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The Band / The Band – Doppel-CD-Review

The Band - "The Band" - Doppel-CD-Review

Keine Ahnung, ob heutzutage noch mehr so Bekloppte wie ich diesen Erdball besiedeln, aber es gibt Alben, die würde ich mir bei jedem Jubiläum nochmal zulegen, egal wie oft ich sie schon im Regal stehen habe. Eines dieser kostbaren Stücke ist das zweite, gleichnamige Album von The Band, einem Quintett bestehend aus vier Kanadiern sowie dem aus den Südstaaten stammenden (hauptsächlichen) Schlagzeuger und Sänger Levon Helm (R.I.P.). Die verschworene Gemeinschaft hatte zunächst als Begleitband des in den frühen sechziger Jahren sehr angesagten Ronnie Hawkins und anschließend Bob Dylan 'gedient'. Nachdem schließlich im Jahr 1968 das eigene Debütalbum "Music From Big Pink" erschienen war, schlug diese Song-Kollektion nicht nur beim Publikum, sondern auch in Musiker-Kreisen ein, wie eine Granate. Und die gesamte Welt wunderte sich, wer in einer Zeit, die (vor allem für die Jugend und altersmäßig noch jüngere Menschheit) von psychedelischer Musik und ebensolchen Lebens-Experimenten geprägt war, diese komischen bärtigen, wie Hinterwäldler angezogenen Typen eigentlich überhaupt waren. Da die Combo auch nicht auf Tour ging, rankten sich die Gerüchte in immer höhere Höhen.

»Wir rebellierten damals gegen die Rebellion, obwohl wir selbst erst etwa Mitte Zwanzig waren«, sagte Levon Helm einmal. »Irgendwie trauten wir diesem ganzen 'Drop in, drop out' nicht so richtig über den Weg und hatten das Gefühl, dass da eine Bombe in der Torte schlummerte.« Und so war auch die Musik des Fünfers sehr bodenständig. Vielleicht nicht wirklich up to date, dafür aber von absoluten Könnern gespielt, die dazu auch mit dreistimmigen Gesangs-Harmonien agierten, die die Welt bis dahin noch nicht gehört hatte. Und obwohl hier Levon Helm, Rick Danko (R.I.P.) sowie Richard Manuel (R.I.P.) drei durchaus gleichstarke Lead-Sänger am Werk waren, kommentierte Helm weiter: »Für mich war Richard immer unser Lead-Vokalist. Ich wusste jederzeit, dass uns – solange Richard in der Band war – gesanglich niemand auch nur ansatzweise irgendwie an den Karren fahren konnte.« Wurde "…Big Pink" noch im Keller eines von mehreren Bandmitgliedern bewohnten Hauses unweit des Städtchens Woodstock irgendwo im US-Bundesstaat New York aufgenommen, so zog es die Musiker für ihr zweites Werk nach Los Angeles. Auf ein reguläres Aufnahmestudio verzichteten sie jedoch weiterhin, mieteten (gegen den Willen der fuchsteufelswilden Plattenfirma) ein Haus von Sammy Davies Jr. und richteten darin ein eigenes Studio ein.

Was dort entstand, ist ein bis heute hell leuchtender Meilenstein der Rock-Geschichte, der mit absoluten Song-Klassikern wie "Across The Great Divide", "The Night They Drove Old Dixie Down", "Up On Cripple Creek", "Whispering Pines" oder auch "Rag Mama Rag" in die Historie einging. Dabei sind die übrigen Tracks um keinen Deut schwächer, lediglich nicht ganz so bekannt. Über das eigentliche Album brauche ich nicht mehr viel zu schreiben, zumal dies mein ehemaliger Kollege Manni vor einigen Jahren bereits ausführlich getan hat. Zum fünfzigsten Geburtstag gibt es dieses Werk nun in unterschiedlichen Formaten erneut. Mir liegt für dieses Review die Doppel-CD vor, die klanglich überarbeitet nochmal ein Stückchen transparenter klingt. Der erste Silberling wird nach dem Original-Album von sechs weiteren Stücken ergänzt, bei denen es sich um alternative Einspielungen oder instrumentale Versionen ohne Gesang handelt. Klasse, dass dem Hörer hier nochmal unterschiedliche Sichtweisen auf die Tracks geboten werden.

Auf der zweiten CD finden wir zunächst den (kompletten?) Auftritt der Protagonisten beim legendären Woodstock-Festival, das ja praktisch direkt vor ihrer Hautür stattfand. Dabei handelt es sich um die originalen Rough Mixes, die wohl nicht neu bearbeitet wurden. Da "The Band" erst einen Monat später veröffentlicht wurde, wurden hier vor allem Tracks aus "…Big Pink" (plus ein paar andere) auf die Bretter gelegt. Bereits bei Garth Hudsons-Orgel-Intro zum Opener, dem bärenstarken "Chest Fever", steigt das Adrenalin beim Rezensenten in schwindelige Höhen. Richard Manuel mit seinem so kraftvollen wie emotionalen Gesang, das Songwriting, die teilweise chaotisch wirkenden (aber in Wirklichkeit sehr clever geplanten und ausgeführten) beiden weiteren Stimmen, dazu die musikalischen Fähigkeiten – bereits hier hat die Combo bei mir voll abgeräumt und gewonnen. Aber es gibt keine Gnade, denn mit dem folgenden "Tears Of Rage" reißt Manuel dem Verfasser dieser Zeilen dann endgültig das Herz aus dem Leib. Bevor ich hier aber nun weiteren Seelen-Striptease betreibe sei nur noch bestätigt, dass der komplette Auftritt ein einziges Fest ist. Super auch, dass mit "Don’t Ya Tell Henry", "Baby, Don’t You Do It", "Ain’t No More Cane On The Brazos" sowie "Loving You Is Sweeter Than Ever" vier Tracks vertreten sind, die der Band-Eingeweihte natürlich längst kennt, die aber auf keinem Studioalbum der Jungs auftauchten.

Den Abschluss machen dann noch einmal sieben alternative Versionen von Songs des "The Band"-Albums. Sieben? Nein, denn mit "Get Up Jake" ist tatsächlich ein echtes Outtake vorhanden, ein Track, der auf keinem offiziellen Studioalbum von Robbie Robertson und Co. auftauchen sollte. Und selbst der ist großartig, Mann, Mann, Mann, was hatten die damals für ein Potential bzw. qualitativ hochgradiges Repertoire.

Als Fazit bleibt dann auch einfach nur festzuhalten, dass sowohl "Music From Big Pink" als auch "The Band" in jedem Haushalt vorhanden sein muss, der auch nur ansatzweise stolz auf seine Rockmusik-Sammlung sein will. Beide Werke sind essenziell und in ihren Ausgaben zum fünfzigsten Geburtstag sehr hochwertig. Bei dem von mir besprochenen Album sind dazu die Live-Aufnahmen vom Woodstock-Festival der absolute Burner. Kaufen!


Line-up The Band:

Garth Hudson (organ, clavinette, piano, accordion, soprano-, tenor- and baritone saxophones, slide trumpet)
Richard Manuel (piano, drums, baritone sax, mouth harp, lead & background vocals)
Levon Helm (drums, mandolin, additional guitar, lead & background vocals)
Rick Danko (bass, violin, trombone, lead & background vocals)
Robbie Robertson (lead & rhythm guitars)

With:
John Simon (tuba, electric piano, high school & peck horns)

Tracklist "The Band":

CD 1:

  1. Across The Great Divide
  2. Rag Mama Rag
  3. The Night They Drove Old Dixie Down
  4. When You Awake
  5. Up On Cripple Creek
  6. Whispering Pines
  7. Jemima Surrender
  8. Rockin' Chair
  9. Look Out Cleveland
  10. Jawbone
  11. The Unfaithful Servant
  12. King Harvest [Has Surely Come]
  13. Up On Cripple Creek (earlier version)
  14. Rag Mama Rag (alternate version)
  15. The Unfaithful Servant (alternate version)
  16. Look Out Cleveland (instrumental mix)
  17. Rockin' Chair (a cappella/stripped down)
  18. Up On Cripple Creek (instrumental mix)

CD 2:

  1. Chest Fever
  2. Tears Of Rage
  3. We Can Talk
  4. Don’t Ya Tell Henry
  5. Baby, Don’t You Do It
  6. Ain’t No More Cane On The Brazos
  7. Long Black Veil
  8. This Wheel’s On Fire
  9. I Shall Be Released
  10. The Weight
  11. Loving You Is Sweeter Than Ever
  12. Get Up Jake (outtake – stereo mix)
  13. Rag Mama Rag (alternate vocal take – rough mix)
  14. The Night They Drove Old Dixie Down (alternate mix)
  15. Up On Cripple Creek (alternate take)
  16. Whispering Pines (alternate take)
  17. Jemima Surrender (alternate take)
  18. King Harvest [Has Surely Come] (alternate performance)

Gesamtspielzeit: 68:19 (CD 1), 75:33 (CD 2), Erscheinungsjahr: 2019 (1969)

Über den Autor

Markus Kerren

Hauptgenres: Roots Rock, Classic Rock, Country Rock, Americana, Heavy Rock, Singer/Songwriter
Über mich
Meine Beiträge im RockTimes-Archiv
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Meine Konzerberichte im Team mit Sabine
Mail: markus(at)rocktimes.de

1 Kommentar

  1. Manni

    Yeah, Markus!

    Wenn es "Muss-man-haben" wirklich gibt, steht diese Platte mit ihrer Vorgängerin – wie von dir beschrieben – ganz oben auf der (langen) Liste. Und einen der größten Songs aller Zeiten hatten damals zeitgemäß schon Dennis Hopper und Peter Fonda im bahnbrechenden Film "Easy Rider" geadelt! Auch wenn er wegen Lizenzproblemen in der Version der Band "Smith" auf dem OST erschien.

    Wenn man 1968 in den U.S. of A. einen Song mit


    I pulled into Nazareth, was feelin' about half past dead
    I just need some place where I can lay my head
    "Hey, mister, can you tell me where a man might find a bed?"
    He just grinned and shook my hand, "no" was all he said

    beginnt, muss man in der Nähe von Genialität sein, vor allem, wenn man dann den Text weiter verfolgt. Ganz großes musikalisches und lyrisches Kino!

    Sternstunden wie die beiden ersten Alben von The Band sind (schon immer) selten gewesen.

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