell komplett aus und hat als gemeinsamen Nenner letztlich die elektrisch gespielte Gitarre, natürlich auch gerne mal in der eher akustischen Variante. Dabei überwiegt ganz klar die klassische Rockmusik, bevorzugt mit latent bluesigem Einschlag. Wenn dies auf deutschsprachige Musikprodukte übertragen wird, ist die Auswahl verdammt schmal.
Irgendwann in den Anfangstagen einer sehr erfolgreichen Comedy-Geburtsstundensendung namens "RTL Samstag Nacht" trat im obligatorischen Musikteil eine Band auf, die sich Stoppok nannte und den Titel "Dumpfbacke" zum Besten gab. Da der Rezensent nicht ahnen konnte, welche gesellschaftlichen und politischen Verwerfungen noch folgen sollten, war dieses Musikstück einfach rein textlich ein Treffer auf die Zwölf und gefiel auch musikalisch ungemein. Also wurde sofort das dazugehörige Album "Happy End im la-la-Land" (1993) organisiert und völlig überraschend kerniger Rock mit Roll, Folk, Blues und jeder Menge deutschsprachigem Text-Humor genossen, immer mit einer gehörigen Portion Schalk im Nacken, aber rhythmisch in Sphären agierend, die durchaus auch mal ein Anheizer-Programm für die rollenden Steine gerechtfertigt hätte.
Seien wir mal ehrlich … die Schauspieler Westernhagen und Grönemeyer, Kult-Nuschel-Lippe Lindenberg, Mundartrocker wie BAP oder Szenekrösus Maffay, niemand erreichte und erreicht den authentischen Rock’n’Roll und gleichzeitig eine gewisse Melancholie eines Stefan Stoppok, sofern selbiger selbiges auf die Bühne bringen möchte. Und die verschmitzte Poesie über besagte Bandbreite hat er sowieso exklusiv!
Geboren in Hamburg, aufgewachsen in Essen, zog Stoppok als Jungerwachsener drei Jahre lang als Straßenmusiker durch ganz Europa und erlernte autodidaktisch unzählige Zupfinstrumente. Seine musikalische Basis lag dabei im Folkrock. 1990 schließlich landete er erstmals bei einem Major-Label und prompt auch bei 'Rocklife', wie der legendäre 'Rockpalast' von 1990 bis 1994 – warum auch immer – umbenannt wurde.
Dieser Auftritt vom September 1990 in der Live Music Hall Köln liegt nun erstmals als CD- und DVD-Dokument vor, ergänzt um einen Rockpalast-Auftritt vom 08.10.1997, vermutlich der kommerziell besten Phase des Protagonisten, durfte er doch ein Jahr zuvor den Kino-Millionenseller "Das Superweib" vertonen.
Genau diese 1997er-Tour besuchte auch der Rezensent und hat diesen Auftritt in der ausverkauften Oldenburger Kulturetage vor einem enthusiastischen Studentenpublikum in allerbester Erinnerung. Eine fantastische Rockband mit einem fantastischen Entertainer, der jederzeit in seinen humoristischen Texten den Klamauk umschiffte und sich rein musikalisch/instrumental nachdrücklich als Vorprogramm für die "Bridges Of Babylon"-Tour der Rolling Stones empfahl, welche 1998 ja auch in das benachbarte Bremen führen sollte. Allerdings eröffneten damals die Schotten von Big Country, welche beim Rezensenten keinen nachhaltigen Eindruck hinterließen.
Umso erfreulicher, dass jetzt relativ kurz nach der "Bridges To Bremen"-Veröffentlichung der Stones auch Stefan Stoppok zu seinem Recht kommt.
Die beiden Stoppok-Konzerte sind in verschiedener Hinsicht unterschiedlich … klanglich, interpretatorisch und auch hinsichtlich ihrer musikalischen Qualität. Stoppok hatte mit seinem gleichnamigen Projekt in diesen sieben Jahren eine erstaunliche Entwicklung genommen und mutierte vom sympathischen Ex-Straßenmusiker ohne Scheu vor jeglichem Publikum und eher sprödem Liedgut (allerdings immer mit Humor!) zum einzig wahren Deutschrocker mit dem unnachahmlichen Roll im Bühnenvortrag, welchen der Rezensent bis dato und auch bis heute bei deutschsprachigen KünsterInnen schmerzlich vermisst … Lindenberg, Maffay, Neigel oder gar Connor sind da keine Lösung und haben andere Qualitäten.
Alleine das überragend vorgetragene "Wenn du weggehst" ist sein Eintrittsgeld wert und würde auch den rollenden Steinen verdammt gut gefallen!
Im Gegenzug könnten Kritiker dieser Zeilen jetzt mit Carl Carlton kommen, bürgerlich Karl Walter Ahlerich Buskohl aus Ostfriesland und federführend unter anderem für deutsche Musik-Größen wie Westernhagen, Lindenberg, Niedecken und Maffay tätig, aber Stoppok erzeugen als Band insbesondere auf ihrem 1997er-Konzert im Kölner E-Werk eine deutlich höhere Rock-Authentizität, welche auch auf größeren Bühnen ohne jeglichen Schnick-Schnack funktioniert. Und der Rezensent betont … ohne jeglichen Schnick-Schnack!
Das Bild dieser Veröffentlichung entspricht nicht den heutzutage gewohnten Standards, ist aber immerhin auch 29 respektive 22 Jahre alt. Die DVD scheint dynamisch weniger komprimiert als die beiden CDs zu sein und klingt untadelig. Die CDs sind anscheinend/hörbar stärker dynamikkomprimiert als die DVD, tönen aber auf des Rezensenten Abhöranlage, gerade in höherer Lautstärke, relativ Live-authentisch, wobei der Sound des 1997er Konzerts eindeutig heraussticht. Gegenüber den beiden CDs sind auf der DVD keinerlei Ansagen gekürzt bzw. überhaupt erst enthalten. Dass selbige mitunter hohen Unterhaltungswert haben, sollte nicht überraschen.
Verpackt ist das Ganze in einem formschönen, mehrfach klappbaren Digi-Pack inklusive achtseitigem Booklet, in welchem uns Christian K. L. Fischer – Chefredakteur des schallmagazin.de – einleuchtend erklärt, warum es eher Glück ist, nicht wirklich einen Hit zu haben und dass Stefan Stoppok durchaus mit Recht als Saiten-Virtuose gelten darf, auch wenn dieser das natürlich gar nicht so sieht.
Übrigens … der Mann beim 1990er Konzert hinter der Schießbude trommelt auch seit drei Jahrzehnten bei der Hamburg Blues Band!
Fazit: Wer, wie der Rezensent, gewisse Vorbehalte gegenüber deutschsprachiger Rockmusik hat und ansonsten unangepasster Humorigkeit zugeneigt ist, sollte Stoppok ganz allgemein unbedingt antesten und diese Veröffentlichung im Besonderen!
(Foto mit freundlicher Genehmigung von MIG Music)
Line-up Stoppok Live Music Hall, Köln 06.09.1990:
Stoppok (Gesang, Gitarre, Banjo)
Mario Schulz (Gitarre)
Peter Kühmstedt (Bass)
Hans Wallbaum (Drums)
Julia Zanke (Keyboard)
Line-Up Stoppok E-Werk, Köln 08.10.1997
Stoppok (Gesang, Gitarre, Banjo)
Mario Schulz (Gitarre)
Reggie Worthy (Bass)
Achim Grebien (Drums)
Danny Dziuk (Keyboard)
Tracklist "Live At Rockpalast 1990 & 1997":
CD 1: Live Music Hall, Köln 06.09.1990
- Stück für Stück (04:12)
- Confusion (05:50)
- Du brauchst Personal (04:59)
- Der nackte Mann (03:16)
- Ärger Teil Zwo (04:33)
- Watt nu (04:14)
- Mir stinkt’s auch (03:50)
- Romeo und Julia (04:16)
- Zwischen Twen Tours und Seniorenpass (03:46)
- Verstand sei still (04:00)
- Oben hing (04:24)
- Alles nur ein Film (04:20)
- Ich steh an der Bar (a pub with no beer) (03:02)
CD 2: E-Werk, Köln 08.10.1997
- Gelandet (05:23)
- Dumpfbacke (03:48)
- So einfach ist das (03:35)
- Wenn du weggehst (04:33)
- Leise (05:07)
- Willie und Gerd (04:06)
- Krank Madame (04:32)
- Herzlos (04:32)
- Hölle losgeht (03:54)
- Wetterprophet 04:19
- Schwafel nicht (05:38)
- Kebap (03:58)
- Feine Idee (13:29)
- Du Brauchst Personal (05:34)
- Kühlschrank (06:57)
DVD: Alle 28 Songs ungekürzt inklusive jeweiliger Ansage durch den Gastgeber (im Falle des Rockpalast selbstverständlich der legendäre Peter Rüchel).
Gesamtspielzeit: 54:42 (CD 1), 79:25 (CD 2), 145:00 (DVD), Erscheinungsjahr: 2019
Technische Angaben zur DVD:
Video Format : NTSC / DVD 9
Audio Format : Dolby Digital 2.0
Picture Format : 4:3
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