Man könnte fast meinen, dass der kanadische Musiker Robbie Robertson nach der von ihm diktierten Auflösung von The Band Ende 1976 die Nase nach 15 Jahren 'on the road' gestrichen voll hatte. Eher sporadisch, man könnte fast schon ’selten' schreiben, erschien hier und da noch mal eine Soloplatte. Viel intensiver beschäftigte er sich dafür mit dem Komponieren und Einspielen von Film-Soundtracks, seiner Familie und anderen Hobbys. Acht Jahre waren seit dem sehr starken Vorgänger How To Become Clairvoyant vergangen, bis vor einigen Wochen die neue Scheibe "Sinematic" vorlag. Dreizehn neue Tracks, eine knappe Stunde Spielzeit, da sollte das Herz eines jeden The Band-Fans aus Vorfreude schon mal ein paar Takte höher schlagen. Wie es im Vorfeld hieß, war die neue Platte vor allem von zwei Faktoren beeinflusst: Zum einen von Robertsons jüngster Zusammenarbeit mit dem Regisseur Martin Scorsese (der schon für The Last Waltz Regie führte) für "The Irishman" und zum anderen von der Musik zu dem neuen Streifen "Once Were Brothers: Robbie Robertson And The Band", einer Dokumentation, auf die man schon sehr gespannt sein darf.
Mit "Sinematic" ist letzten Endes ein Album herausgekommen, dem man die oben genannten Inspirationen – mal mehr, mal weniger deutlich – anhört. Sehr coolen Americana- bzw. Roots-Songs stehen ausgiebige Experimente mit Beats aus der Dose gegenüber. Was nicht unbedingt zu einem zerissenen Album führt, aber dennoch zu einem, das eine gewisse Kompaktheit und Richtung vermissen lässt. Mit "Dead End Kid" oder "Shanghai Blues" bringt der mittlerweile 76-jährige Kanadier beispielsweise einen starken Film Noir-Touch ins Spiel, während man sich das wunderschöne Instrumental "Wandering Souls" ebenfalls als musikalische Untermalung eines Movies oder einer Dokumentation vorstellen kann. Der Reigen der insgesamt drei Instrumental-Songs wird von dem letzten Stück der Platte, dem fast schon gruselig-guten "Remembrance" abgeschlossen, in dem es erneut sehr emotional und melancholisch zugeht.
Mit Van Morrison zaubert Robertson direkt für den ersten Song "I Hear You Paint Houses" auch den ersten Stargast und dazu jahrzehntelangen Freund (Morrison war im Duett mit Richard Manuel bereits auf dem Band-Album "Cahoots" aus dem Jahr 1971 zu hören) aus dem Hut. Die beiden teilen sich die Lead Vocals und legen eine absolut gelungene Performance hin, selbst wenn man sowohl dem guten Robbie als auch Morrison ihr Alter mittlerweile anhört. Dementsprechend bewegt sich hier auch alles im groovigen Midtempo-Bereich. Sehr gut! Robbie Robertson hatte The Band zwar vor über vierzig Jahren aus eigenem Antrieb aufgelöst, losgelassen haben ihn das Quintett sowie seine damaligen Mitmusiker jedoch nach wie vor nicht. War dieser Combo und ihren Mitgliedern bereits auf der letzten Platte ein Song gewidmet, so ist hier mit "Once Were Brothers" ein weiteres melancholisches Schwelgen in Erinnerungen, Trauer über verlorene Freunde und Freundschaften sowie gar ein Stückchen Reue vertreten. Sehr emotional ist diese Nummer, die dem Verfasser dieser Zeilen dann doch ganz schön unter die Haut geht. Was die ganz großen Namen angeht, machten noch Derek Trucks, Doyle Bramhall (beide sind zusammen auf einer Nummer zu hören) sowie Jim Keltner (der auf zwei Stücken spielt) eine Stippvisite im Studio. Ach ja, und schließlich ist da auch noch der mittlerweile ganz angesehene Glen Hansard, der auf "Dead End Kid" sowie "Let Love Reign" mitsingt.
Für das weitere Duett "Walk In Beauty Way" war die Sängerin Laura Satterfield zur Stelle, die das Stück mit dem Protagonisten auf sehr emotionale, man könnte fast schon sagen erotisch gefärbte Art ins Mikro haucht. Der Kanadier ist ein wahrer Meister darin, mit seinen Songs fühlbare Stimmungen und Atmosphären zu erzeugen und selbst wenn die eigentlichen Tracks auf dieser Platte nicht immer überzeugen, so bleibt die Spannung dennoch über die gesamte Spielzeit erhalten. Von daher ist Robbie Robertson mit "Sinematic" (jaja, man müsste eigentlich nur den ersten Buchstaben mit einem 'C' austauschen) ein sehr interessantes und spannendes Album gelungen. Um ehrlich zu sein, hat dem Rezensenten "How To Become Clairvoyant" besser gefallen, aber vielleicht liegt die versteckte Stärke dieser neuen Platte ja auch darin, dass sie mehr und mehr Geheimnisse von sich verrät, je öfter man sie anhört.
Ein sehr gutes, wenn auch nicht phänomenales Album!
Line-up Robbie Robertson:
Robbie Robertson (guitars, keyboards, lead vocals)
Pino Palladino (bass)
Chris Dave (drums)
Felicity Williams (background vocals – #1,4,6,7,9,12)
Afie Jurvanen (background vocals – #1,4,9,12, additional guitar – #12)
With:
Van Morrison (lead vocals – #1)
Laura Satterfield (lead vocals – #5)
Glen Hansard (lead vocals – #3,6)
George Doering (guitars – #2,13)
Derek Trucks (slide guitar – #13)
Doyle Bramhall II (guitar – #13)
Randy Kerber (organ – #1,2, keyboards – #13)
Martin Pradler (keyboards – #1,11,12, percussion – #12, string programming – #13)
Howie B. (keyboards & programming – #3,4,10,11)
Jim Wilson (keyboards & programming – #5)
Frederic Yonnet (harmonica – #1,2,13)
Reggie Hamilton (bass – #2,13)
Jim Keltner (drums – #2,13)
J.S. Ondara (background vocals – #2,11)
Citizen Cope (background vocals – #2)
Tracklist "Sinematic":
- I Hear You Paint Houses
- Once Were Brothers
- Dead End Kid
- Hardwired
- Walk In Beauty Way
- Let Love Reign
- Shanghai Blues
- Wandering Souls
- Street Serenade
- The Shadow
- Beautiful Madness
- Praying For Rain
- Remembrance
Gesamtspielzeit: 58:24, Erscheinungsjahr: 2019
2 Kommentare
Klaus Zehnder alias Mr. Klaus ihabcorpus
30. Juni 2020 um 21:19 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Klassisch arbeitende musiker, von den instrumenten her gesehen, bewirken manchmal mehr ein zuhause sich fühlen durch das hören alter lieblinge als ein reiner elektrosounds und gemischt am schneidetisch.
Robbi robertson hat dss eine aufgehört und das andere begonnen. Weshalb aber das aufhören als the band? Wozu dieses trauerspiel ohne anlass? Es wirkt strange.
Markus
2. Juli 2020 um 18:30 (UTC 1) Link zu diesem Kommentar
Hallo Klaus,
tja, das (erste) Ende von The Band ist leider auch so eine traurige Geschichte. Im Film "The Last Waltz" deutet Robertson es in den kurzen Interviews ja bereits an, was ihn dazu veranlasst hat. Mittlerweile gibt es zu dem Thema auch sehr interessante Bücher (wie Robbies Autobiographie "Testimony" oder weitere von anderen Authoren über The Band), in denen das Thema ausführlich zur Sprache kommt.
Um es kurz zu machen: Meiner Meinung nach hatte er 1976 einerseits einfach keinen Bock mehr auf Tourneen und musste andererseits hautnah miterleben, wie einige seiner Bandkollegen (vor allem Richard Manuel, aber auch Rick Danko und Levon Helm) immer tiefer in einen Sumpf aus Drogen und Alkohol rutschten. Alle anderen Bandmitglieder waren von der Auflösung alles andere als begeistert. Levon Helm hat ihm das dann auch erst im Totenbett verziehen, bis zu dem Zeitpunkt herrschte eher böses Blut zwischen den einstmals besten Freunden. Immerhin kam es in Levons letzten Tagen dann doch noch zu einer Aussprache und Versöhnung.
Warum Robbie Robertson die Musik macht, die er seit dem Ausstieg bei The Band macht? Tja, gute Frage… falls du das Album noch nicht kennst, kann ich dir aber auf jeden Fall die sehr gute Scheibe "How To Become Clairvoyant" empfehlen, das Review dazu findest du ja oben im Text.
Beste Grüße,
Markus